Nüchtern wird zu Beginn des Films »Das Urteil im Fall K.« ein Urteil gesprochen. Im Gerichtssaal sitzen der Vater und Bruder des 17-jährigen Vergewaltigungsopfers. Özgür Anil zeigt in Folge, wie eine türkische Familie versucht, mit diesem Verbrechen umzugehen. Der preisgekrönte Kurzspielfilm ist neu in der Cinema Next Series kostenfrei zu streamen. Wir haben den Autor und Regisseur zum Interview gebeten.
»Das Urteil im Fall K.« ist die nächste Veröffentlichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streamingplattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.
Cinema Next: In deinen eigenen Worten: Worum geht es in »Das Urteil im Fall K.«?
Özgür Anil: Der Film handelt für mich vom unterschiedlichen Umgang mit Schmerz. In der Folge geht es auch um die Diskrepanz zwischen persönlichem Gerechtigkeitssinn und einem für eine offene Gesellschaft notwendigen Rechtssystem, das man in der Theorie zwar sehr gerne hochhält, aber, wenn man persönlich von dessen Entscheidungen betroffen ist, als ungerecht empfinden kann. Neben den moralischen Fragen geht es für mich persönlich auch um Einsamkeit und die Schwierigkeit von zwischenmenschlicher Kommunikation.
Der Film beginnt mit einer kontextualisierenden Texttafel und einer sehr juristisch-trockenen Urteilsverkündung im Gerichtssaal. Die Emotionen entblätterst du dann Schritt für Schritt im Film. Wie hast du die Geschichte recherchiert und aufgebaut, und war womöglich ein realer Fall Ausgangspunkt?
Nein, es war kein realer Fall der Ausgangspunkt. Ich habe schon lange, bevor ich das Drehbuch geschrieben habe, sehr viel Zeit in Gerichtsverhandlungen verbracht und dutzende Strafprozesse mitverfolgt. Durch meine Arbeit als Journalist hatte ich einen sehr starken Bezug zum medialen Aspekt zahlreicher Straftaten, weshalb es mir wichtig war, nicht nur vom Privatleben der Figuren zu erzählen, sondern auch immer wieder auf gesellschaftliche Reaktionen in den unterschiedlichen Medien hinzuweisen.
War es dir wichtig, den Film im türkischen Milieu zu erzählen?
Ich wollte, dass Täter und Opfer Migrationshintergrund haben, damit moralische Grenzen nicht entlang der Herkunft der Figuren gezogen werden können. Bei den meisten Straftaten stehen Täter und Opfer in einem Näheverhältnis, und ich habe das Gefühl, dass die Tragik der Taten diesen wichtigen soziologischen Aspekt oft überschattet.
Eine junge Frau wurde vergewaltigt, aber der Film legt einen Fokus darauf, wie v. a. Männer im Familienumkreis mit der Situation umgehen. Wie kam es zu dieser Perspektive?
Offen gesagt, ich bin mit dieser Perspektive nicht ganz zufrieden. Ich hatte ursprünglich ein Drehbuch, dass deutlich länger war und das ich kürzen musste, um den Rahmen eines Kurzfilms nicht zu sprengen. Es sind mehrere Figuren und große Teile des Handlungsstrangs von Emine, dem Mädchen, weggefallen. Der Grund dafür war, dass einer der Grundlagen für meinen filmischen Zugang Ambiguität ist und ich bei Emine keinen Weg gesehen habe, diese herzustellen, ohne dabei vom Thema des Filmes abzuweichen. Wenn man den Film aus ihrer Perspektive erzählen würde, wäre es ein vollkommen anderer Film mit komplett anderen Fragestellungen. Das Publikum würde sie auf Grundlage ihres tragischen Schicksals automatisch auf der moralisch richtigen Seite sehen und große Sympathie mit ihr haben.
Dann hat man als Autor zwei Möglichkeiten: Man kann erzählen, dass sie auch andere, unsympathische Seiten an sich hat, das fände ich in einem Kurzfilm unangebracht, da man nicht die Zeit hätte, der Komplexität der Figur gerecht zu werden. Oder man kreiert eine Hauptfigur, an deren moralischen Werten nicht gezweifelt wird und Konflikte durch unempathische Nebenfiguren entstehen, das fände ich zu banal und würde wiederum der Tragweite der Tat nicht gerecht werden.
Die Wut, die solche Taten verständlicherweise auch bei einem unbeteiligten Publikum auslösen, lässt sich, finde ich, am besten durch die Figur des Bruders kanalisieren. Ich denke viele Zuschauer*innen können am Anfang des Filmes seine Wut verstehen. Spannend wird es, für mich dann, wenn das Publikum Ekrems und dadurch hoffentlich auch seine eigene Position anfängt zu hinterfragen.
Ihr wählt für den Film eine schöne klare, aber distanzierte Bildsprache. Warum? Was war euch wichtig?
Wir wollten, dass der Film als eine Fortführung des Gerichtsprotokolls gesehen werden kann. Es war mir wichtig, den Zuschauer*innen genug Raum zu geben, um ihre eigenen Gedanken und Gefühle gegenüber dem Gezeigten entwickeln zu können. Ich wollte damit aber auch selber eine Haltung gegenüber dem Film einnehmen, denn bei aller Freiheit, dem man seinem Publikum geben will, halte ich es für die Qualität eines Filmes entscheidend, gewisse ästhetische Kriterien zu formulieren, in deren Rahmen sich die Fantasie des Publikums entfalten kann. Ich denke, die Entscheidung über die geeignete Kameraposition ist einer der wichtigsten und persönlichsten Aspekte in der Arbeit eines Regisseurs.
Wenn man bei deinem Film von einer »Lieblingsszene« sprechen kann: Welche wäre das für dich?
Die Szene, in der Ekrem über eine Brücke geht und die Worte seines Vaters hört. Nachdem er das Bild verlässt, fährt eine U-Bahn im Hintergrund vorbei. Auch wenn ich großen Wert auf eine gut strukturierte Handlung lege, sind für mich die wichtigsten Aspekte beim Filmemachen der Umgang mit Raum und Zeit. Ich finde diese Szene schafft es, mit Bewegung, Licht und Ton Gedanken und Emotionen zu kreieren, die nur im Medium Film erzeugt werden können.
Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junges Kino aus Österreich.