Mit einer Gitarre stellt sich Wienerzucker vor die Kulisse des abgebrannten Flüchtlingslagers in Moria, um die Erlebnisse von einem Monat NGO-Arbeit zu verarbeiten. Das Ergebnis präsentieren wir hier in Begleitung eines Zoom-Interviews.
2016 droppte Sebastian Kurz erstmals den Sager »Ohne hässliche Bilder wird es nicht gehen«, damals noch als Außenminister. Seitdem ist viel Wasser die Donau runtergeflossen, aber ansonsten wenig passiert. Du hast dir das vor Ort als Unterstützer einer NGO angeschaut. Wie schaut’s derzeit auf Kara Tepe, das auch als Moria II betitelt wird, aus?
Wienerzucker: Interessant, wie lang uns dieses taktierende Narrativ schon begleitet. Das Lager Moria gab es ja seit 2015 und im September 2020 ist es abgebrannt. Es ist tatsächlich so, dass viele der Geflüchteten, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass es in Kara Tepe besser ist. Aber nicht aufgrund der Infrastruktur oder der Möglichkeiten, die gegeben wären, sondern weil der Brand in Moria nichts anderes war als der lauteste Hilfeschrei gegen die absurd erbärmliche Sicherheitssituation, die dort herrschte. Nach Sonnenuntergang konnten die Baracken teilweise nicht mehr verlassen werden, weil die Polizei dort quasi nicht existent war. Also obwohl die Zustände an sich in Kara Tepe bedeutend schlimmer sind, fühlen sich die Leute dort sicherer. Aber grundsätzlich verbessert sich die Lage nicht wirklich. Die Bilder, ohne die es angeblich nicht geht, sind omnipräsent. So wird das auch weitergehen, wenn sich von politischer Seite nichts verändert.
Kannst du den letzten Satz noch mal erklären?
Die Arbeit der NGOs vor Ort befindet sich im ständigen Spannungsfeld zwischen akut notwendiger Katastrophenhilfe und der Normalisierung der Situation vor Ort. Je besser die NGO-Arbeit vor Ort funktioniert, desto weniger Druck auf die Politik wird aufgebaut werden. Die Verantwortlichen können sich sprichwörtlich zurücklehnen, solange die »Hippie-NGO-Deppen« die Arbeit machen. Aber natürlich muss man diese Katastrophenhilfe leisten.
Du hast vorher die kritische Sicherheitslage in den Lagern angesprochen. Diese wird im ohnehin schon schwierig zu führenden Diskurs um die Flüchtlingshilfe und die Evakuierung aller Lager oft als Gegenargument verwendet. À la: »Warum sollten wir Leute in die EU lassen, die schon vorher für sich und andere eine Gefährdung darstellen?« Das Thema ist schwierig, die Diskussionen aufgrund mangelnder Einsicht oft verkürzt. Was sagst du dazu?
Konkret auf Moria bezogen: Was in Moria passierte, war derart unkontrolliert, dass das Lager quasi unbewacht war und die Menschen sich selbst überlassen wurden. Im Vergleich dazu ist Kara Tepe ein Gefängnis mit hohen Zäunen rundherum. Und zwar dort, wo es die Zäune braucht und dort, wo es die Zäune nicht braucht. Schlicht dafür, dass bloß niemand vergisst, wo man sich gerade befindet. Leute einzusperren, kann natürlich auch nicht die Lösung sein, aber dadurch passiert weniger, weil die Polizei zumindest vor Ort ist. Wie sich das mit der Integration ausgehen soll? Die Menschen dort haben Sachen erlebt, die man nie wieder vergisst. Dass es zu Spannungen kommt, wenn du mehrere Tausende schwerst traumatisierte Menschen ohne Perspektive zusammenpferchst, ist irgendwo klar. Da geht’s also viel um Empathie und um die Schaffung sicherer Umfelder, die von einem sofortigen Therapiebeginn begleitet werden. Man weiß eigentlich genau, wie man mit Menschen, die vor Krieg oder Verfolgung flüchten, umgehen muss. Stattdessen werden sie einer Situation überlassen, die einen ja nur brechen kann. Und dann sind wir entsetzt darüber, dass das nicht funktioniert. An der eigentlichen Frage des Wie kratzt das nur oberflächlich. Da muss ich dir ganz ehrlich sagen: Ich weiß es nicht. Der Aufenthalt dort hat bezüglich Integration mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Ich kann keine seriöse Einschätzung dazu abgeben. Dass was passieren muss, liegt auf der Hand. Und es gibt Leute, die sich da besser auskennen.
