Die eben angetretene, neue Intendantin des Tanzquartiers, Bettina Kogler, und ihre Performancekuratorin, Christa Spatt, wollen aus dem Tanzquartier ein Denkquartier machen. Damit soll Tanz nicht nur denkbar werden, sondern auch allen offen stehen, die Freude an Bewegung haben.
Alles neu im Tanzquartier, nicht nur auf personeller Ebene, durch die eben angetretene Intendanz, sondern – aufgrund der eben beendeten Renovierungsarbeiten – auch räumlich. Erleichterte euch dieser Umstand den Neuanfang? Oder spielen solche räumlichen Veränderungen gar keine Rolle?
Bettina Kogler: Es war insofern spannend, weil wir auch die Möglichkeit hatten Räumliches zu hinterfragen. Das bedeutet auch die Räume nicht nur ästhetisch zu verändern, sondern auch praktisch. Da geht es ganz einfach zum Beispiel auch um die Verbesserung der Garderobensituation. Unsere Architekten vom Architekturbüro KENH haben im Vorfeld auch mit vielen Nutzern im TQW gesprochen, um sich auch diesem funktionellen Teil anzunähern. Diese Verbesserungen kann ich in meine Intendanz mitnehmen. Insgesamt würde ich schon sagen, dass so ein Neubeginn, der mit einem räumlichen Neubeginn zusammenfällt noch spannender und vor allem auch umfangreicher ist, weil er einen die ganze Institution neu denken lässt. Manches fällt den Besuchern vielleicht gar nicht so auf, aber für uns ist entscheidend, dass viele Dinge jetzt einfach besser funktionieren.
Abschließend zum Thema Neubeginn – wie viel davon ist Zurückdenken ans Alte und Bestandsaufnahme, wie viel Vorausdenken und Vision?
Kogler: Das Konzept, das ich damals abgegeben habe, knüpfte eigentlich an eine sehr genaue Bestandsaufnahme an. Ich kenne das TQW seit seinen Anfängen und erinnere mich sogar noch an die damalige Baustelle und die Diskussionen in der Szene, die das TQW teilweise auch kritisch hinterfragt haben. Ich war selbst oft dort, auch als neugierige Besucherin – deshalb war es mir wichtig, die persönliche Erinnerung mit einer genauen Bestandsaufnahme und Inventur zu überprüfen. Mir war es außerdem wichtig, auch wenn man natürlich sehr viele eigene Visionen hat, an gute Dinge wie die Stärkung des TQW als Forschungsinstitution unter der ersten Intendantin Sigrid Gareis, anzuknüpfen. Das wieder verstärkt aufzunehmen, ist zum Beispiel ein Ergebnis einer solchen Bestandsaufnahme. Es ist eine Mischung aus Bestehendem, das Kontinuität verspricht und dem Wunsch auch neue Impulse zu setzen.
Ich würde hier gerne an das Thema Kontinuität anknüpfen, weil ich das Gefühl habe, dass für viele Menschen die Tanzszene vor allem aus Festivals besteht. Seht ihr euch, im Gegensatz dazu, als Zentrale oder Schaltstelle?
Christa Spatt: Schon, wir sind schließlich auch der einzige Ort, der sich das ganze Jahr über dem zeitgenössischen Tanz widmet. Alle anderen Häuser sind Multi-Genre-Häuser. Deshalb finde ich es auch so wichtig, eine Institution zu haben, die sich das ganze Jahr über mit all den verschiedenen Facetten des Tanzes beschäftigt. In dem Sinn verstehen wir uns auch als Anlaufstelle für die Szene und lokal ansässige Kunstschaffende. Hier spielen vor allem auch die Trainings, Studios und der Forschungsbereich eine wichtige Rolle.
Kogler: Ich glaube, dass sich der lange Atem unterm Jahr lohnt, weil er ein Bewusstsein für zeitgenössischen Tanz in der Gesellschaft schaffen kann. Das TQW soll deshalb nicht nur mit einer starken Stimme sprechen, sondern die ganze Zeit so vor sich hin sprechen. Das ist auch ein Grund dafür, warum wir uns dafür entschieden haben, im kommenden Jahr mit Themensträngen zu arbeiten – damit diese starke Stimme und damit auch unser kuratorischer Gedankengang nachvollziehbar werden. Jede Produktion steht für sich allein, aber es ist ein Angebot, einen roten Faden ins Programm zu bringen, dem man gerne folgen kann. Deshalb wird das TQW für mich auch immer mehr zum Denkquartier – ein Ort an dem gesellschaftliche Themen, auf mehreren Ebenen verhandelt werden, von denen die tatsächliche Performance nur eine ist.
Was sind das für Ebenen?
Kogler: Es wird heuer ein neues Theorieteam geben, das dreiköpfig ist und sowohl den choreographisch-analytischen Bereich, wie auch den popkulturellen und den genderpolitischen Bereich abdecken soll. Außerdem wird es das TQW Magazin geben, in dessen Rahmen zu jeder Produktion ein reflexiver Text verfasst wird. Wichtig ist mir auch, dass das TQW ein Ort wird, an dem die Besucher selbst tanzen. Dafür haben wir ein paar neue Formate eingeführt und den Trainingsbereich neu überdacht, so dass nicht nur das Profitraining verstärkt wurde, sondern auch Open Level Kurse angeboten werden – für alle, die sich gerne bewegen. Da gehören zum Beispiel auch Stimmtraining und Tai Chi dazu. Golden Hour ist ein neues Format, das die Besucher dazu einlädt bereits ab 18 Uhr „fortzugehen“. Ein Angebot an alle, die das nicht erst um 2 Uhr früh, sondern schon nach der tun möchten. Der Hintergedanke dazu ist, dass wir hier einfach die Freude an der Bewegung fördern wollen. Wenn es darum geht die Institution zu öffnen, sollte man verschiedene Einladungen formulieren, so dass sich möglichst viele angesprochen fühlen.
