60 Jahre Subkultur – Ein Round-Table-Gespräch mit Siluh Records, Konkord und Einbaumöbel

Drei Wiener Musikinstitutionen feiern dieser Tage ihr zwanzigjähriges Bestehen. Bernhard Kern von Siluh Records, Wolfgang Reitter von Konkord und Rebecca Strobl vom Einbaumöbel über Männerbands als leidige Tradition, Strukturarbeit, Autonomie und Selbstzweifel.

© Teresa Wagenhofer

2005 wurden eure beiden Labels und das Einbaumöbel gegründet – außerdem noch Fettkakao sowie die Bands Bilderbuch und Ja, Panik. Habt ihr eine Erklärung dafür, dass damals gar so viel von nachhaltiger Bedeutung geschah?

Wolfgang Reitter: 2005 war das große Musikbusiness irgendwie schon vorbei. Man wusste aber noch nicht so recht, was jetzt kommen würde. Vinyl war quasi tot, die CD am absteigenden Ast – und der Digitalbereich entwickelte sich nur sehr langsam. Es war damals in Wien – wie übrigens auch heute – wahnsinnig viel los. Gleichzeitig gab es wenige Möglichkeiten, Musik zu produzieren, irgendwo zu veröffentlichen und den Markt zu erreichen. Es mussten neue Strukturen her. Das war für uns so das Ding mit Konkord: das auch selbst machen zu können.

War das auch für dich ein Impuls für die Labelgründung, Bernhard?

Bernhard Kern: Ich tue mir immer schwer damit, zum »Musikbusiness« ein Verhältnis herzustellen. Das war nie der Gedanke hinter Siluh Records. Ich wurde in den Neunzigern mit subkultureller Musik sozialisiert, die wahrscheinlich auch nicht mehr so subkulturell war, weil sie auf MTV lief. Aber man nahm sie trotzdem so wahr – Alternative und Indie, Hardcore und Punk. Ich bin am Land aufgewachsen und fand es immer schon arg, was es in Wien für tolle Sachen gab, auch wenn diese Bubble vielleicht nicht besonders groß war. Als ich schließlich nach Wien kam, war der Drang da, selbst was zu machen. Die Labelgründung kam dann eher zufällig, weil wir uns dachten: »Da gibt es diesen Gschu, der ist super. Warum bringen wir nicht eine Seven-Inch von ihm raus?«

Und wie geht die Einbaumöbel-Gründungs­geschichte, Rebecca?

Rebecca Strobl: Das Einbaumöbel entstand eigentlich aus dem Tüwi (einem basis­demokratisch organisierten Freiraum an der Universität für Bodenkultur; Anm.). Es gab dort regelmäßig Veranstaltungen, aber irgendwann nicht mehr genug Platz für alle, weshalb sich eine Gruppe aus diesem Umfeld dachte, sie hätten gerne einen eigenen Raum, wo sie ihre Sachen machen können. Also gründeten sie das Einbaumöbel. Ich selbst war zu der Zeit noch in der Schule. Am Land, wo ich aufwuchs, gab es aber auch Sachen, zum Beispiel das Bock ma’s Festival, ein Benefizfestival für Ute Bock. Das hat mich ziemlich geprägt.

Rebecca Strobl ist Obfrau des Kultur­vereins Einbaumöbel und dort seit etwa zehn Jahren aktiv. Außerdem ist sie Sängerin und Texterin der Wave-Punk-Band Rolltreppe. (Bild: Teresa Wagenhofer)

Bernhard, du hast das Label nie als Business verstanden, bist an dem Tisch jetzt aber der Einzige, der das als Hauptberuf macht.

Bernhard: Ja, ertappt. (lacht) »Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzen Scheiß.« Ist das nicht von den Lassie Singers? Also, es hat sich so ergeben. Davor musste ich auch viele, viele Selbstzweifel ausräumen, um diesen Entschluss zu fassen und zu sagen: »Okay, ich mach das jetzt professionell – was auch immer das heißt – und habe nicht noch andere Jobs nebenbei.«

Konkord ist als Verein organisiert. Gab es jemals die Überlegung, daraus einen Job zu machen?

Wolfgang: Absolut nicht, nein. Als ich vorhin sagte, dass das Business vorbei war, meinte ich gerade das Independent-Business. Wenn wir das, was wir mit unseren kleinen Labels seit 2005 machen, Mitte der Achtziger oder Anfang der Neunziger begonnen hätten, hätten wir wahrscheinlich eine Zeit lang ganz gut davon leben können. Dann hätte das viel mehr Impact gehabt. Aber diese Zeit war vorbei. Von meinem bestverkauften Album habe ich über die Jahre knappe 5.000 physische Tonträger verkauft. Wenn das der Peak ist, dann lässt du besser die Finger vom Versuch, davon leben zu können.

Rebecca: Welches Album war das?

Wolfgang: Die Buben in Pelz mit den Coverversionen von »The Velvet Underground & Nico«. Da bin ich jetzt – nach zehn Jahren – in der fünften Auflage. Wir haben schon einige Releases, die gut gehen, aber es sind halt immer auch Releases mit einer LP-Auflage von hundert Stück darunter. Was soll denn dabei rauskommen, außer das Payback der Herstellungskosten?

Wolfgang Reitter ist Mitgründer und treibende Kraft hinter dem Label Konkord. Dieses, »eine reine Freizeitbeschäftigung«, ging 2005 aus dem Partykollektiv Consum hervor. (Bild: Teresa Wagenhofer)

Auch das Einbaumöbel ist vereinsorganisiert. Gab es jemals die Idee, ein »richtiges« Lokal draus zu machen?

