Im Herbst 2017 veröffentlichen Fischerspooner ihr neues Album „Sir“, die dazugehörige Installation ist seit Ende Juni im Mumok zu sehen. Wir haben mit Casey Spooner bei seinem Besuch in Wien über Privatsphäre, interdisziplinäre Kunst und die Zusammenarbeit mit Michael Stipe und Boots gesprochen.
Warren Fischer und Casey Spooner mischen als „Fischerspooner“ seit 1989 die Kunstszene auf. Dabei bedient sich das Duo immer wieder interdisziplinären Ansätzen aus Kunst, Musik und Performance. Im Jahr 2002 landeten sie mit ihrem Song „Emerge“ auf internationaler Ebene einen Hit. Im Herbst 2017 wird ihr neues Album veröffentlicht, bei dem unter anderem auch Michael Stipe von R.E.M und Boots, der Produzent von Beyoncé, mitgewirkt haben. Ein Album reicht den Jungs auch dieses Mal nicht, neben Musikalischem zeigt das Mumok seit 30. Juni eine Installation der Gruppe. Wir haben die Gelegenheit genutzt und dem aus New York angereisten Casey Spooner ein paar Fragen gestellt.
Die Installation im Mumok gehört zu eurem neuen Musikalbum „Sir“. Zu welcher Zeit des Produktionsprozesses hattet ihr die Idee, ein Musikalbum und eine Installation zu verbinden? Wie korrespondieren diese beiden Werke miteinander?
Wenn wir einen “Creative Circle” haben – so nennen wir unseren Arbeitsprozess – sprechen wir über Musik, Film, Fotographie und Performance. Das passiert immer zur gleichen Zeit. Schon als wir begonnen haben, Musik zu machen, war das immer der Fall. Wir haben damit angefangen, einen Song zu produzieren, dazu gab es dann eine Performance, für die wiederum Kostüme entworfen wurden, dann folgte ein Film und so weiter. Wir haben immer einen integrativen Weg gewählt. Wenn du einmal loslegst und eine Perspektive einnimmst, kann sie durch Musik ausgedrückt werden, aber auch für alles andere angewendet werden: Für Design, für Film, für Fotografie. Alles fließt ganz natürlich ineinander. Wir haben schon immer so gearbeitet.
Die Installation basiert auf Fotografien von Yuki James. Inwiefern warst du in die Shootings involviert?
Ich habe ihn über Instagram entdeckt und mich sofort in seine Fotos verliebt, er casted sehr gut. Die Performer waren alle wunderbar in eine Art emotionalen Raum eingebunden. Es war sehr queer, ein sehr interessanter Mix von Weiblichkeit und Männlichkeit, Trans, verschiedenen Ethnien und trotzdem noch modisch. Die Bilder hatten einfach Fashion Quality. Ich habe ihn kontaktiert und wir haben begonnen, miteinander zu arbeiten. Er wollte, dass wir in meiner Wohnung shooten, was mir nicht so recht war. Ich mach so etwas nie. Ich habe meine privaten Räume immer auch privat gehalten. Zusätzlich wollte er mich auch noch nackt shooten. Das habe ich zwar ein paar Mal gemacht, aber es war jetzt nie ein großartiger Erfolg. Ich war von der Idee nicht so begeistert. Aber Yuki und ich haben im Laufe der Zeit eine Beziehung entwickelt und letztendlich alle paar Monate geshootet. Zu einem Shooting habe ich dann einfach jemanden mitgebracht, weil ich es mit der Zeit langweilig fand, immer nur allein fotografiert zu werden. Yukis Bilder haben mir dann so gut gefallen, dass ich mich mit der Idee, in meinem Appartment zu shooten, anfreunden konnte.
Dann hatte ich aber eine Deadline, um ein Buch für Damiani abzuliefern. Das ist ein Verlag, mit dem wir zusammenarbeiten. Durch die Fotos von Yuki bin ich auf die Idee gekommen, mich auf verrückt-sexy-verträumte Inneneinrichtung zu spezialisieren. Yuki und ich wollten einfach eine Art Wohnungs-Fantasie-Serie schießen. Eigentlich dachte ich, dass wir uns mehr auf Inneneinrichtung fokussieren. Das Buch zu shooten war sein erster Job, ich war der erste, der ihn engagiert hat. Es war mein zweites Buch und ich habe mich sehr darüber gefreut, Fotos zu machen, die wir danach auch tatsächlich veröffentlichen k . Wir hatten Schwierigkeiten am Set, weil bei seinen Fotos das Subjekt immer im Zentrum des Frames war – und zwar horizontal. Ich habe ihm immer wieder gesagt: “Yuki, wir shooten für ein Buch. Fotografiere das so, damit es auf einer Doppelseite funktioniert!“
Die Installation thematisiert Privatsphäre und Selbstpräsentation. Inwiefern sind deines Erachtens nach Privatsphäre und Selbstpräsentation kompatibel oder schließen sich gegenseitig aus?
