Was Kino sein kann: Norman Shetler im Porträt

Norman Shetler ist als Geschäftsführer des Gartenbaukinos und seit Herbst 2017 auch des final ins Künstlerhaus übersiedelten Stadtkinos und dessen Verleih eine der prägenden Persönlichkeiten des heimischen Kino- und Filmbetriebs. Seine Zugänge und Einstellungen zum Thema Film forcieren dabei in den letzten Jahren einen offener werdenden Dialog, seine Ideen werden auch von anderen Kinos gerne aufgenommen.

Schon während der Schule hatte der Filmfan begonnen bei Pickwick‘s in der Marc-Aurel-Straße zu arbeiten und sich dann schnell für die Arbeit in der eigenen Videothek, im Alphaville, entschieden: »Ich hab zu studieren begonnen, aber nicht verstanden, wieso es mein Lebenskonzept sein soll, nach dieser ›Höheren Bildung‹ zu streben. Ich wollte nicht viereinhalb Jahre studieren, nur um studiert zu haben. Lieber hab ich mich auf die Suche begeben – ich habe geschrieben, mich früh mit IT beschäftigt, war Teil der Blackbox-Community oder habe mich auch ab 1994 mit dem Online-Auftritt der Viennale beschäftigt. Und dann habe ich zehn Jahre aktiv und insgesamt 13 Jahre das Alphaville betrieben«, beschreibt Norman seine Zeit vor der Leitung des Gartenbaukinos. Dass er studieren oder auf die Filmakademie gehen sollte, um eigene Filme zu machen, waren für ihn Ideen, die von anderen an ihn herangetragen wurden und gegen die er sich entschied. Seine Filmsozialisation hatten viele Besuche im Wiener Filmmuseum in den späten 80er und frühen 90er Jahren intensiviert: »Das war ein Triumvirat aus Viennale, Filmmuseum und Videothek, aus dem ich meinen Filmkonsum zusammengestückelt habe und das meinen breit gefächerten Geschmack und meine Liebe und meine Sehnsucht zum Film beeinflusst hat.« Das Alphaville war eine wichtige Videothek in der Wiener Schleifmühlgasse, die von Norman gemeinsam mit Georg Schneider betrieben wurde und in der es in erster Linie fremdsprachige Filme gab. Filme, die man Arthouse nennen konnte, aber auch US-Serien, bevor der Streamingmarkt alles verändert hat. Die Videothekenbetreiber erkannten früh, dass das Alphaville als Videothek so nicht ewig existieren kann und so hat sich Norman, der bereits zuvor Kontakte zur Viennale und zum Gartenbaukino hatte, um die Nachfolge der damaligen Gartenbau-Geschäftsführerin beworben. Der Wechsel ging rasch vonstatten, die erste Zeit dort war jedoch nicht einfach. Denn trotz Geschäftssinn und bereits vorhandenem Einblick war es sein erster direkter Kontakt mit der Kulturpolitik: »Genau in der Woche, in der ich begonnen habe, kam der Bericht des Kontrollamts zur Situation des Gartenbaukinos und ich musste mit vielen mir völlig neuen Themen zurechtkommen. Das erste Jahr war hart, dann ging es besser.«

Das 1960 erbaute Gartenbaukino ist Wiens großes Premierenkino. Der Saal fasst 736 Sitzplätze und man spielt bis heute mitunter von 70mm. © Olah

