Viktoria Kirner, Bassistin und Sängerin bei der Band Dives, über feministische Netzwerke und darüber, was diese in der österreichischen Musikszene leisten können.
»Drei Mädels geben Gas«, »Wiener Frauen-Rock-’n’-Roll« oder »Frauenpower voraus!« – diese Headlines, die häufig auch meine Band Dives beschreiben wollen, machen deutlich, dass er noch immer existiert, dieser Graben zwischen Männern, die Musik machen, und Frauen, die »Frauen-Musik« machen. Jetzt ist aber auch mal gut! Schon lange existieren Frauen auf Bühnen auch abseits von Backgroundtanz und -gesang und sie werden immer mehr. Dass das so bleibt, daran arbeiten Girls Rock Camps und andere feministische Gemeinschaften – ohne die es meine Band heute gar nicht gäbe.
Come, as you are, Riot Girls!
»Sei laut!«, »Nimm Platz ein!«, »Hör’ auf dich zu entschuldigen!«, hallt es seit 2011 jährlich im Rahmen des Pink Noise Girls* Rock Camp durch die Gänge eines ehemaligen Schlachthofs im niederösterreichischen Hollabrunn: Versuche, stereotype Rollenverteilung zu durchbrechen und das Selbstbewusstsein von jungen Frauen*, Trans-, Inter- und Non-binary-Personen zu stärken. Teilnehmerinnen zwischen 15 und 21 Jahren haben hier eine Woche lang die Möglichkeit, sich musikalisch auszuprobieren.
Auf der Agenda stehen Songwriting, Tontechnik oder Producing, aber auch Instrumenten-Crashkurse und Bandproben. Begleitet wird die Woche ausschließlich von Frauen*, die selbst Musikerinnen sind oder aus diesem Bereich kommen. Zu den prominentesten Workshopleiterinnen* der letzten Jahre zählten etwa Clara Luzia, Kerosin95 oder Gustav. 2015 fand das von Pink Noise – Verein zur Förderung feministisch popkultureller Aktivitäten organisierte Camp ausnahmsweise auch in Linz statt. Dort lernte ich meine Bandkolleginnen kennen.
Die Idee eines solchen Musikcamps ist nicht neu und auch keine österreichische. Anknüpfend an die Riot-Grrrl-Bewegung der 90er kommt dieses Konzept ursprünglich aus den USA. 2001 fand in Oregon, Portland, das erste Girls Rock Camp statt. Inzwischen gibt es ein weltweites Netzwerk von Camps, vereint unter dem Dach der Girls Rock Camp Alliance (GRCA), einer Bewegung, die sich jährlich zu globalen Konferenzen trifft. Der europäische Ableger, die GRCA Europe, wurde kürzlich von Gründerinnen des österreichischen Vereins Pink Noise initiiert. Die neuesten Camps gründen sich derzeit in der Balkanregion. Seit 2018 findet außerdem das, von der EU kofinanzierte Jugendprogramm und Austauschprojekt Erasmus+ Jugend in Aktion statt, an dem letztes Jahr zwölf europäische Girls Rock Camps teilnahmen.
Viele dieser, auf allen Kontinenten verstreuten, Camps haben unterschiedliche Schwerpunkte und doch verfolgen sie alle dasselbe Ziel: Es geht um Empowerment, das Kreieren von Safe Spaces und das Verändern von Perspektiven – vom Fan, hin zur Musikerin. Und das alles möglichst niederschwellig, frei nach dem Motto »Come as you are« – auch ganz ohne musikalische Vorkenntnisse.
I can be your safe place
Letzteres ist vermutlich der einzige Grund, warum heute meine Band Dives in dieser Form existiert. 2015 hielt ich zum ersten Mal einen Bass in meinen Händen, an jenem Ort in Linz, an dem ich meine zukünftigen Bandkolleginnen kennenlernen sollte – notgedrungen gewissermaßen, denn der Workshop »Lo-Fi And Electronic Music« wurde kurzfristig abgesagt.
Ich konnte damals kein Instrument spielen und war mit 24 die älteste und dementsprechend auch widerspenstigste Teilnehmerin des Pink Noise Girls* Rock Camps. Ich fühlte mich zu alt für Impro-Workshops, Songwriting mit 15-Jährigen, und irgendwie generell fürs Musikmachen. Wer lernt noch mit 24 ein Instrument? Und auf einer Bühne stehen? No, thanks.
