Das Steuerrecht sei ein Spiegelbild der Gesellschaft. Im Moment sieht man deswegen nur eine kapitalistische Fratze. Zeit für ein Makeover!
Marlene Engelhorn wird einen zweistelligen Millionenbetrag erben und fordert, dass der Staat ihr einen großen Teil davon abnimmt. Sie sitzt in Talkshows und sagt Sätze wie »Kapital bedeutet vererbte Macht« oder dass ein Prozent der Bevölkerung in Österreich über 40 Prozent des Vermögens halte. Damit ist die 29-Jährige bekannt geworden. Inzwischen engagiert sie sich im Kreise jener Millionär*innen, die für eine faire Besteuerung ihres Vermögens eintreten. Nicht, um die Welt als Philanthrop*innen zu retten, sondern um den demokratischen Prozess zu unterstützen – und eine Debatte über ungerechte Verteilung in der Gesellschaft zu führen.
Engelhorns Ansatz hat Gründe. In Österreich tummeln sich die viertmeisten Millionär*innen innerhalb der Europäischen Union. Fast 350.000 Menschen besitzen mehr als eine Million Euro, wie eine aktuelle Studie des Schweizer Thinktanks Redesigning Financial Services errechnet hat. Und: In kaum einem anderen europäischen Land ist das Vermögen so ungleich verteilt wie zwischen Boden- und Neusiedler See. »Die Entwicklung unseres Steuersystems hat in den letzten 30 Jahren dazu beigetragen, dass Reiche ihren Wohlstand weiter ausbauen konnten«, sagt Anna-Maria Anderwald. Sie forscht am Institut für Finanzrecht an der Karl-Franzens-Universität in Graz im Bereich nachhaltige Besteuerung und kennt die Problematik.
Umverteilung steuern
Schließlich kämen Steuern neben Finanzierungsfunktionen auch sogenannte Sozialzwecke zu. Manche Steuern hätten allerdings bessere Umverteilungswirkungen als andere, so Anderwald: »Eine Nettovermögenssteuer und eine Einkommensteuer sind unter bestimmten Bedingungen äquivalent. Vermögen stellt den gegenwärtigen Wert des zukünftigen Einkommens dar. Eine geeignet definierte Vermögenssteuer wie auch eine Erbschafts- und Schenkungssteuer würde daher aus ökonomischer Sicht wie eine Erhöhung der Einkommensteuer auf Vermögenseinkünfte wirken und in diesem Bereich die Umverteilungswirkung der progressiven Einkommensteuer verstärken.«
Allerdings gibt es in Österreich seit 2008 keine Erbschafts- und Schenkungssteuer mehr. Sie wurde durch den Verfassungsgerichtshof wegen der »Verfassungswidrigkeit der Bemessungsgrundlage« gekippt, wie die Wissenschaftlerin erklärt. In der Vergangenheit führte Anderwald trotzdem Vorteile der Erbschafts- gegenüber einer Vermögenssteuer an. Schließlich bestünden Bedenken in Bezug auf eine verfassungskonforme Ausgestaltung einer Nettovermögenssteuer. Zentrales Problem sei die gleichmäßige Bewertung der einzelnen Vermögensteile. »Das Privatvermögen müsste jährlich zum Marktwert bewertet werden, um eine gleichmäßige und entscheidungsneutrale Besteuerung garantieren zu können.« Damit gehe ein hoher Verwaltungsaufwand einher. Es wären unter anderem Schmuck, Antiquitäten und Gemäldesammlungen zu erheben. Fast unmöglich in einem Land, in dem es kein umfassendes Vermögensregister gibt und Finanzämter auf ehrliche Angaben der Steuerpflichtigen angewiesen sind.
Außerdem betont Anderwald, dass Erbschafts- und Schenkungssteuer der ungehinderten Vermögensübertragung genauso entgegenwirken können. Der Vorteil: Die Erhebungskosten fielen aufgrund der geringeren Zahl an Bewertungsanlässen – im Durchschnitt einmal je Generation – weit weniger ins Gewicht als eine Nettovermögenssteuer, die jährlich erhoben werden müsste.
Wie aber ließe sich sicherstellen, dass die entstehenden Mehreinnahmen sozialstaatlichen Zwecken zukommen? »Bislang müssen Steuern nicht zweckgebunden eingesetzt werden«, so Anderwald. Der Staat könne Steuern zur Verwirklichung sämtlicher Aufgaben verwenden. Um mehr Transparenz zu schaffen, wäre es durchaus denkbar, dass man erzielte Einkünfte für entsprechende sozialstaatliche Zwecke einsetze. Allerdings bedürfe es dafür einer Rechtsgrundlage. Etwas, das es bis heute nicht gibt – und die Forderung von Reichen wie Marlene Engelhorn umso dringlicher macht.
Anna-Maria Anderwald forscht zu nachhaltiger Besteuerung unter Berücksichtigung demografischer, sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Entwicklungen an der Uni Graz. Marlene Engelhorn engagiert sich in der NGO guerrillafoundation.org für die Transformation der aus der Zeit gekommenen Philantropie hin zu Grassroots-Bewegungen für beständigen sozialen Wandel.
Anlässlich unseres 25-Jahr-Jubiläums haben wir uns in The Gap 192 »25 Fragen zur Gegenwart« gestellt. Dieser Beitrag beantwortet eine davon.