Der Südbahnhof ist nicht mehr. Ein Buch dokumentiert die letzten Tage, während sich Stefan Niederwieser überlegt, was man da eigentlich sieht.
Suedbahnhof - Bestand und Abbruch by Roman Boensch 2011 01
Suedbahnhof - Bestand und Abbruch by Roman Boensch 2011 02
Suedbahnhof - Bestand und Abbruch by Roman Boensch 2011 03
Suedbahnhof - Bestand und Abbruch by Roman Boensch 2011 04
Suedbahnhof - Bestand und Abbruch by Roman Boensch 2011 05
Suedbahnhof - Bestand und Abbruch by Roman Boensch 2011 06
Als am 18. Dezember 2009 ein paar tausend Hedo-Heuschrecken-Hipster eine kleine Ausweihungsparty im Südbahnhof feiern, ist wohl nur wenigen klar, warum der Bau weg muss. Oder was stattdessen kommt. Es liegt euphorische Nostalgie in der Luft. Ein Bahnhof ist immerhin ein Ort voller Gefühle, Abschiede, Wiedersehen. Der Südbahnhof im Speziellen aber ein funktionaler, kalter Bau.
Geopolitische Umwälzungen haben zu diesem Moment geführt. Früher, da war Wien eine Sackgasse, zwar offiziell blockfrei, aber irgendwie doch am äußersten östlichen Ende der sozial-marktwirtschaftlichen Welt. West- und Südbahnhof war meistens alles, was man brauchte. Und war man erstmal in Wien, verließ man die Stadt in jene Richtung, aus der man gekommen war, nach Westen oder Süden. Dann fiel der Eiserne Vorhang. Es dauerte noch ganze 14 Jahre, bis endlich beschlossen wurde, was auch heute noch in wenigen Köpfen angekommen ist: der Osten ist nicht mehr Ostblock, Wien soll zum Dreh- und Durchlaufpunkt für transeuropäische Verkehrsströme werden. „Transeuropa-Express“ sollen die Menschen in Wien in den Straßen pfeifen. Und „Magistrale 17“ wird ihre Losung sein. So nennt sich das, was da die Menschen verbinden soll. Um von München nach Budapest zu kommen, schnurstracks, wie auf Schiene, ja wirklich, schnurstracks auf Schiene. Und zwar mitten durch die Stadt, ohne Schleifen und Umfahrungen.
Wutbürger und Betonbürger
Um in die andere Richtung schnurstracks von München nach Straßburg zu kommen wird in Stuttgart ebenfalls ein Bahnhof umgebaut. Stuttgart 21 heißt der. Aus Kopfbahnhöfen werden Durchgangsbahnhöfe. Der neue Wiener Hauptbahnhof ist sozusagen Wiens Stuttgart 21. Nur ohne Wutbürger. Die Klagen von einigen Anrainern wurden hier mit mehr Beton für weniger Lautstärke abgedämpft.
Der alte Südbahnhof war immerhin ein Notfallplan, Ostbahnhof und Südbahnhof lagen vor 1956 noch getrennt voneinander, aber neue Zeiten brauchten neue Bauten. Ein Gebäude für zwei Strecken musste her. Jahrelang gingen Leute hindurch, atmeten die Atmosphäre einer Halle, deren ursprünglich beeindruckende Wirkung durch verschiedene Einbauten überwuchert und stark verändert wurde. Neue Fassaden-Elemente, ein Arbeitsstrich, Würstelbuden und der Teufel im Detail machten die Sache nicht eben glamouröser. Immer wieder wurde der Bau aber auch gelobt und gewürdigt, gerade für die zur Verfügung stehenden Mittel sei er eigentlich auch Denkmal-würdig gewesen.
Bilderbuch
Und genau diesen Teil dokumentiert das Buch „Südbahnhof – Bestand und Abbruch“ bilderreich in die wesentlichen Winkel. Auch jene Teile, die Passagiere normalerweise nicht interessieren, wie Tunnel, Gleisgruppen, Materialmagazine, Fundamente der alten Bahnhöfe, Stellwerke. Die Fotos sind großteils dokumentarisch: Büros am letzten Arbeitstag, Trafiken und Buden kurz vor der Schließung, Bohrungen an Bunkern, Zerfräsungen. Dabei wirken die Bildausschnitte und Perspektiven immer wohlüberlegt. Andere Fotos leisten sich künstlerische Details auf zwei Seiten aufzublasen. Wer dem Südbahnhof nachtrauern möchte, wird bestens bedient.
Der neue Bahnhof wird nun deutlich näher an der U-Bahn liegen wie noch der alte, provisorische Bau. „Warum wurde die U1 an Bahnhof vorbeigebaut?“ … lautete eines der großen Mysterien der Wiener Planungspolitik. „Warum gibt es keine U5?“ Das andere. Wer allerdings jemals in Paris von der Metro zum Gare de l’Est umgestiegen ist, wird seine Freude mit dem neuen Wiener Hauptbahnhof haben.
Ob er wirklich eine ganze Gegend aufwerten wird, deren verblichener Glanz noch durch viele Gründerzeit-Fassaden der Gegend durchschimmert, darf bis auf weiteres bezweifelt werden. Bis auf weiteres heißt: bis der Gürtel unter einer Betondecke verschwindet. Auch dem neu entstandenen Areal – dem Quartier Belvedere – fehlt es an Querverbindungen, wie sie der Autoschlauch von Margartengürtel nordwärts hat. Das 21er-Haus reicht als Kulturmagnet noch nicht. Andrerseits werden am 2013 so viele Menschen am Hauptbahnhof durchgeschleust, von West nach Ost, von Süd nach Nord und einmal rundherum, dass es schwer vorstellbar ist wie Menschen diese neue Umgebung nicht für sich verhübschern könnten.
"Wien Südbahnhof. Bestand und Abbruch 2007-2010" von Roman Bönsch ist bereits erschienen.