Wenn ich von Selbstpräsentation spreche, meine ich den Moment, in dem Leute broadcasten. Also wenn sie Bilder von sich machen, wenn sie beispielsweise Instagram, oder Snapchat benutzen, denn dann performen sie und zwar im privaten Raum. Sie übertragen Bilder aus dem Privaten in den öffentlichen Raum. Es ist eine Art Dichotomie. Man stellt sich die Frage: Was ist Persönlichkeit? Was ist Privatsphäre? Diese ganzen Konzepte ändern sich momentan. Der Cast für die Fotos war ein Mix aus Leuten, mit denen ich gearbeitet habe, oder mit denen ich eine sexuelle Beziehung hatte. Es waren auch Leute dabei, die ich überhaupt nicht kannte. Sie sind alle Teil meiner Narration. Ein großer Teil des neuen Albums ist ein Versuch, persönliche Narrationen zu beleuchten, über die es normalerweise eben keine Songs und Geschichten gibt. Und sie sind eben verbunden mit meinem sozialen Leben und mit meinem Sexleben.
An „Sir“ haben unter anderem auch Michael Stipe und Boots mitgewirkt. Wie kam es zu der Kooperation und wie hat sich die Zusammenarbeit auf den Arbeitsprozess ausgewirkt?
Ich hatte diesen einen Song von Warren, den ich überarbeiten sollte und bei dem ich einfach nicht weitergekommen bin. Michael Stipe ist ein guter Freund von mir und ich habe ihn kontaktiert und ihn um Hilfe gebeten. Er hat unfassbar schnell verstanden, wie man etwas Großartiges und Wunderschönes daraus machen kann. Michael hat eine sehr spezifische Art zu arbeiten, sehr unterschiedlich zu meiner, sehr schnell, sehr roh und wirklich cool. Er ist dann öfters vorbeigekommen und hat sich angehört, woran ich arbeite und hat mir dabei Feedback gegeben. Zum Glück habe ich in der Zeit meditiert und war deshalb extrem gechillt. Er ist mit einer Machete durch alle meine Songs gelaufen und ich habe mir nur gedacht: Nimm es als Erfahrung und lerne zu wachsen. Er war also für eine Zeit lang sozusagen mein Song-Doktor.
Wir haben mehr und mehr Songs überarbeitet und der Arbeitsprozess hat sich dadurch verlängert. Ich bin dann mit Michael weggefahren und habe zum ersten Mal Songs außerhalb von New York geschrieben. Michael hat dieses Grundstück: Er hat mich irgendwie in sein Celebrity-Gefängnis eingespert. Man kann sich das wie einen Künstler-Zufluchtsort vorstellen, ein Mix aus Schreibwerkstatt, Workshop, Spa und Gefängnis. Ich konnte nicht raus, alles war umzäunt und mit Überwachungskameras gesichert. Sein Programmplan war unnachgiebig: Von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends. Ich habe immer so um die vier Stunden geschlafen und nach einem Kaffee hat mich Michael meist zu irgendeiner Art von Köperbehandlung geschickt. Pilates, Massagen, Akkupunktur, so etwas in der Art. Zu essen hat es irgendeinen veganen Haferschleim gegen und am Abend sind wir zurück ins Studio und haben immer die ganze Nacht gearbeitet. Zwischen 3 und 6 Uhr morgens war die beste Zeit. Michael hat mich ermutigt, während der Aufnahmen zu trinken und zu rauchen und einfach dekadenter zu sein. Wenn die Vocal-Aufnahmen nicht funktioniert haben, hat er mich zwei Runden um den Block gejagt und wir haben Weed geraucht oder Tequila getrunken. Das hat den Schreib- und Arbeitsprozess natürlich verändert.
Wie ist es die Zusammenarbeit mit Boots entstanden? Welchen Einfluss hatte er auf eure Arbeit?
