Verspielt und stets zugänglich: Martin Amanshauser schöpft Weisheit aus vermeintlich beiläufigen Beobachtungen; teilweise sogar gereimt.
Womit haben wir es zu tun? In seiner Totalität mag der Titel des neuen Amanshauser-Buchs – »Es ist unangenehm im Sonnensystem« – ultimatives Unbehagen zum Ausdruck bringen. In seiner Tonalität hat er schlicht einen guten Flow. Und das gilt für den Großteil des Buchs ganz genauso. Man möchte es laut vorlesen. Das geht – fragen Sie meine Freundin! – ganz gut, auch Stück für Stück.
Denn wir haben es – an dieser Stelle wagen wir uns mit der Wahrheit ans Licht – mit Gedichten zu tun. Am Einband wird uns das bewusst verschwiegen. Vielleicht besser so, denn Gedichte gelten als schwer zu verkaufen. Wer das Werk Martin Amanshausers kennt, wird davon allerdings nicht ganz überrascht sein. Ist vom gebürtigen Salzburger doch bereits ein Gedichtband mit einem anderen klingenden Namen in bester Erinnerung geblieben. »100.000 verkaufte Exemplare« hat sich zwar nicht ganz so gut verkauft wie der Titel keck suggeriert, zeigte aber doch, dass ihr Schöpfer ein Jahrzehnt zuvor – 1992 – völlig zurecht mit dem Georg-Trakl-Förderpreis für Lyrik bedacht worden war. Mit Gedichten war Amanshauser zwischenzeitlich kaum in Erscheinung getreten, er wurde 2013 aber mit dem Sonderpreis des Feldkircher Lyrikpreises ausgezeichnet.
Neben einer Reihe von Romanen (u. a. »Der Fisch in der Streichholzschachtel«, 2015) veröffentlichte Amanshauser, eigentlich ein langjähriger Autor des Wiener Deuticke Verlags, zuletzt Sachbücher im Verlag Kremayr & Scheriau und gesammelte Kolumnen im Picus Verlag. Neue Gedichte hätte man also wieder bei Deuticke erwartet, zumal Kremayr & Scheriau bislang nicht als allererste Adresse für Lyrik aufgefallen wäre. Doch die Verlagslandschaft wandelt sich.
Scharf und lakonisch
Nun also »Es ist unangenehm im Sonnensystem«. Und ja: Es ist alles lächerlich wenn man ans Sonnensystem denkt. Immer. Mit der Vergänglichkeit, dem eigenen Niedergang hat Amanshauser schon in seinen »100.000 verkauften Exemplaren« gehadert. War er damals, 2002, noch »immer offensichtlicher in den 60ern geboren«, lässt sich das Älterwerden nicht mehr leugnen. Mittlerweile ist Amanshauser ein »alter 68er«, also ein 1968 Geborener. An Schärfe und Lakonie hat er aber eher noch gewonnen. Weisheit schöpft er immer noch aus vermeintlich beiläufigen Beobachtungen. »Du merkst, die Royals meinen dich, wenn sie im Fernsehen winken«, hatte er 2002 erkannt. Heute hält er fest:
Ich las mit leichter Verachtung,
mit vagem Abscheu:
»Auftakt der internationalen
Handytage«. Da bemerkte ich
Haydn.
Oder:
Heute wollte ich
erstmals im Leben
auf einer Print-Zeitung nachsehen
wie spät es ist – rechts unten.
Klar könnte man das 2019 auch einfach Tweet für Tweet loswerden, sich über Retweets freuen. Aber erstens stammen viele der gesammelten Gedichte aus den Nullerjahren, und zweitens macht, wie so oft, der Kontext die Musik. Große Stärke von Amanshausers Gedichten ist, dass sie stets zugänglich bleiben. Wer wirklich weiß, von wem die Rede ist, hat aber wie so oft mehr von der Lektüre. Wunderbar etwa, wenn wir uns in »Rudi’s Beisl« an den Mittagstisch begeben, wo der Erzähler – wahrscheinlich war dem wirklich so – immer genau eine Stunde vor Friederike Mayröcker zu speisen pflegte. Was die große Dichterin natürlich nicht wusste. Sie glaubte immer, der Tisch wäre mittags einzig für sie freigehalten. Glaubt zumindest der jüngere Dichter. Der geschilderte Schichtbetrieb im Wiener Beisl gerät derart jedenfalls zur Mayröcker-Würdigung, das vermeintlich Respektlose zur Ehrerbietung.
Das vielleicht stärkste Gedicht ist »Kein Roman vom armen M. A.«, datiert mit 9. 9. 2018, verfasst in Friedrichshafen. Durch und durch autobiografisch ist es kein Schaden, wenn man weiß, dass der Vater von M. A. der 2006 gestorbene, leider fast vergessene Autor Gerhard Amanshauser war. Der durchaus liebevoll geschilderte Vater-Sohn-Konflikt liest sich letztlich auch als witzige poetologische Selbstverortung des schreibenden Autorensohns:
Dabei bezahlen sie mir den Roman besser als das Gedicht.
Nur schreibt er sich mühsam. Ich schreib wieder grad keinen.
Reime so rum, fürcht mich, werd langsam ein bisschen alt.
Und alle fragen mich nach einem.
Heliozentrisch relativiert: das Ego
Ist das schon ein Alterswerk? – »Müsste ich dafür nicht früh sterben?«, erwidert Martin Amanshauser auf meine diesbezügliche Frage. Hoffen wir mal nicht. Wir lesen gerne von ihm, lästern mit ihm über Wien und die ganz große Umgebung; über des Autors Unzulänglichkeit. Es steht immer pars pro toto für die Welt. Fürs Sonnensystem, wenn wir so wollen.
»Es ist unangenehm im Sonnensystem« von Martin Amanshauser ist bei Kremayr & Scheriau erschienen. Am 30. April findet eine Lesung von Martin Amanshauser in der Buchhandlung Stierle in Salzburg statt.