Wie lange können wir uns die Reichen noch leisten? – 25 Fragen zur Gegenwart (2/25)

Das Steuerrecht sei ein Spiegelbild der Gesellschaft. Im Moment sieht man deswegen nur eine kapitalistische Fratze. Zeit für ein Makeover!

© Lukas Weidinger

Marlene Engelhorn wird einen zwei­stelligen Millionen­betrag erben und fordert, dass der Staat ihr einen großen Teil davon abnimmt. Sie sitzt in Talkshows und sagt Sätze wie »Kapital bedeutet vererbte Macht« oder dass ein Prozent der Bevölkerung in Österreich über 40 Prozent des Vermögens halte. Damit ist die 29-Jährige bekannt geworden. Inzwischen engagiert sie sich im Kreise jener Millio­när*innen, die für eine faire Besteuerung ihres Vermögens eintreten. Nicht, um die Welt als Philan­throp*innen zu retten, sondern um den demo­kratischen Prozess zu unterstützen – und eine Debatte über ungerechte Verteilung in der Gesellschaft zu führen.

Engelhorns Ansatz hat Gründe. In Österreich tummeln sich die viertmeisten Millio­när*innen innerhalb der Euro­päischen Union. Fast 350.000 Menschen besitzen mehr als eine Million Euro, wie eine aktuelle Studie des Schweizer Thinktanks Redesigning Financial Services errechnet hat. Und: In kaum einem anderen europäischen Land ist das Vermögen so ungleich verteilt wie zwischen Boden- und Neusiedler See. »Die Entwicklung unseres Steuer­systems hat in den letzten 30 Jahren dazu beigetragen, dass Reiche ihren Wohlstand weiter ausbauen konnten«, sagt Anna-Maria Anderwald. Sie forscht am Institut für Finanzrecht an der Karl-Franzens-Universität in Graz im Bereich nachhaltige Besteuerung und kennt die Problematik.

Umverteilung steuern

Schließlich kämen Steuern neben Finanzierungs­funktionen auch sogenannte Sozial­zwecke zu. Manche Steuern hätten allerdings bessere Umverteilungs­wirkungen als andere, so Anderwald: »Eine Netto­vermögens­steuer und eine Einkommen­steuer sind unter bestimmten Bedingungen äquivalent. Vermögen stellt den gegenwärtigen Wert des zukünftigen Einkommens dar. Eine geeignet definierte Vermögens­steuer wie auch eine Erbschafts- und Schenkungs­steuer würde daher aus ökonomischer Sicht wie eine Erhöhung der Einkommen­steuer auf Vermögens­einkünfte wirken und in diesem Bereich die Umverteilungs­wirkung der progressiven Einkommen­steuer verstärken.«

Allerdings gibt es in Österreich seit 2008 keine Erbschafts- und Schenkungs­steuer mehr. Sie wurde durch den Verfassungs­gerichtshof wegen der »Verfassungs­widrigkeit der Bemessungs­grundlage« gekippt, wie die Wissen­schaftlerin erklärt. In der Vergangenheit führte Anderwald trotzdem Vorteile der Erbschafts- gegenüber einer Vermögens­steuer an. Schließlich bestünden Bedenken in Bezug auf eine verfassungs­konforme Ausgestaltung einer Netto­vermögens­steuer. Zentrales Problem sei die gleichmäßige Bewertung der einzelnen Vermögensteile. »Das Privatvermögen müsste jährlich zum Marktwert bewertet werden, um eine gleichmäßige und entscheidungs­neutrale Besteuerung garantieren zu können.« Damit gehe ein hoher Verwaltungs­aufwand einher. Es wären unter anderem Schmuck, Antiquitäten und Gemälde­sammlungen zu erheben. Fast unmöglich in einem Land, in dem es kein umfassendes Vermögens­register gibt und Finanzämter auf ehrliche Angaben der Steuer­pflichtigen ange­wiesen sind.

Anna-Maria Anderwald von der Universität Graz © Noémie Reichmuth / Angelstone Media

Außerdem betont Anderwald, dass Erbschafts- und Schenkungs­steuer der ungehinderten Vermögens­übertragung genauso entgegen­wirken können. Der Vorteil: Die Erhebungs­kosten fielen aufgrund der geringeren Zahl an Bewertungs­anlässen – im Durchschnitt einmal je Generation – weit weniger ins Gewicht als eine Netto­vermögens­steuer, die jährlich erhoben werden müsste.

Wie aber ließe sich sicher­stellen, dass die entstehenden Mehr­einnahmen sozial­staatlichen Zwecken zukommen? »Bislang müssen Steuern nicht zweck­gebunden eingesetzt werden«, so Anderwald. Der Staat könne Steuern zur Verwirklichung sämtlicher Aufgaben verwenden. Um mehr Transparenz zu schaffen, wäre es durchaus denkbar, dass man erzielte Einkünfte für entsprechende sozial­staatliche Zwecke einsetze. Allerdings bedürfe es dafür einer Rechts­grundlage. Etwas, das es bis heute nicht gibt – und die Forderung von Reichen wie Marlene Engelhorn umso dring­licher macht.

Anna-Maria Anderwald forscht zu nachhaltiger Besteuerung unter Berücksichtigung demo­grafischer, sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Entwicklungen an der Uni Graz. Marlene Engelhorn engagiert sich in der NGO guerrillafoundation.org für die Trans­formation der aus der Zeit gekommenen Philan­tropie hin zu Grassroots-Bewegungen für beständigen sozialen Wandel.

Anlässlich unseres 25-Jahr-Jubiläums haben wir uns in The Gap 192 »25 Fragen zur Gegenwart« gestellt. Dieser Beitrag beantwortet eine davon.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...