Du schreibst mir in einer Mail, es sei eine bewusste politische Entscheidung, dass die Situation in Griechenland die ist, die sie ist. Wie ist das zu verstehen?
Das beginnt mit dem Sager der hässlichen Bilder. Man nimmt die Situation hin. Man stellt die Bevölkerung auf die Situation und die Bilder ein und dann lässt man es einfach passieren. Das Problem ist langfristig auf EU-Ebene zu lösen. Dass es keinen Platz oder kein Geld gibt, ist schlicht unwahr. Auch die Bereitschaft aus der Zivilbevölkerung ist da, wie 2015 zu beobachten war. Es ist nicht so, dass es nicht gehen würde. Man will’s halt einfach nicht. Erstens wird die Hilfe vor Ort erschwert, dann wird verhindert, die Menschen nach Europa zu holen. Österreich ist bei den Kompromissunwilligen vorne dabei.
Vor Ort hast du dann das Lied »I glaub euch ka Wort« geschrieben und dazu ein Musikvideo gedreht. Wie ging das vonstatten?
Grundsätzlich schreibe ich über das, was grad in meinem Kopf passiert und mich aktiv anregt. Die Arbeit in diesem Lager und das Erfahren von dieser zermürbenden Lebenssituationen haben mich traurig gemacht. Eigentlich war ich auch permanent grantig und fucking angepisst auf diese Gesamtsituation. Dazu noch ständig dieser Hintergedanke: »Wenn die Leute wüssten, was dort abgeht, dann würde es nicht passieren.«
Die Leute wissen es ja.
Sie wissen es eh. Aber es wirklich gesehen zu haben, ist noch mal etwas anderes. Es ist nicht machbar, dass dort alle Leute in Europa hinfahren, um sich das anzuschauen. Für mich war es dann sehr hilfreich, das Ganze als Lied niederzuschreiben, um aus pragmatischen Gründen auch vor Ort etwas für meine emotionale Gesundheit zu tun. Ein befreundeter Aktivist hatte Kamera und Mikrofon für potenzielle Interviews dabei. Dann hat er vorgeschlagen, das alte Moria als Kulisse zu wählen. Die Frage, im aktuellen Lager zu drehen, hat sich allein aus moralischen Gründen nicht gestellt.
Wie hast du dich vor dem Dreh damit auseinandergesetzt? Es liegt ja nicht zu fern, dir jetzt zu unterstellen, dass du das Leid von Menschen als Promo-Move einsetzt?
Ich bin der festen Überzeugung, dass das passiert. Bevor ich angefangen hab zu schreiben, hatte ich den Gedanken an diese Frage. Es ist auch irgendwo eine legitime Unterstellung – ich verstehe den Denkprozess. Ich sehe den bedeutenden Unterschied darin, dass ich nicht hingeflogen bin, das Video gedreht habe und mich wieder verpisst habe. Vor Ort habe ich einen Monat lang aktiv physisch und emotional unterstützt, und hätte ich den Rückflug nicht gleich mitgebucht, wäre ich vermutlich jetzt noch dort. Diese Art der Aufarbeitung nehme ich mir jetzt heraus. Aber ich will mich damit auch nicht aufdrängen oder anbiedern. Wenn mich jemand scheiße finden oder mir einen politischen Instrumentalisierungsprozess vorwerfen will, wird die Person etwas finden. Das Lied und Video nicht zu machen, hätte mir und der Situation nicht geholfen. Deshalb haben wir auch nicht einfach traurige Kinderaugen gefilmt, sondern das leere und abgebrannte Lager für sich sprechen lassen. Die Frage, ob ich mich nicht an Skandalen bereichere, stellte sich schon bei meiner Reaktion auf Ibiza.
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