Reunion. Klingt ein bisschen so, wie kalter Kaffee schmeckt. Die Libertines ziehen das Ganze jetzt zum zweiten Mal durch. Aber siehe da, es ist sehr annehmbarer Eiskaffee geworden.
Geglaubt hat das niemand. Pete, gerade frisch aus der Entzugsklinik in Chan Buri entwischt, hat mit der Band dann das Album auch vor Ort – in den thailändischen Karma Sound Studios – eingespielt. Jetzt ist es wirklich da. Und ohne Vorbelastung kann man sich diesem eigentlich nicht annähern. Gut haben sie ausgesehen, die Refrains waren tight, die Gitarrenriffs schlampig, aber gewollt schlampig. »Up The Bracket«, das Debüt, hat seine Generation geprägt. Man ist in knallenge Jeans geschlüpft, hat Gedichte geschrieben oder Wilde gelesen. Das Erbe der Libertines ist eigentlich groß, auch wenn der geschrammelte Koks-Rock heute oft belächelt wird. 20.000 andere Gitarrenbands aus dem UK sind schuld daran.
Aber halt: nicht Pete, nicht Carl und nicht die Libertines. Was man hier hört, ist kein geheucheltes »We are back«, auch keine aufgewärmten Lieder, die sie am Dachboden ihres alten Proberaums gefunden haben. Das sagen sie auch selbst. Bzw. sagt das Carl Barat. Er wollte das hineinstecken, was er an den Libertines liebt. Er hat auch einen »alten« Song neu aufgenommen (»You’re My Waterloo«) und ihn aufs Album gepackt, weil er ihm damals zu wenig Zeit geschenkt hätte. Pete Doherty ist auch ganz stolz. Stolz, dass sie sich offenbar wirklich noch einmal aufgerappelt haben.
Schnöder aber seriöser
Die treibenden, schnellen Gitarren klingen zurückgenommen, man hört Piano im Hintergrund, sogar Synths, aber wo kommen die heute nicht vor. Wirkt cool, und wenn’s passt, ist’s ja auch wirklich cool. Progressiv sind die Libertines trotzdem nicht geworden. Ein bisschen abgehalftert, ein bisschen schnöder. Aber auch seriöser. Das hätte schon ziemlich in die Hose gehen können. Nun, ist es aber nicht. »Gunga Din« ist nicht umsonst als Single ausgesucht worden: der ganze Rest des Albums hat keinen eingängigeren Refrain. Man möchte sich wehren zu sagen, »das klingt schön nach den alten Libertines« – aber schließlich haben sie hier Komponenten von früher hineingepackt. Der fein eingespielte, abwechselnde Gesang von Carl und Pete, die fast quäkende Reggae-Gitarre, die gegen den Strich gezupft wird, dabei The Smiths und Konsorten im Ohr. Und dazu ein Refrain, der sich schnell einpendelt und zum Singalong wird, ohne zu nerven. Lässiges Augenzwinkern bei Zeilen wie: »Woke up again to my evil twin/ The mirror is fucking ugly and I’m sick and tired of looking at him«.
Weise Charmeure
Das Album klingt abgerundet, ausproduziert – trotzdem aber nicht übertrieben korrekt oder perfektionistisch. Es treibt eine Energie durch die elf Stücke, die sie bündelt (und keinen der Tracks außer »Dead For Love« über die Fünfminutenmarke hinaustreibt). Jugendcharme eingetauscht für Altersweisheit? Schon ein bisschen. Die Lyrics stammen erneut aus der Feder von Pete Doherty und Carl Barat – aber unabhängig von der starken Präsenz der beiden Frontmänner ist es natürlich auch wieder das gelungene Zusammenspiel mit Gary Powell und John Hassall, das die Platte harmonisch macht. Refrain und Lyrics stehen – anders als auf den beiden ersten Alben – in ausgewogenem Verhältnis zu den Rhythmen und den fast experimentellen Instrumentalparts. Jake Gosling (unter anderem Producer von One Republic und Ed Sheeran) hatte seine Finger im Spiel, der das Album eher Richtung späte Babyshambles statt zu den beiden Libertines-Vorgängern rückt.
Kaffee statt Tee
Die Kunstfertigkeit der Libertines liegt im Eingeständnis, dass eine Neuauflage ihres sehr erfolgreichen Debüts schlicht blödsinnig wäre. Das braucht es offenbar auch nicht. Mit »Anthem For Doomed Youth« ist ein sehr gutes Album gelungen, das keine Phrasendrescherei à la »die Jungs sind wieder ganz so wie früher da« nötig hat. Wäre es ihr Debüt, es hätte – trotz geänderter musikalischer und gesellschaftlicher Umstände – ein noch größerer Erfolg werden können. Die Libertines sind nicht mehr 20 und der Moment, in dem ihre Musik den Nerv der Zeit getroffen hat, ist überholt. Waren sie eine der ersten Bands in Großbritannien, die sich die Social Media-Kontakte zunutze gemacht hat, die eine neue Art von Fannähe und -kultur gepflegt hat, sind diese gebrochenen Konventionen schon dreimal rechts überholt worden. Nur – das wissen sie offenbar. Und gießen sich jetzt Kaffee statt Tee in die Tassen. Cheers.
"Anthem For Doomed Youth" erscheint am 11. September via Universal. Am 25. März gastieren sie in der Wiener Stadthalle.