Weltweit trafen sich vergangenes Wochenende Projektemacher, um in einer 48-stündigen Jamsession mit Ideen und Konzepten zu spielen. Auch in Wien jammte man – mit Post-Its, Handykameras und rohen Spaghetti.
Das Ziel des Jams ist es, einen kompletten Entwurf abzugeben. Das Startzeichen liefert die Bekanntgabe des Themas und am Ende steht die Deadline für den Upload. Diesem Zeitplan fügt Organisator Christoph Oberlechner an: „Beim Jam geht es um’s Spaß haben.“ Gemeinsam mit dem Gastgeber Rudolf Greger begrüßte er auf diese Weise am späten Freitag Nachmittag rund zwei Dutzend Teilnehmer in der Denkfabrikhalle der GP Designpartners.
Noch Teil des Intros war eine Marshmallow-Challenge. Die Aufgabe lautete, einen Turm mittels Spaghetti, Klebeband und Schnur zu errichten, auf deren Spitze ein Marshmallow so hoch wie möglich ruhen sollte. Dieser Balanceakt stimmte auf die nächsten zwei Tage ein, die im Zeichen der gegenseitigen Inspiration und des kontrollierten Scheiterns standen, mit der Absicht ein präsentables Ergebnis auf dem Server von globalservicejam.org abzulegen.
Globaler Improv
Die Seite des Global Service Jam verknüpft alle Jams von Sydney bis Mexico City und koordiniert den zeitlichen Ablauf. Der erste Global Service Jams ging im März 2011 über die Bühne. „The Jam has a staff of none and a budget of nearly nothing.“, doch damit schafften es die Initiatoren Markus Hormess und Adam Lawrence – die mit ihrer Agentur Work Play Experience in Sachen Service Design beraten – letztes Wochenende 2061 Jammer in 85 Städten zum Kreativmuskelspiel zu bewegen.
Gegen 18 Uhr kam das Thema in Wien an. Per Video wurde der Vorhang gelüftet und „Hidden Treasure“ kam zum Vorschein. Assoziationen aus der gesamten Gruppe waren nun gefragt und innerhalb von Minuten hingen zehn Notizzettel mit je einem Thema an der Wand. In Kleingruppen wurden anschließend die Geistesblitze diskutiert. Mit den daraus resultierenden Skizzen ging es zu Bett.
Der nächste Morgen graute früh beim Jam – allerdings mit Croissants und einem Kurzvortrag von Julia Landsiedl, die über Recherche im Designprozess sprach. Der Unterschied zur wissenschaftlichen Form der Feldforschung sei, dass man sich das Subjektiv-Sein herausnehmen kann; und man sollte es sich herausnehmen, denn „gut ist, wer viel vergisst“. Allerdings muss das Richtige vergessen werden.
Nach diesem Frühstück war es an der Zeit, das Thema der restlichen eineinhalb Tagen für sich zu finden. Unter den Grobkonzepten sammelten sich Namenszettel und nach kurzem Hin und Her fanden sich Teams, die sich an die Recherche und ‚rasche Prototypen‚ von Service Designs machten.
Designtes Service?
Richard Buchanan, Professor für Design und Informationssysteme, nennt als große Chance von Design seine Offenheit. Andere Disziplinen würden an ihren engen Definition ersticken, während im weiten Feld des Designs immer Platz für neue Spielarten ist. Eine solche wird seit ein paar Jahren mit Service Design benannt und auch wenn sich Design resistent gegenüber Definitionen gibt, hat Service Design mehrere zu bieten. Eine davon liefert das Service Design Network (SDN), das Services als zentrales Element unserer Dienstleistungsgesellschaft ausmacht und demzufolge darin auch ein wichtiges Einsatzgebiet für Designer sieht; doch nicht nur für Designer, denn Service Design hat einen ganzheitlichen Anspruch und vereint im Idealfall unterschiedlichste Expertisen. Die Interdisziplinarität lässt grüßen. Somit könnte sich ein Psychologe zum Service Designer berufen fühlen. Dazu muss er allerdings – so das Manifest des SDN – traditionelle und in ihrer Alltäglichkeit unscheinbare Verhaltensmuster erkennen und darauf mit neuen Lösungen reagieren; und als Qualitätskriterium des Designs gilt die ‚experience‘ – die Erfahrbarkeit einer Dienstleistung, auch im Sinne der Nutzbarkeit.
Das klingt nach Punkten, die schon jetzt jeder Designer auf der Agenda stehen haben sollte und warum braucht es somit den neuen Begriff? Es scheint einfach immer wieder wert, den Fokus von Gestaltung in Erinnerung zu rufen: Den Alltag der Menschen ein kleines bisschen einfacher zu gestalten.
Drei Uhr Nachmittag
Im Loft der GP Designpartners wurde es mittlerweile Sonntag am frühen Nachmittag. Um drei Uhr Lokalzeit ist die Deadline für den Upload der Entwürfe. Sekunden vor dem Schließen der Upload-Pforten wurden noch letzte Skizzen abgeschlossen. Aus den anfänglich an die Wand geworfenen Ideen entwickelten sich im Wiener Service Design Kreis fünf Konzepte:
Urban Camoflage, bietet eine Anleitung um öffentliche (Un)Orte im Sinne aktiver Mitgestaltung zu verkleiden.
Life in a box, beinhaltet den Schlüssel zu unbekannten Qualitäten der eigenen Stadt.
PLOP, liefert dem vom alltäglichen Arbeitsplatz fadisierten Schreibtischarbeiter neue Orte den Laptop aufzuklappen.
Family Treasure, öffnet dem Familienchronisten ein online-Portal, um seine Geschichte für die Nachwelt festzuhalten.
Business cards for discovering hidden treasures, ein selbsterklärender Titel.
Der Mensch, geworfen in ein bestimmtes Umfeld, braucht die Vernetzung. Das könnte als roter Faden in den Konzepten ausgemacht werden und meist führt der Faden ins Netz. Liegt es an der Einfachheit, mit der „Machen wir eine App“ über die Lippen geht, dass vieles digital entworfen wird – und welche Aussage lässt sich dadurch über unser Verhältnis zur Welt und den künftigen Servicangeboten treffen?
Der Jam selbst bietet eine sehr reale Umsetzung von Service Design, denn nach 48 Stunden der gemeinsamen Arbeit an Konzepten traten die Ergebnisse selbst fast ein wenig in den Hintergrund – und die Qualität der analogen Vernetzung und das Wissen der anderen spielten eine größere Rolle, wenn es darum geht, ein Wochenende lang Service Design zu spielen.
Links
Die globale Plattform des Service Design Jams 2012
http://www.globalservicejam.org/
Lokale Wiener Version
http://vienna.servicedesignjam.at/
Ein weiterer österreichischer Jam fand in Innsbruck statt.
Die Fotos machte Christian Lendl