Wiener Clubs im Interview: Chelsea

Die Wiener Clublandschaft floriert. Wiener Clubs genießen mittlerweile einen guten internationalen Ruf bei Acts, Bookern und – vor allem – dem Publikum. The Gap sieht genauer hin und trifft einige Clubmacher zum Interview. Heute: Othmar Bajlicz vom Chelsea.

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Vom Keller eines Wohnhauses in der Piaristengasse in die U-Bahnbögen am Gürtel, vom Vorreiter in Sachen Subkultur zum Ausgangspunkt einer der am stärksten frequentierten Lokalmeilen Wiens – das Chelsea gilt zurecht als Institution im Nachtleben der Bundeshauptstadt. Ein E-Mail-Interview mit Othmar Bajlicz anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums seines Clubs.

Das Chelsea gilt neben alteingesessenen Lokalen wie dem U4 oder der Blue Box als Grande Dame und Wegbereiter der Wiener Clubszene. Eine Einschätzung, bei der natürlich auch mitschwingt, dass die Brennpunkte der Subkultur mittlerweile anderswo zu finden sind. Wie würdest du selbst die Bedeutung deines Lokals für die aktuelle Clubszene einschätzen? Wie hat sich diese Bedeutung in den 25 Jahren seines Bestehens verändert?

Die Bedeutung des Chelsea für die aktuelle Clubszene kannst du ganz einfach an der Vielzahl und Qualität der Konzerte ablesen. Schau dir das aktuelle Programm an, oder blättere ein bisschen im umfangreichen Chelsea-Archiv. Konzerte mit Peaches, Buzzcocks, Mekons, TV Smith, Kid Kongo, Reverend Peyton oder auch heimische Acts wie Kreisky, Texta, Clara Luzia usw. sind subkulturelle Highlights im Angebot dieser Stadt. Brennpunkte der Subkultur gibt es in einer Großstadt immer mehrere. Ich sehe aber so gut wie keinen Club, außer das Flex, der das über so eine lange Zeitspanne auch geblieben ist.

Als das „alte“ Chelsea 1986 in einem Wohnhaus in der Piaristengasse eröffnet wurde, war die Kombination von regelmäßiger Livemusik und täglich wechselnden DJ-Lines hierzulande ein Novum. Woher kamen Antrieb und Inspiration, dem Wiener Nachtleben mit einem derartigen Lokal auf die Sprünge zu helfen? Nach einer Karriere als Profifußballer und einem Intermezzo in der Verwaltung der Post – war der Schritt zum Lokalbetreiber wohl auch nicht unbedingt naheliegend.

Der Antrieb war und ist das Interesse und die Freude an Musik. Passion. Ich bin seit meinem 14. Lebensjahr Plattensammler und Konzertbesucher, und bin es heute noch. 1986 habe ich mit der Gründung des Chelsea, wenn man so will, mein Fan-Dasein in eine berufliche Laufbahn umgemünzt. Einen eigenen Club zu haben, selber Konzerte zu veranstalten, selber bestimmen zu können, welche Musik gespielt wird usw. Wie sich herausgestellt hat, ist da einiges richtig gelaufen.

Nach Problemen mit den Anrainern und der Schließung des „alten“ Chelsea, wurde das Lokal 1995 an seinem aktuellen Standort am Wiener Gürtel neu eröffnet. Gab es damals schon Bemühungen der Stadt, diese Gegend zu beleben? War das Mitgrund für diese Standortwahl? Und waren mit dem neuen Standort auch die Probleme im täglichen Geschäft Geschichte?

Der Standort am Wiener Gürtel stand im Zusammenhang mit den Bemühungen der Stadt, diese Gegend zu beleben und aufzuwerten. Auch die EU spielte eine Rolle. Sonst wären die betreffenden Gürtelbögen von den Wr. Stadtwerken für diese Nutzung nie freigegeben worden. Für uns war die Übersiedlung ein Segen, weil wir am neuen Standort keine unmittelbaren Anrainer hatten und so ohne Probleme Livekonzerte veranstalten konnten. Außerdem hatten wir mehr Platz, drinnen und draußen.

Dem Chelsea folgten zahlreiche weitere Clubs und Lokale in die Gürtelbögen – nicht zuletzt dank eines Förderprogramms der Europäischen Union zur Aufwertung dieser Gegend. Mit dem Erfolg, dass sie eine der wichtigsten Ausgehmeilen der Stadt werden konnte, wie etwa auch der gewaltige Auftrieb beim Gürtel Nightwalk Jahr für Jahr zeigt. Wie hast du die Entwicklung der Lokalszene in und um die Gürtelbögen selbst erlebt?

Wir waren 1995 die ersten. Dann kamen 1998 das Rhiz und das B72 dazu. Danach noch weitere Lokale. Die Entwicklung habe ich positiv erlebt, weil durch die Vielzahl der Lokale eine Belebung der ganzen Meile erfolgte. Der Standard der Clubs ist aber recht unterschiedlich.

2003 wurde das Lokal um einen vierten Gürtelbogen erweitert, um den Andrang – vor allem an Wochenenden – gerecht werden zu können. Darf man davon ausgehen, dass das Lokal wirtschaftlich erfolgreich ist? Oder etwas dreist gefragt: Lässt es sich gut leben als Chelsea-Wirt?