Öffnung

Kontakt zu Kultur hatte Norman schon im Elternhaus. Seine Eltern sind aus den USA nach Österreich gekommen – sein Vater als Konzertpianist. In Wien geboren ist Norman zweisprachig aufgewachsen und profitiert davon bis heute – etwas, das er seinen drei Kindern auch weitergeben will. Das Alphaville war durchaus auch so etwas wie ein Szenetreffpunkt. Wenn er über die Zeit im Alphaville spricht, dann erinnert er sich an die Leute, mit denen er dort gearbeitet hat, aber auch an das bunte Miteinander der Kunden: »Da waren Mistkübler, genauso wie Adelige oder auch Künstler.« In den letzten neun Jahren fällt im Gartenbaukino auch eine Öffnung in Richtung neuer Zielgruppen auf. Die Reihe »Schinken« feiert das große alte Kino und seine Filme, »Strahler 80« bringt uns in die eigene Jugend zurück – mit Filmen, die wir damals vielleicht nicht im Kino gesehen haben. Eine andere Reihe bringt Kinderfilmklassiker wieder ins Kino. Es sind Reihen, die oft nicht nur kommerziell gut funktionieren, sondern auch für emotionale Höhepunkte sorgen. Eine Öffnung weg von einer – zumindest österreichischen – Vorstellung von Programmkino. »Meine Sozialisation ist hier sehr amerikanisch geprägt und ich mag die selbstverständliche und viel freiere und ungezwungenere Form der Cinephilie in diesem Kulturkreis. Deswegen muss auch nicht jeder Film, den wir zeigen, als Empfehlung gelten. Filme können auch in ihrer Zeit einfach Relevanz haben oder eine Haltung vertreten.« Es gibt hier dementsprechend auch Retrospektiven – so wie im März aktuell das Gesamtwerk von Guillermo del Toro –, die es in anderen Kinos vielleicht nicht gegeben hätte: »Es geht mir hier schon darum eine Nische zu finden und Namen zu nehmen, die vielleicht populärer sind, aber deswegen nicht weniger interessant oder relevant. Und bei den Kindervorstellungen geht es mir um Filme für Familien, die vielleicht gar nicht dezidiert Kinderfilme sind. Auch mein 6-jähriger Sohn versteht sofort den visuellen Humor von Jacques Tati.« Und selbst die 80er-Filmreihe kommt ohne Klischees und »Wickie, Slime und Paiper«-Feeling aus: »Das ist wichtig, es ist ironiefrei. Das sollen keine guilty pleasures sein. ›Ferris Bueller’s Day Off‹ ist einfach ein wahnsinnig guter Film. Punkt. Und das kann man kollektiv im Kino gemeinsam zelebrieren. Man mag von ›Dirty Dancing‹ halten, was man will, aber wenn 700 Leute aufstehen und mitsingen, dann ist das ein Erlebnis.« Norman Shetler gestaltet hier im Kino etwas mit, das parallel auch in der Musik stattfindet, wo seit Jahren U- und E-Zuschreibungen aufbrechen und sich etwa das Konzerthaus für Songwriting und Popmusik öffnet: »Das ist einfach zeitgemäß und auch das Slash/ ist ein Beispiel für Arbeit zwischen Trash und Kunstfilm. Das funktioniert und damit kann ich auch etwas anfangen.«

Prägende Erlebnisse

Schwer fällt Norman Shetler die Antwort auf die Frage, was ein Film haben muss, um ihn zu begeistern: „Wenn ich die prägenden Erlebnisse durchgehe, gehören dazu ›Die sieben Samurai‹ im Original ohne Untertitel auf Holzstühlen im Österreichischen Filmmuseum, aber auch ›Attack of the Killer Tomatoes‹ auf einer VHS-Kassette, bei der die letzten 15 Minuten fehlten. Ebenso der Moment, als ich Kubelka gesehen habe – ›Arnulf Rainer‹ und die Reihe ›Was ist Film‹ – und sich ein völlig neuer Bereich geöffnet hat.« Er kann sich aber auch noch über Star Wars- und Marvel-Filme freuen. Die Arbeit im Gartenbaukino hat neben inhaltlichen auch organisatorische und unternehmerische Aspekte: »Es ist wohl nicht so romantisch, wie man sich das vielleicht vorstellt. Es ist ein Betrieb wie jeder andere mit Marketing, Personal und Budgets. Als geförderter Betrieb hat man den Luxus, inhaltlich mitunter Dinge tun zu können, die andere vielleicht nicht machen würden.« Als Beispiel nennt er die John-Carpenter-Schau 2016, die sich ökonomisch nicht rentiert hat. Das Gartenbaukino ist als Unternehmen eine Tochter der Viennale GmbH und bekommt eine seit 2005 nicht mehr veränderte Betriebssubvention von 400.000 Euro pro Jahr. Diese Förderung schließt andere Förderungen aus. Alles darüber hinaus muss über Ticketverkäufe, Vermietungen für Events und Partys, aber auch lukrative Eigenveranstaltungen wie die Stand-Up-Comedys finanziert werden. Beim Kinoprogramm gibt es rund 400 Filme, die Verleihe pro Jahr in Österreich ins Kino bringen – die meisten davon scheiden aus Qualitätsgründen aus. Von den 50 interessanten bleiben vielleicht 15 neue Filme, die dann im Gartenbaukino jährlich starten. Im Herbst 2017 wurde Norman Shetler von Viennale-Geschäftsführerin Eva Rotter auch die Führung des Stadtkinos im Künstlerhaus, das gerade umgebaut wird, angeboten, die er seitdem zusätzlich übernommen hat. Gründe dafür  waren Einsparungsmaßnahmen, um den Betrieb weiterführen zu können. Zum Stadtkino gehört neben dem Kino auch ein Verleih, der für Shetler eine spannende Aufgabe darstellt. Beiden Kinos gemeinsam ist, dass ihre Historie gepflegt werden will, während sie sich auch permanent sanft erneuern müssen.

