60 Jahre Subkultur – Ein Round-Table-Gespräch mit Siluh Records, Konkord und Einbaumöbel

Drei Wiener Musikinstitutionen feiern dieser Tage ihr zwanzigjähriges Bestehen. Bernhard Kern von Siluh Records, Wolfgang Reitter von Konkord und Rebecca Strobl vom Einbaumöbel über Männerbands als leidige Tradition, Strukturarbeit, Autonomie und Selbstzweifel.

Ihr habt die heimische Musikszene der letzten zwanzig Jahre wahrscheinlich sehr aufmerksam verfolgt. Wie hat sie sich eurer Einschätzung nach entwickelt?

Rebecca: Was Gender und Diversität angeht, hat sich schon etwas verändert. Ich kann mich erinnern, als ich Schülerin war, hatten meine männlichen Friends oft schon Bands, meine Freundinnen und ich halt eher nicht, obwohl wir auch immer in der Musikschule gespielt haben. Es erfüllt mich mit Freude, dass es heute nicht mehr so ist, dass wir zu unseren Boyfriends auf die Konzerte gehen, sondern dass die zu unseren Konzerten kommen.

Bernhard: Wenn neue Bands im Venster oder im Einbaumöbel spielen, dann ist es eigentlich eher so, dass meistens mindestens eine non-cis Person auf der Bühne ist, sonst wirkt es fast schon weird. Das ist natürlich eine kleine Szene, ein Mikrokosmos. Aber es ist trotzdem schön.

Rebecca: Es ist halt ein Anspruch, den wir an uns selbst stellen. Wir legen Wert darauf, dass es Repräsentation auf der Bühne gibt.

Bernhard: Ich muss dazusagen, dass bei mir am Label natürlich auch All-Dudes-Bands sind. Das ergibt sich aus den persönlichen Zusammenhängen und Kontexten.

Wolfgang: In der Rockmusik ist es nach wie vor so, dass es eine Mehrheit von männlichen Bands gibt. Das ist einfach eine Tradition, die kaum weggeht. Ich gebe ja diese »Schnitzelbeat«-Serie heraus – du findest in den Sechzigerjahren kaum österreichische Musik von Frauen, am ehesten noch in der Volksmusik. Auch wenn es neuere Strömungen gibt, sind wir bei der Rockmusik im Wesentlichen ja in einer Geschichte, die fast fertig geschrieben ist. Da wird einfach das Muster immer wieder aufs Neue wiederholt. Es ist halt so.

Rebecca: Das ist genau das Ding: Es muss halt nicht so sein. Wenn man das gezielt fördert, wenn man gezielt FLINTA*-Personen eine Bühne gibt, dann gibt es eine Art Nachahmungseffekt. Aus dem Pink Noise Camp sind zum Beispiel urviele Bands entstanden. Das ist einfach aktive Arbeit, die man da reinstecken muss. Diese Traditionen oder Strukturen kann man schon verändern, aber das ist nichts, was sich von selbst entwickelt. Wenn Reini (Mader, ein ursprünglich für unser Round-Table-Gespräch angefragtes Einbaumöbel-Mitglied der ersten Stunde; Anm.) nicht gesagt hätte, ich soll statt ihm kommen, wäre auch das hier eine reine Männerrunde gewesen. Ich will das niemandem ankreiden, aber ihr seht, was ich meine, oder?

Wolfgang: Fakt ist schon, die Personen müssen erst einmal aktiv sein. Und es ist augenfällig, dass bei gewissen Sounds der Männeranteil überwiegt. Ich sehe das relativ neutral, wenn ich sage: »Es ist halt so.« Wir sind als Label nur bedingt in der Lage, das aus unserer Struktur heraus zu beeinflussen, weil wir eigentlich Anlaufstelle sind für Leute, die zu uns kommen.