Danke der Nachfrage. In der Tat lässt es sich gut leben als Chelsea-Wirt. Das gilt auch für die weiteren Mitarbeiter. Es steckt viel Arbeit dahinter und ohne Teamwork geht es nicht.

Während unter der Woche Fußballübertragungen oder Konzerte das Programm bestimmen, verwandelt sich das Chelsea an Wochenenden zur überlaufenen Partyzone, manche meinen gar zum „Studentenballermann“ – eine Mischung, die Erfolg hat, aber nicht nur Freunde. Wie weit muss sich auf lange Sicht bei einem Lokalbetreiber und Geschäftsmann auch ein gewisser Pragmatismus durchsetzen, um bestehen zu können?

 

Die Antwort ist schon in der Frage enthalten. Um wirtschaftlich gut dazustehen muss ein gewisser Pragmatismus vorhanden sein. Dazu gehören die Indie-Partys an den Wochenenden, die sehr gut besucht sind. Da wird ordentlich abgetanzt bis in den frühen Morgen. Die Musik, die an diesen Abenden läuft, entspricht durchaus meinem Geschmack (gitarrenorientierter Indierock, Britpop, Punkrock). Und die DJs sind gute Leute, allesamt.

Auch du selbst feierst in nicht allzu ferner Zukunft ein rundes Jubiläum, deinen 60. Geburtstag. Bist du nach 25 Jahren immer noch täglich im Lokal? Und wie lange möchtest du noch im operativen Geschäft oder etwa auch als regelmäßiger DJ aktiv sein? Ist Ruhestand für dich überhaupt eine Option?

Bei Musik spielt Alter keine Rolle. Ich bin oft im Chelsea anzutreffen. Es macht einfach Spaß. Und an Ruhestand denke ich überhaupt nicht. Ich fahre nach wie vor auch nach London, um mir Bands wie Arctic Monkeys und PJ Harvey anzusehen, wie etwa vor zwei Wochen. Auflegen tu ich selber aber nicht mehr. Es ist mir zu anstrengend geworden bis 5 Uhr früh zu rocken.

In der Geschichte des Chelsea war auch der von 1987 bis 1999 erschienene Chelsea Chronicle ein wichtiger Faktor. Einer, der weit über die Grenzen der Bundeshauptstadt hinaus im damaligen popkulturellen Niemandsland Österreich nachwirken sollte. Was war der Antrieb dafür, dem Club eine Hauspostille zur Seite zu stellen?

Auch hier war der Gedanke vordergründig nicht nur Fan zu sein, sondern auch etwas zu machen und zu gestalten. Die erste Chelsea-Chronicle-Crew bestand ja aus lauter Chelsea-Stammgästen, Musikenthusiasten eben. Es waren Leute dabei, die heute arrivierte Musikjournalisten sind, wie Christian Schachinger und Charly Fluch vom Standard, Chris Duller vom Falter oder Radio-Leute wie Werner Geier, Fritz Ostermayer, Walter Gröbchen. Peter Rehberg gehörte ebenso zu den Mitarbeitern wie Fritz Plöckinger oder Tex Rubinowitz. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Deine darin erschienene Artikelserie zu den Stranglers ist legendär. Darf man annehmen, dass es sich dabei um deine Lieblingsband handelt? Wieviele Seiten Text hast du über sie verfasst und woher kamen die Informationen dazu?

Die Stranglers sind tatsächlich eine meiner Lieblingsbands. Zum ersten Mal habe ich sie 1977 im Londoner Roundhouse live gesehen, gerade als sie ihre erste LP „Rattus Norvegicus“ veröffentlichten. Und danach immer wieder. Auch als sich Hugh Cornwell 1991 verabschiedete, blieb ich der Band treu. Den Text zur angesprochenen Artikelserie hat aber Christof Skala verfasst, der wahrscheinlich ein noch größerer Stranglers-Fan ist als ich und diese aufwendigen und umfangreichen Recherchen betrieb. Ich habe diese Serie aber als Herausgeber unterstützt, woanders hätte sie wahrscheinlich nicht erscheinen können.

Zum Abschluss: Was waren deine persönlichen Konzert-Highlights aus den ersten 25 Jahren Chelsea? Welche Band, welchen Musiker würdest du gerne noch (einmal) im Chelsea spielen sehen?

Diese Frage ist schwierig zu beantworten, weil es so viele Highlights waren. Es würde diesen Rahmen sprengen. Vieles lässt sich auch nicht wiederholen, weil manche Acts einfach zu groß geworden sind und man das Rad der Zeit auch nicht zurückdrehen kann. The Buzzcocks waren toll, das erste Toten-Hosen-Konzert im alten Chelsea in der Piaristengasse, Soundgarden ebendort vor ihrem großen Durchbruch, Gossip vor fünfzig Leuten in den Gürtelbögen, Peaches bei ihrem ersten Wienkonzert, Wayne Kramer von MC5 feierte seine 50er im Chelsea, Turbonegro rockten wie die Sau und und und …

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Wiener Clubkultur: https://thegap.at/wienerclubkultur

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