Ich glaube, dass dem Tanz, in der Wahrnehmung vieler Menschen, etwas total Unzugängliches anhaftet. Dabei ist ja, frei von Sprachbarrieren, der Körper eigentlich eines der zugänglichsten Medien. Nehmt ihr das auch so wahr?
Spatt: Diese Barriere kennen wir aus unserer eigenen Erfahrung natürlich auch. Ich glaube, dass sich viele Leute gerade beim zeitgenössischen Tanz denken, dass sie das nicht verstehen oder zuordnen können. Dabei bedeutet zeitgenössischer Tanz mittlerweile so viele Dinge, aus denen sich jeder und jede etwas herausnehmen kann. Manches ist sehr theatral, anderes wiederum sehr installativ, und dazwischen ist auch alles möglich. Deshalb würden wir es gerne schaffen, dass die Leute sich einfach trauen reinzugehen und davon wegkommen, immer alles verstehen zu müssen.
Kogler: Eine Sache, die das gut verkörpert ist unsere TQW Tanzquartierfiliale in der Neustiftgasse. Ein leeres Geschäftslokal, das 365 Tage von Alexander Gottfarb und seinem Team betanzt wird, und zwar täglich von 10 bis 18 Uhr. Man kann einfach reingehen, oder draußen stehen bleiben und nur von der Straße aus reinschauen. Wer hier aber tatsächlich reingeht, findet so vielleicht einen Zugang zum Tanz. Schließlich haben wir alle einen Körper und bewegen ihn.
Die Eröffnungs-Performance wird Doris Uhlichs „Every Body Electric“ sein. Setzt man mit der Eröffnung auch immer ein Zeichen dafür, in welche Richtung es in den nächsten Monaten und Jahren gehen wird?
Kogler: Ja, bestimmt. Es ist auch so, dass wir die wichtigsten Eckpfeiler auch in unserem Eröffnungsprogramm untergebracht haben. Daran sollte man schon ganz gut erkennen, wohin die Reise gehen wird. Wir versuchen dabei auch, sowohl unsere Wertschätzung lokalen Kunstschaffens als auch unser großes Interesse für außereuropäisches choreografisches Schaffen unterzubringen. Bei Doris Uhlich ist es eigentlich ziemlich klar, dass wir damit ausdrücken wollen, wie wichtig uns die Diversität der Körper ist. Eben nicht nur den jungen, fitten Körper zu zeigen, sondern eine Vielfalt verschiedener Körper. Es ist auch ein klares Statement gegen Ausgrenzung und für Offenheit, dass wir mit dieser Performance beginnen. Eine solche Aussage kann man momentan wohl nicht oft genug vorbringen.
Welche Möglichkeiten eröffnet einem der Tanz, im Sinne eines politischen Kommentars, wie ihn eine andere Kunstform vielleicht nicht leisten kann?
Spatt: Ich denke, dass das viel mit der Unmittelbarkeit des Körpers zu tun hat. Schließlich geht doch alles immer irgendwie auch durch den Körper. Bestimmte Zu- oder Umstände schreiben sich in den Körper ein und drücken sich dann durch ihn auch wieder aus. Damit funktionieren auch Zuspitzungen sehr gut. Oder Provokationen, die mit der Verletzlichkeit des Körpers arbeiten und Tabus brechen.
Kogler: Außerdem ist der Tanz ein sehr schnelllebiges Genre, mit relativ kurzen Produktionsprozessen. Das lässt einen besonders schnell auf bestimmte Themen reagieren. Diese Flüchtigkeit, die der Choreographie innewohnt, hat deshalb immer einen sehr hohen Aktualitätswert.
Ich habe gelesen, dass das TQW fortan zu einem kreativen Ort für neue Geschichten und eine bessere Zukunft werden soll. Wie sieht diese bessere Zukunft für euch aus?
Kogler: Das ist eigentlich ein Ansatz von Donna Haraway, der im Grunde bestechend einfach ist. Sie bemerkt darin, dass unsere Welt einfach zu komplex ist und uns deshalb oft hilflos zurücklässt. Obwohl der Einzelne bemerkt, dass alles schief läuft, kann er eigentlich nichts machen. Ihr Ausweg besteht darin, dass wir uns die schlechten Geschichten nicht die ganze Zeit wieder und wieder erzählen dürfen, denn so schreiben wir sie auch fort. Ihre Idee ist ein „storytelling for a better future“ – der Mensch sollte also seine kreative Energie nutzen, um sich neue Geschichten auszudenken und diese dann weitererzählen. Zeitgenössische Kunstinstitutionen sollten jene Orte sein, an denen das möglich ist.
Wie lässt sich verhindern, dass solch neue Geschichten nicht sofort in den Bereich der Utopie abgeschoben werden?
Spatt: Man kann die Arbeit Doris Uhlichs dafür ruhig als Baustein verwenden. Bis vor Kurzem war so eine Performance noch undenkbar. Jetzt ist sie Realität. Es ist ein Versuch zu zeigen, dass manches utopisch klingt, aber vielleicht gar nicht so weit weg ist. Obwohl man solch inklusive Stücke vorher nie irgendwo gesehen hat, ist diese Utopie lebendig geworden. Und eben so etwas sollte sich das Tanzquartier trauen.
Die Eröffnung findet von 25. bis 27. Jänner in den Räumlichkeiten des Tanzquartiers statt.