Rebecca: Fix nicht. Unsere Arbeit geht genau in die gegengesetzte Richtung. Wir wollen das auf keinen Fall kommerziell machen. Ich konnte schon viel Erfahrung in Kollektiven sammeln, und sobald dieser kommerzielle Gedanke dazukommt oder Leute Geld für ihre Mitarbeit haben wollen, wird es schwierig. Bis zu einem gewissen Grad ist das natürlich Selbstausbeutung, wobei mir der Begriff nicht so gefällt, aber man steckt schon viel unbezahlte Arbeit rein. Das Coole beim Einbaumöbel ist: Es finden sich trotzdem immer Leute, die das gerne machen. Dass immer klar war, dass niemand etwas bezahlt bekommt, und wir nur Sachen machen, die uns taugen, schützt uns auch vor diesem Kommerzialisierungsgedanken. Das ist extrem wichtig fürs Einbaumöbel. Und man kriegt ja irrsinnig viel zurück. In meinem Leben wäre ich jetzt ganz woanders, wenn es das Einbaumöbel nicht gegeben hätte. Ich habe da extrem viel gelernt.

Bernhard: Wie viele Leute seid ihr eigentlich insgesamt?

Rebecca: Ich würde mal sagen, zwischen zehn und 25, die regelmäßig aktiv sind. Und das Tolle ist, es ist wirklich sehr breit gefächert. Da gibt es diese Beatbox- und Freestyle-Sessions, dann gibt es Punk, Lesungen, Indie und Leute, die Country mögen. Es sind schon alle auch ein bisschen Freaks, das ist aber auch das Coole dran. Alle machen halt ihr Ding und wir kommen miteinander klar.

Wolfgang: Und wie finanziert ihr euch?

Rebecca: Ausschließlich über Spenden. Es ist eine bewusste Entscheidung, unabhängig sein zu wollen von Fördermitteln, autonom zu sein. Es ist ein bisschen so, wie wenn man erwachsen wird und irgendwann den Eltern nicht mehr auf der Tasche liegen möchte.

In gewisser Weise macht ihr alle Strukturarbeit. Was ist denn eure Motivation, genau diese Art von Arbeit zu leisten?

Wolfgang: Ich wollte immer eine Musiklabel haben, schon als Kind. Und ich hätte nie gedacht, dass das mal was wird. Ich bin zwar kein Musiker, war aber immer Musikfan. In meinem Hauptberuf mache ich den Vertrieb für den größten deutschen Buchverlag in Österreich, seit über zwanzig Jahren. Ich mag die Kommunikation mit Leuten, die etwas machen, ich bringe mich gerne in den Entstehungsprozess von Kunst ein. Das ist für mich durchaus auch ein relevanter Faktor: mit meinen Artists zu reden, gemeinsam eine Vision zu entwickeln und einfach die Idee eines neuen Albums Gestalt annehmen zu lassen. Manche sind natürlich so in ihrer Arbeit drin, dass sie ein fertiges Produkt auf den Tisch legen, aber mit anderen baust du das Puzzle gemeinsam. Das macht mir großen Spaß.

Rebecca: Das kann ich gut nachvollziehen. Wenn du ein Konzert organisierst, hat das ja eine gewisse Vorlaufzeit – manchmal sind es zwei Wochen, manchmal drei Monate. Du bist in Kontakt mit den Leuten, machst ein Plakat, die Aufregung steigt. Und dann gibt es diesen Moment, wenn du hinten im Publikum stehst und das Konzert läuft – das gibt einem viel zurück, also mir zumindest. Ich liebe das. Das Einbaumöbel gibt mir auch Raum, mich selbst zu entfalten – ich bin ja schon x-mal selbst dort aufgetreten. Und wenn ganz junge Leute kommen und hier ihre ersten Konzerte veranstalten, dann ist das einfach etwas sehr Schönes.

Bernhard: Es ist auch so ein bisschen ein Community-Ding – Gleichgesinnte finden und mit denen etwas machen; Leuten die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren; ihnen beistehen, aber durchaus auch von ihnen lernen. Und erstaunlich ist, dass ich bei den Bands und Musiker*innen, mit denen ich zusammenarbeite, die teils gerade einmal zwanzig Jahre alt sind, das Gefühl habe, die machen das aus einer ähnlichen Motivation heraus wie ich, als ich so alt war wie sie. Das macht es irgendwie für mich persönlich so besonders, weil zwanzig Jahre Siluh Records, das heißt natürlich, dass ich alt bin – und da komme ich mir dann nicht mehr ganz so alt vor. (lacht)

Bernhard Kern betreibt seit 2005 das Label Siluh Records – anfangs gemeinsam mit Robert Stadlober – sowie seit einigen Jahren auch den Siluh Laden in Wien-Brigittenau. (Bild: Teresa Wagenhofer)

Wolfgang: Also ich komme mir jetzt nicht unbedingt alt vor, aber ich sehe schon immer wieder mit einigem Grauen, dass wir mit Konkord im Regelfall doch Leute anziehen, die so sind wie wir selbst, die so alt sind wie wir. Also man schafft sich da schon so seine eigene Szene und die ist bei uns vorwiegend aus unserer Altersgruppe. Die jungen Leute machen sich eh alles selbst – in Wahrheit brauchen uns die ja nicht.

Auf der nächsten Seite: Fragen zur heimischen Musikszene und über Gatekeeping sowie Wünsche für die Zukunft.

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