Und am Ende dieser Woche findet man sich trotzdem dort wieder. Gleich mit drei eigenen Songs, die man mit der erst wenige Tage zuvor gegründeten Band geschrieben hat. Man macht es einfach. Nämlich spätestens dann, wenn man sieht, mit welcher Selbstverständlichkeit sogar die jüngsten Teilnehmerinnen die Bühne für sich einnehmen und man die Kraft und die Energie spürt, die an diesem Abschlussabend jedes Jahr in der Luft liegen. Viele erleben hier zum ersten Mal, wie sich ein Safe Space anfühlt. Egal ob Bandcoaches, Teilnehmerinnen oder Organisatorinnen – der Raum ist voller Personen, die einen auffangen, wenn man fällt. Nur, dass man nicht fallen wird, denn man ist stark genug. Das war man auch schon zuvor, aber jetzt weiß man es auch. Und jetzt will man mehr.
An Abenden wie diesem wurden etliche heute in der österreichischen Musikszene wohlbekannte Bands geboren: Aivery, La Sabotage oder Schapka (Шапка) haben sich im Camp kennengelernt.
Noise-Kränzchen und noch mehr Vernetzung
Initiativen zur Vernetzung gibt es in Österreich aber auch in anderen Formen. Ehemalige Teilnehmerinnen und Organisatorinnen des Pink Noise Girls* Rock Camps laden monatlich zum sogenannten Noise-Kränzchen, um mit Frauen* jedes Alters in einem Proberaum in Wien, ebenfalls ohne musikalische Vorkenntnisse, gemeinsam Musik zu machen.
Auch die Initiative des Grazer Kulturvereins Grrrls hat sich zum Ziel gesetzt, Musikerinnen* mit ihren Bands sichtbar zu machen und die Musikerinnenquote zu heben. Neben ihrer Veranstaltungsreihe Grrrls Night Out, in der ausschließlich Bands gebucht werden, bei deren Mitgliedern der Frauenanteil überwiegt, lädt das Kollektiv regelmäßig zu Grrrls-Jamsessions und Workshops.
Und auch abseits des Punk, Rock oder Grunge finden sich in Österreich zahlreiche feministische Gemeinschaften, die sich vernetzen und in der Musiklandschaft gegenseitig den Rücken stärken: Etwa im feministischen Netzwerk Female:Pressure bestehend aus Frauen, die in der elektronischen Musik und Computerkunst tätig sind, oder im Wiener Kollektiv Sounds Queer, das an der Schnittstelle zwischen elektronischer Musik, Klangkunst und queerem Aktivismus arbeitet oder aber in Form der Datenbank Femdex, die weibliche und nicht-binäre DJs und Produzentinnen auflistet.
Was können sie also leisten, diese Netzwerke?
Die Teilnahme an einem feministischen Musikcamp hat mir (abgesehen von zwei Bandkolleginnen und einer völlig neue Lebensperspektive in einer Indie-Rock-Band) vor allem jenes Selbstbewusstsein vermittelt, das ich während meiner Teenagerzeit vermisst habe. Und das Gefühl, dass ich alles schaffen kann. Vielleicht nicht immer alleine, aber Rücken an Rücken mit Frauen, deren Stärke und Talent mich inspirieren.
Genau dieses Zugehörigkeitsgefühl zu einer starken Gemeinschaft und ein dauerhaft von weiblichen Vorbildern geprägtes Umfeld sind für viele Mädchen und junge Frauen das beste Fundament dafür, zukünftig auch außerhalb des eigenen Safe Spaces Machtstrukturen zu durchbrechen und männlich dominierte Bereiche zu durchdringen.
Was feministische Netzwerke ganz klar nicht liefern wollen, ist die Legitimation für VeranstalterInnen und BookerInnen, Girls-only-Konzertabende oder -Bühnen als eine Art »Sonderdisziplin« zu etablieren, die in Wirklichkeit ausschließlich der eigenen Quotenrechtfertigung dienen und den Gendergraben innerhalb der Musikbranche nur noch mehr vertiefen.
Und das Genre »Frauen-Musik«? Für dessen Verschwinden aus unseren Köpfen werden allen voran feministische Gemeinschaften auch weiterhin kämpfen. Dass es an dieser Front noch einiges zu tun gibt, zeigt nicht zuletzt die Einladung an Dives, Ende Juni auf einer gewissen Wiener »Frauenbühne« zu spielen. Komisch, wo wir doch eigentlich Musikerinnen sind.
Das diesjährige Pink Noise Girls* Rock Camp findet von 23. bis 29. August im Alten Schlachthof in Hollabrunn statt. Viktoria Kirner ist Bassistin und Sängerin bei der Band Dives sowie Journalistin und studierte Juristin. Aktuell schreibt sie für das Magazin c/o Vienna.
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