Die in London lebende Pongauerin Kathrin Steinbacher bringt mit ihren faszinierenden und preisgekrönten Animationsfilmen menschliche Innenwelten an die Oberfläche. Ihre letzten zwei Kurzfilme sind neu in der Cinema Next Series kostenfrei zu streamen. Wir haben die Filmemacherin zum Interview gebeten.
Die beiden Filme »The Woman Who Turned into a Castle« (2018, 4 Min., engl. OV) und »In Her Boots« (2019, 6 Min., dt. OV engl. UT) sind die nächsten Veröffentlichungen in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streamingplattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.
Cinema Next: In beiden Filmen verhandelst du in verspielter Form psychische Krankheitszustände: In »The Woman Who Turned into a Castle« ist es die Schlafkrankheit, in »In Her Boots« Demenz. Was findest du an diesen Themen, auch als Animationskünstlerin, interessant?
Kathrin Steinbacher: Generell interessieren mich abstrakte menschliche Zustände sehr. Mich faszinieren unsere vermeintlichen Macken und Eigenheiten: alles Chaotische, das wir alle immer zu verstecken versuchen. Alles, was uns aber menschlich macht. Versuchen wir doch immer einander zu verstehen, uns selber zu verstehen. Den Blick ins Innere zu werfen, ist wichtig, aber auch angsteinflößend. Die Animation kann diese Innenwelten an die Oberfläche bringen. Sie kann abstrakte menschliche Zustände visualisieren, und ich glaube, dass vor allem der Trickfilm das sehr erfolgreich macht.
Um hier ein Beispiel zu nennen: Ich kann meine Oma vor eine Kamera setzen und sie fragen, wie sich dement sein anfühlt. »Oma, wie sieht es in deinem Kopf aus?« Ich kann ihr zuhören und versuchen zu verstehen, aber es bleibt beim Versuchen, weil es halt nicht meine eigene Lebensrealität ist. Dieses Gefühl des Vergessens ist für mich abstrakt. Das gezeichnete Bild kann jedoch diesen abstrakten Zustand visualisieren und somit für den Zuschauer greifbarer machen.
Dir wird in unserem Porträt über dich eine »Freude an der Ungenauigkeit« attestiert. Findest du das eine zulässige Beschreibung deines Animationsstils?
Ich glaube, mit dieser Ungenauigkeit wurde vielleicht die Ausdrucksfähigkeit meiner Bilder beschrieben. Ich mag es nicht, stundenlang an einem Bild zu zeichnen, weil das Ergebnis mich dann meist langweilt. Bilder, die spontan entstehen, sagen oft viel mehr aus. Ich habe Freude daran, ausdrucksstarke Charaktere zu zeichnen, die sinnlich sind, oftmals skurril, interessant, aber sicher nicht dem Schönheitsideal entsprechen. Das ist das, was mich interessiert – alles das, was nicht perfekt erscheint. Denn was meine Recherchen betrifft, bin ich doch sehr akribisch und genau.
Seit Jahren gibt es im Animationsfilm den Trend des so genannten »animierten Dokumentarfilms«, zu dem deine beiden Filme auch gezählt werden können. Erzählst du gerne »dokumentarisch«? Und wie können eigentlich Animationsfilme, die vollständig aus subjektiv-gezeichnetem Bildmaterial bestehen, Dokumentarfilme sein?
Ist nicht alles subjektiv? Die Verantwortung liegt immer bei der*dem Filmemacher*in und jede*r ist immer auf eine gewisse Art und Weise voreingenommen. Ich, als Filmemacherin, kann entscheiden, welche Wahrheit ich zeige. Auf was ich hier hinauswill, ist, dass ich als Filmemacherin auch im Film durch das Editing entscheiden kann, welche Wahrheit ich zeige. Ich kann mein Material verfälschen, durchs Hinzufügen oder Weglassen zum Beispiel. Ich kann Filmmaterial zeigen, das aus dem Kontext gerissen ist, oder, um es überspitzt zu sagen, Interviews so zusammenschneiden, dass sie meine eigene persönliche Meinung bestätigen.
Egal ob Animation oder Film: Alles ist am Ende des Tages subjektiv und voreingenommen. Dieses Fehlen an Indexikalität des Mediums Trickfilm kann aber sehr oft erfolgreich als Metapher für unsere Gefühlswelt dienen, weil das Medium auch keine Grenzen kennt, und es kann ganz gut Dinge visualisieren, die halt schwer zu visualisieren sind. Wie unter anderem Gefühlswelten oder Krankheiten.
Die Stimme der Enkelin in »In Her Boots« wird von der derzeit wohl umtriebigsten Schauspielerin Österreichs gesprochen: Verena Altenberger. Wie konntest du sie für das Projekt gewinnen?
Ich habe Verena auf Instagram kontaktiert. Als ich ihr dann von dem Projekt erzählt und ihr Skizzen geschickt habe, hat sie gleich zugesagt. Was mich natürlich unheimlich gefreut hat.
In einem Interview meintest du, aus »In Her Boots« soll ein Langfilm werden, der gefilmte und animierte Szenen miteinander verknüpft. Verfolgst du diesen Plan noch?
Einen Langfilm zu machen, ist mein großer Traum. Ich hoffe, dass ich das in den nächsten Jahren in die Tat umsetzen kann, wahrscheinlich dann schon von »In Her Boots« inspiriert.
Wovon und wie lebt eigentlich eine Animationsfilmemacherin, die nicht für Disney oder andere kommerzielle Studios arbeitet, im teuren London?
Ich habe 2019 mit meiner Freundin und Kollegin Emily Downe das Animationsstudio Studio Desk gegründet. Wir arbeiten hier auch gemeinsam an kommerziellen Projekten und können davon ganz gut leben. Kunden, die zu uns kommen, kommen aber wegen unserer visuellen Sprache, was uns bis jetzt unheimlich viel kreative Freiheit erlaubt hat. Und wir durften schon an Projekten für das Victoria and Albert Museum, für TED-Ed und Netflix arbeiten. Zudem arbeite ich zwei Tage die Woche als Lektorin an der University for the Creative Arts.
Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junges Kino aus Österreich.