Warren kannte Boots schon länger über einen gemeinsamen Freund. Die beiden waren gemeinsam in L.A. und Warren hat Boots die Aufnahmen vorgespielt. Boots war sofort begeistert und wollte sich bei der Programmierung einbringen. Er hat uns dann gefragt, ob er uns bei der Mischung helfen kann und hat uns mit Stuart White bekannt gemacht, mit dem er schon bei früheren Projekten zusammengearbeitet hatte. Wir haben ihm dann „Have Fun Tonight“ geschickt und ich habe mir nur gedacht: „Aaah, wie großartig ist das?“ Gleichzeitig ist mir klargeworden, dass wir die anderen Songs auch nochmal mixen müssten, damit sie zu „Have Fun Tonight“ passen würden. Warren war dagegen, auch weil er wusste, dass wir uns das nie leisten könnten. Ich bin dann alle unsere Konten durchgegangen. Wir hatten gerade genug Geld, um Stuart noch eine Mischung machen zu lassen. Nach diesem Song hat mir Warren eine Mail mit „YOU WERE RIGHT“ geschrieben. Alles in Caps. Daraufhin hat Stuart all unsere Singles gemischt. Dass Stuart und Boots überhaupt so viel mitarbeiten konnten, war eigentlich nur möglich, weil Beyoncé zu der Zeit schwanger war. Irgendwann hat es dann geheißen, dass Beyoncé ihre Kinder bekommen hat und wir noch eine Woche Zeit haben, um mit den beiden zu arbeiten. Ich hab mir nur gedacht: „Beyoncé, bitte bleib noch ein bisschen bei deinen Babys. Nur eine Woche, sie brauchen dich!“
Die Zusammenarbeit mit Boots war aber nicht nur musikalischer Natur. Er hat mich auch beeinflußt, was den Umgang mit dem Musikbusiness betrifft. Wir wollten die erste Single eigentlich am 2. Juli veröffentlichen, aber es hat sich alles verzögert und ich war irgendwann ziemlich frustriert. Ich hab ihm irgendwann während der Arbeit an „I need love“ erzählt, dass einfach nichts vorangeht, weil das Management den Termin ständig nach hinten verschiebt. Er hat dann einfach gesagt: „Hey, weißt du, wie du 2017 ein Album veröffentlichst? – Du leakst es.“ Er hat mir daraufhin eine E-Mail-Adresse gegeben und gemeint: „Drück einfach auf ‚Senden‘, Baby.“ Ich habe es dann einfach abgesendet – ohne vorher mit Warren, dem Management oder dem Label zu sprechen. An Pitchfork. Die haben sich dann eine Stunde später gemeldet und gemeint, dass sie es gern veröffentlichen würden. In der Sekunde, als es live ging, hat sich alles verändert.
Die Single „Have fun tonight“ wird auf YouTube als ein queerer Song über Polyamory beschrieben. Hast du das Gefühl, Clubkultur öffnet genug Raum, um Diversität zu zelebrieren?
In New York auf jeden Fall, es ist großartig. Jeder ist in New York. Es ist ein Melting Pot, es gibt gay, straight und queer. Es gibt Menschen aller Ethnien, jung, alt, trans, drag und so weiter. Ich liebe New York wegen seiner Diversität, es gibt dort genug Raum für jeden.
Wie hat sich Clubkutlur in den letzten Jahrzehten verändert?
Vor zehn Jahren gab es in New York einfach nichts, wo man zum Tanzen hingehen konnte. Ich habe es schon immer geliebt zu tanzen und auszugehen. Aber jetzt ist New York auf einem Höhepunkt. Es ist unglaublich.
Ihr habt von Beginn an versucht, Kunst zugänglicher zu machen. Wie definierst du „zugängliche“ Kunst?
Ich denke einfach so. Und ich liebe es zu Teilen. Es macht so großen Spaß, etwas mit jemandem zu teilen. Zum Beispiel: Bevor die Ausstellung eröffnet wurde, war ich mit der Installation rein technisch gesehen sehr zufrieden. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich es fühle. Dann hatten wir eine Pressekonferenz und es sind mehrere Leute hineingegangen. In der Sekunde, in der die erste Person den Raum betreten hat, wurde er zum Leben erweckt. Ich weiß nicht, was das ist. Kennst du das, wenn du jemanden mit in deine Wohnung nimmst und plötzlich siehst du die Wohnung zum ersten Mal durch diese Person? Und du denkst dir so: „Scheiße, das hätte ich putzen sollen“, oder “ Oh mein Gott, ich kann nicht glauben, dass ich das da übersehen habe.“ Genau das ist auch bei der Ausstellung passiert. Jemand hat den Raum betreten und ihn damit zum Leben erweckt. Und ich meine, wer möchte nach Exklusivität streben? Exklusivität ist so langweilig. Es sind langweilige Leute die langweilige Dinge an langweiligen Orten machen. Also nein, Exklusivität ist nicht meins. Inklusivität ist cool, vielleicht sogar mehr als Zugänglichkeit. Oder beides. Nehmen wir beides: Inklusivität und Zugänglichkeit, das brauchen die Leute.
Die Installation „Sir“ von Fischerspooner ist seit dem 30. Juli 2017 bis zum 29. Oktober 2017 im Mumok zu sehen. Mehr Informationen findet ihr hier.