Bernhard: Da muss ich widersprechen. Als alter Existenzialist sage ich: »Wir sind zur Freiheit verdammt.« Du kannst über jeden Schritt, den du machst, frei entscheiden, ob du in die eine Richtung gehst oder in die andere. Natürlich, wir leben in einem gesellschaftlichen System, das Patriarchat heißt, und deswegen spiegeln sich auch in der Musikszene zwangsweise viele Ungleichheiten wider. Gerade wir Männer sollten uns aber stärker selbst reflektieren. Auch wenn wir uns wie aufgeschlossene Feministen fühlen, tappen wir immer wieder in Fallen, die das Ungleichverhältnis, das es in der Gesellschaft gibt, auch in unserem Tun zum Vorschein bringen.

Bernhard Kern, Wolfgang Reitter und Rebecca Strobl (Bild: Teresa Wagenhofer)

Zu eurem Tun gehört auch eine gewisse Form des Kuratierens, des Auswählens, des Gatekeepings, wenn man so will. Wie geht ihr damit um?

Wolfgang: Für mich sind ein paar Dinge ganz klar. Erstens: Habe ich die Kapazitäten, etwas zu machen? Zweitens: Kann ich das, was erforderlich ist, für diese Kooperation zur Verfügung stellen? Und drittens: Kann ich mit diesen Leuten? Das ist wahnsinnig wichtig, weil ich in einem Projekt, das nicht dem Broterwerb dient, eigentlich nur mit Leuten zu tun haben möchte, die ich mag. Es muss eine Kommunikationsbasis da sein, die freundschaftlich und konstruktiv ist.

Rebecca: Im Einbaumöbel gibt es das System, dass immer drei Schlüsselträger*innen da sein müssen, damit eine Veranstaltung stattfinden kann. Wenn sich Leute finden, die Lust haben, diese Veranstaltung zu machen, und der Termin frei ist, dann kann sie prinzipiell stattfinden. Aber es gibt schon ein paar Parameter: zum einen dieser Blick auf Diversität auf der Bühne; zum anderen machen wir keine Veranstaltung, bei der Eintritt ist – es ist immer freie Spende. Da fällt dann schon vieles weg. Und natürlich hat man auch nicht unbegrenzt Zeit.

Bernhard: Eigentlich habe ich mich bis jetzt gar nicht als Gatekeeper gesehen. Für mich waren Gatekeeper immer eher die, die uns kleinhalten. Meine eigene Rolle habe ich da noch nie analysiert.

Weil du, Bernhard, wirtschaftlich von deinem Label abhängiger bist als die beiden anderen von ihren Projekten: Hast du dir bei einem Act schon mal gedacht, dass er eigentlich nicht zu dem passt, was du machen möchtest, dass er aber sicher groß wird und dass du ihn deshalb trotzdem machen solltest?

Bernhard: Eine schwierige Frage. Da ich das Label schon so lange alleine betreibe und ich die Entscheidungen selbst treffe, ist es immer wieder extrem schwierig. Es stellt sich dann auch oft die persönliche Sinnfrage: Soll ich mir nicht mal einen gescheiten Job suchen? Geht sich das weiterhin aus? Soll ich nicht Sachen veröffentlichen, für die ich gar nicht das Zielpublikum wäre, die aber vielleicht ein größeres Publikum erreichen würden? Über die zwanzig Jahre hat sich gezeigt, dass das Bauchgefühl das Wichtigste ist, denn wenn ich mit den Leuten nicht kann, wenn ich denen nicht das Richtige bieten kann oder nicht dieselbe Vision habe, dann bringt das nichts.

Wolfgang: Wirklich ein schwieriges Thema. Ich denke, wir haben immer wieder Sachen dabei, die größeres Potenzial haben, und kommen damit schon zumindest in Vorstufen des Erfolgs. Ich hatte zum Beispiel mal einen Track als eine von drei Optionen für die Jahreskampagne der größten südkoreanischen Consumer Bank. Das wären 12.000 Dollar plus Tantiemen gewesen – und ein Markt für Popmusik, der einfach gigantisch ist. Es ist leider ein anderer Track geworden, aber solche Chancen sind immer wieder da. Man träumt schon davon, aber andererseits muss man sich dann wirklich die Frage stellen: Kann ich quasi alleine die Lawine stemmen, die dann kommt?

Wenn es eure Projekte nicht geben würde, also das Einbaumöbel und eure Labels, würdet ihr diese heute noch einmal gründen?

