»Anstatt zu reden, wiederholen zwei Männer ein brutales Militärritual, das irgendwie auch sehr zärtlich ist«, beschreibt Valentin Stejskal seinen leise, aber kraftvoll erzählten Film »5 pm Seaside«, der letztes Jahr auf der Diagonale in Graz als bester Kurzspielfilm ausgezeichnet wurde. Der an der Küste Griechenlands gedrehte Film ist neu in der Cinema Next Series kostenfrei zu streamen. Wir haben den Filmemacher zum Interview gebeten.
»5 pm Seaside« ist die nächste Veröffentlichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streamingplattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.
In deinen eigenen Worten: Worum geht es in »5 pm Seaside«?
Valentin Stejskal: Der Film erzählt vom Verlangen nach einem Neuanfang, um die Taubheit von Gefühlen zu überwinden und Nähe wieder zulassen zu können. Oder konkreter: Es geht um zwei Ex-Soldaten, die ineinander verliebt waren, aber keiner der beiden kann das dem anderen gegenüber eingestehen. Sie sehen sich nach vielen Jahren wieder, doch anstatt zu reden, wiederholen sie ein brutales Militärritual, das irgendwie auch sehr zärtlich ist.
Die Jury der Diagonale ’22 begründete ihre Entscheidung u. a. mit den Worten: »Der Preis für den besten Kurzspielfilm geht an einen Film, der uns auf ebenso radikale wie poetische und unpathetische Weise fordert, Ambivalenzen auszuhalten.« Findest du dich hierin wieder? Wollen deine Filme all das sein? Radikal, poetisch, unpathetisch und/oder ambivalent?
Uns haben diese Worte sehr gefreut. Kern der Geschichte ist eine Beziehung, die sich nicht in eine Kategorie einordnen lässt. Die beiden Männer sind Freunde, Feinde, Brüder und Liebhaber zugleich. Das klingt vielleicht romantisch, für die Charaktere ist es das aber nicht. Ihre Gefühle stehen im harten Konflikt mit den konservativen Normen von Männlichkeit, die sie selbst auch verkörpern wollen.
Im Film haben wir viele Hintergrundinformationen zurückgehalten, um das Publikum auf die Suche der Charaktere nach Klarheit mitzunehmen. Am Ende des Films hoffe ich, dass viele Fragen, die wir uns zu Beginn gestellt haben, ihre Relevanz verloren haben und dass wir uns auf das einlassen, was vor unseren Augen, im Moment, zwischen diesen beiden Menschen stattfindet.
Viele Zuseher*innen verstehen das sofort intuitiv, andere sind eher lost. Ich habe in den letzten Monaten im Gespräch mit dem Publikum viel über Storytelling erfahren. Ich glaube, ein paar Sachen haben wir gut gemacht und wir können stolz drauf sein – bei ein paar anderen Dingen sind wir meiner Meinung nach übers Ziel hinausgeschossen. Es war weniger das Bedürfnis, radikal zu sein, als der Anspruch, eine ehrliche und respektvolle Form für die Geschichte zu finden.
Du hast für den Film mit dem mazedonischen Kameramann Samir Ljuma zusammengearbeitet, der schon für den Oscar-nominierten Dokumentarfilm »Honeyland« fantastische Bilder eingefangen hat. Wie kam eure Zusammenarbeit zustande?
Samir hat das Treatment über einen Freund in die Hände bekommen und sich dann bei mir gemeldet. Das war ein riesiges Glück. Ich hatte zu dem Zeitpunkt Zweifel, ob ich bei dem Film Regie führen kann, denn manche Dimensionen der Geschichte waren mir unzugänglich. Samir hat sich dann sehr persönlich in den Film eingebracht und mich darin bekräftigt, meiner Intuition zu folgen. Seine Arbeitsweise ist undogmatisch, fürsorglich und großzügig.
Wir haben viel Zeit zusammen vor Ort in Griechenland verbracht und gemeinsam mit dem Creative Supervisor Ferdinand Waas unseren Blick auf die Geschichte gefunden. Eines der zentralen Themen war das Spiel von Distanz und Nähe, auch was den Aspekt der Privatsphäre unserer Charaktere betrifft: Wann lassen wir ihnen Raum und wann tauchen wir tiefer in ihre Gefühlswelt ein? Oft erzählen dann Hinterköpfe und Rücken mehr als Gesichter.