Das Stadtkino ist ins Künstlerhaus gesiedelt und etabliert sich dort mit Gastronomie und Reihen wie dem neuen »Widerstandskino«. © Stadkino

Inhaltliche Arbeit

In der Konkurrenz um Aufmerksamkeit, Zeit und Budget der Gäste sind auch Kinos gezwungen, den Kinobesuch zum Event hochzukochen, weswegen immer mehr Kinos auf Reihen und Specials setzen. Norman kann das nachvollziehen, will sich nach Möglichkeit aber nicht wiederholen: »Ich bin aktuell auf der Suche, ich möchte auch im Stadtkino Neues probieren und setze unter anderem auf eine inhaltliche Arbeit wie die Nachhaltigkeit in #kinodenktweiter im Gartenbaukino, oder im Stadtkino die Reihe ›Widerstandskino‹.« Das bringt neue Kontakte und ganz neue Kooperationen. Und während das Gartenbaukino kein dezidiert politischer Raum ist, soll dies im Stadtkino eine Rolle spielen. Wichtig bleibt im Gartenbaukino auch 70mm als Filmformat, das mit neuen Events gefeiert werden soll. Auch das ist eine Form der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kinohauses selbst. Im Stadtkino gibt es die funktionierende Reihe »Frühstückskino« in Zusammenarbeit mit dem beliebten Lokal »Ludwig und Adele« im Kinofoyer, im Gartenbaukino bleiben »Schinken« und »Strahler 80« auf dem Programm.

Veraltete Strukturen

Zum österreichischen Film hat Shetler kein besonders anderes Verhältnis als zu Filmen aus anderen Ländern. Es gibt für ihn keine Vorab-Umarmung, aber auch keine per se kritische Haltung – abgesehen davon, dass er den Begriff eines Nationalkinos an sich als schwierig empfindet. Über die Premieren im Gartenbaukino entstehen viele Kontakte, zudem ist Shetler nachhaltig geprägt von Haneke und Seidl und gerät bei manchen aktuellen Filmemachern geradezu ins Schwärmen. Was Shetler aber wichtig ist: »Es gibt in diesem Land so viele veraltete Strukturen! Als Beispiel sei die Nominierung des letzten Films von Michael Haneke für den Auslandsoskar genannt. Das ist eine kurzsichtige Haltung, da hätte man ›Die beste aller Welten‹ nominieren müssen. Der Film ist seit Berlin ein Hype, die Leute lieben ihn und Adrian Goiginger hat ihn außerhalb der großen, etablierten Produzentenstrukturen in die Welt gesetzt. Den Mut hätte man haben müssen und dieser Film wäre international auch verstanden worden. Es ist nichts gegen Haneke und ›Happy End‹ einzuwenden, aber das ist eine vertane Chance. Da muss man sich fragen, wer das entscheidet und welche Interessen hier vertreten werden. Jedenfalls nicht die eines modernen, jungen, aufstrebenden österreichischen Films.« Ihm fehlt die Aufmerksamkeit für die jungen FilmemacherInnen oder auch für die Avantgarde, er beobachtet aber eine Bewegung, die sich losgelöst hat: »Vielleicht geht da nun was los, nachdem die Diagonale oder auch das Filmmuseum und bald die Viennale jung besetzt sind.« Shetler schwärmt von persönlichen Werken, von Ludwig Wüst, dessen Roadmovie »Aufbruch« gerade auf der Berlinale Weltpremiere feierte und mit dem er sich auch über den Stadtkino-Verleih auseinandersetzt. Da ist er gerne dran und arbeitet daran, dass diese Filme ins Kino kommen. Filmisch ist ihm das wichtiger als die größeren, heimischen 3-, 4-Millionen-Euro-Produktionen. Er spricht begeistert von FilmemacherInnen, die »vielleicht auch nichts anderen können und einfach Filme machen müssen«. Dazu gehört für ihn auch Ruth Kaaserers »Gwendolyn«, eine dokumentarische Annäherung an eine krebskranke Gewichtheberin, die »sich als Film vollkommen dem Subjekt unterordnet – einer der tollsten Dokumentarfilme der letzten Jahre.« Er sieht sich mit dem Stadtkino im Dienste der FilmemacherInnen und nicht einer Industrie oder Struktur – aber auch nicht als Auffangbecken für Filme, die sonst keiner will.

Für die Leitung der Viennale hat er sich übrigens, auch aus familiären Gründen, nicht beworben – obwohl dies für ihn in früheren Zeiten ein naheliegendes Ziel war. Shetler freut sich auf die neue Leitung von Eva Sangiorgi, die unter anderem Kategorien wie Spielfilm oder Dokumentarfilm auflösen will: »Es braucht die Labels, die immer mehr verschwimmen, nicht mehr.« Und er selbst hätte in der Position eventuell auch seinen Hang zur Hands-On-Arbeit, in der er in den Kinos schon mal Kabel verlegt, vielleicht vermisst. Und während er so über seine Tätigkeiten spricht, merkt man ihm die Freude an seiner Arbeit an und die Möglichkeiten der beiden sich ergänzenden Häuser. Die ergeben für Norman Shetler durchaus »ein großes Bild dessen, was Kino sein kann«.

 

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