Wolfgang: Ich glaube nicht. Weil ich ganz einfach aktuell nicht mit Leuten zusammen bin, die ein vitales Interesse daran hätten, so etwas gerade jetzt zu machen. Das Label ist bei uns ja irgendwie zum Selbstläufer geworden – es hätte aber genauso gut vor neunzehn Jahren schon wieder vorbei sein können.

Bernhard: Ich habe keine Ahnung, was ich machen würde. Es sind ja immer so kleine Dinge in einer Lebensbiografie: Wäre das Bock ma’s Festival nicht gewesen, wäre Rebecca vielleicht auch ganz woanders. Aber da ich vor Siluh Records schon immer Musiksachen gemacht habe, wäre es wahrscheinlich schon irgendetwas Musikmäßiges.

Rebecca: Ich habe das Einbaumöbel ja nicht gegründet … Versteht mich nicht falsch, ich liebe das Einbaumöbel, es ist cool, dass es das Einbaumöbel jetzt zwanzig Jahre gibt, und ich finde nachhaltige, langfristige Strukturen extrem wichtig. Aber politisch interessanter – gerade auch in diesem Spannungsfeld von Subkultur und Mainstream – finde ich das, was rund um die Freifläche in St. Marx und die geplante Veranstaltungshalle passiert. Es ist urcool, dass es da aktuell so eine breite Kampagne dagegen gibt und dass sich so viele Leute engagieren.

Wenn ihr euch für eure Labels etwas wünschen könntet, was wäre das?

Wolfgang: Ich bin eigentlich zufrieden damit, wie es läuft, es ist nur eine Zeitfrage. Ein bisschen mehr Raum für historische Wiederveröffentlichungen würde ich mir wünschen. Das ist etwas, das ich persönlich sehr gerne mache, das aber auch mit einem großen Aufwand verbunden ist. Und vielleicht, jemanden Jüngeren zu finden, der die Leidenschaft der Gründungsgeneration unseres Labels aufgreift und diesen weiten digitalen Bereich, den wir zeitlich nicht abdecken können, auf Schiene bringt.

Bernhard: Ich würde mir wünschen, dass die Leute ihr Konsumverhalten hinterfragen – also wie sie Musik konsumieren und wo sie Geld ausgeben. Das leidige Spotify-Thema – eigentlich finden es alle scheiße, aber alle machen mit. Oder sie fliegen für Konzerte irgendwohin und wenn sie am Eingang vom Einbaumöbel stehen und es ist freie Spende, dann gibt es kein Bewusstsein dafür, dass es eigentlich cool wäre, wenn man da vielleicht mal zwanzig Euro reinwirft.

Und was sind deine Wünsche fürs Einbaumöbel, Rebecca?

Rebecca: Dass immer wieder eine jüngere Generation nachkommt, die Lust hat, sich da zu engagieren. Und dass wir in Ruhe gelassen werden. Dass uns keine Steine in den Weg gelegt werden – so was wie die Registrierkasse, also all diese Reglementierungen. Dass wir einfach in Frieden unsere Sachen machen können.

Bernhard: Mehr freie Räume wäre noch ein wichtiger Punkt. Wenn alles kommerzialisiert ist, ist es für nicht kommerziell agierende Leute schwierig, irgendwo anzudocken. Freie Räume ermöglichen Dinge.

Rebecca: Ja, eine Wertschätzung gegenüber solchen Sachen wäre gut. Und die kann man von Seiten der Politik halt auch alleine dadurch bekommen, dass sie einen ungestört machen lässt. Oder Leute und Initiativen ausreichend finanziell fördert, die davon abhängen – damit in der Stadt weiter eine lebendige Musikszene wachsen kann.

Bernhard Kern, Wolfgang Reitter und Rebecca Strobl (Bild: Teresa Wagenhofer)

Siluh Records feiert seinen Zwanziger am 13. und 14. Juni mit dem Siluhrama Festival im Wuk in Wien. Von 27. bis 29. Juni darf im Einbaumöbel auf ebendieses angestoßen werden. Details unter www.siluh.com beziehungsweise www.1bm.at. Auch ohne größere Jubiläums­feierlichkeiten lohnt es sich, bei Konkord unter www.konkord.org vorbeizuschauen.

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