Gibt es in deiner Arbeit und jetzt speziell für einen Film wie »5 pm Seaside« filmische Vorbilder oder Referenzen dafür, wie ihr erzählen und inszenieren wolltet?
Generell fühle ich mich bei Filmen zu Hause, die mir Raum für meine eigenen Gedanken geben. Ich will nicht grundlos emotional ausgebeutet werden, erwarte mir aber gleichzeitig eine Geschichte, die mich leitet und fordert. Das wahrscheinlich Wichtigste ist mir der Respekt, den ein Film seinen Figuren gegenüber hat. Ich mag das in Filmen wie »Persona« von Ingmar Bergman, »Yi Yi« von Edward Yang und »Touch Me Not« von Adina Pintilie. Drei sehr unterschiedliche Filme, die mir helfen, Menschen besser zu verstehen und mich ihnen näher zu fühlen, ohne im Muster von Gut und Böse festzustecken.
Speziell für »5 pm Seaside« hat sich der Spielfilm »Beau Travail« von Claire Denis ein bisschen wie ein großer Bruder angefühlt: Man liebt ihn, lernt viel, muss sich dann aber unabhängig von ihm machen. Es ist wunderbar, von Filmen zu lernen, irgendwann kommt dann aber immer der Punkt, an dem ich das Gesammelte erst mal aus meinem Kopf haben will. Jede Geschichte hat ihre eigenen Ansprüche und ich will mich nicht in einem Stil festfahren. Eine Form zu finden, ist für mich eine sehr politische Entscheidung und beginnt deshalb beim Kennenlernen des sozialen Kontexts der Geschichte und der Frage, in welchem Verhältnis wir dazu stehen. Wie ich eine Geschichte erzählen will, ergibt sich in der Diskussion mit meinem Team, Freund*innen und Familie.
Wir haben dich als Absolvent der Ortweinschule Graz kennengelernt, seither arbeitest du als freischaffender Filmemacher. Wie einfach ist es für jemanden, der nicht aus einer Filmhochschule kommt, in der Branche wahrgenommen zu werden und sich als Filmemacher zu etablieren?
Das ist für mich schwer zu sagen. Ich habe früh begonnen, Filme zu machen, und das war auch immer stark mit dem Wunsch verbunden, an einer Filmhochschule zu studieren. Als das dann nach ein paar Versuchen nicht geklappt hat, wurden meine Selbstzweifel schon recht groß, genauso wie mein Frust auf die Hochschulen. Das war ungesund. Es fällt mir sehr schwer, zu den eigenen Geschichten zu finden, wenn ich mit anderen konkurriere, anstatt von ihnen zu lernen. Die Entscheidung, »5 pm Seaside« in Griechenland zu drehen, hat mir da rausgeholfen. Es war ein Ort ohne meine imaginären Windmühlen.
Sich auf das Filmemachen konzentrieren zu können, egal ob mit oder ohne Hochschulausbildung, ist ein Privileg. Man braucht viel Zeit, und die muss man sich ja auch irgendwie finanzieren. Ich hatte lange das Glück, mir darüber nicht zu viele Sorgen machen zu müssen. Deshalb hatte ich die Zeit, mich auszuprobieren und Menschen kennenzulernen, mit denen ich gerne arbeite. Das ist auch etwas, was ich mir von einer Filmhochschule erhofft hätte.
Die Welt der Filmwirtschaft habe ich nur am Rand kennengelernt, ich will mir aber auch nicht zu große Sorgen darüber machen. Ich schätze es, unter dem Radar zu arbeiten. Auch wenn das bedeuten könnte, dass ich mein Geld nicht nur mit Filmemachen verdienen werde. Ich weiß nicht, wie lange das so funktioniert, aber »5 pm Seaside« hat mir viel Mut gegeben so weiterzumachen.
Und was steht als Nächstes bei dir an?
Sieht so aus, als würde es mit »Männern und Gefühlen« weitergehen … Ich habe da etwas noch nicht ganz verstanden.
Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junger Film aus Österreich.