Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im April 2023. Mit Blond, Element of Crime, Steiner & Madlaina, Kaufmann Frust, Kommando Kant und mehr.
Element of Crime – »Morgens um vier«
Verlässlichkeit ist ein hohes Gut – im Privaten, im Beruflichen, im kulturellen Konsumverhalten. Dafür, dass die beste Band der Welt auf Album Nummer 15, das erste ohne selig David Young, am seit Jahrzehnten erprobten Erfolgsrezept nur Nuancen ändern wird, sollten schon die Alben Nummer sechs bis Nummer 14 vorauseilender Beweis gewesen sein. Hie und da eine zweite Stimme – furchtbar, wenn Sie mich fragen; was ein Sven Regener an Bamborschke von Isolation Berlin findet, das möchte man gerne wissen –, aber das war es im Großen und Ganzen mit den Veränderungen. Manche Stücke klingen eher nach »Psycho« (1999), manche dafür eher nach »Romantik« (2001), die meisten aber eher nach »Schafe, Monster und Mäuse«, dem letzten Studioalbum. »Aber«, fragen Sie jetzt, »muss das denn immer sein, das mit dieser Veränderung?« Da sind wir uns wohl einig: nein. Mir ist das Verlässliche auch lieber. Aber eben nicht nur, was Musik und Text angeht, sondern auch im Qualitativen. Und da macht Element of Crime schon lange niemand mehr etwas vor.
»Morgens um vier« von Element of Crime erscheint am 7. April 2023 bei Universal Music. Konzerttermine: 20. September, Linz, Posthof — 21. und 22. September, Wien, Konzerthaus. Hier kaufen.
Blond – »Perlen«
Während 1983 bei den Weather Girls noch Männer, die vom Himmel regnen, für (homo-)sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit stehen, sind jene mittlerweile – von der sehr sympathischen Gruppe Blond auch genauso besungen – nur mehr breitbeinige Saboteure weiblicher Selbstbestimmung. Der Hit »Männer« ist folgerichtig auch der größte und wichtigste Song auf dem zweiten Album des Chemnitzer Dreiers, der bereits mit seinem Debüt »Martini Sprite« die Indie-Floors der Großraumdiskotheken zu fluten vermochte. Die Konzertlocations sowieso. Die Trademarks der sich im Gesang abwechselnden Kummer-Schwestern – empowernde Texte, in überlebensgroßen Refrains mit Edding an die Wände gemalt – bleiben natürlich bestehen. Die stampfenden Beats der überwiegend BPM-hochfrequenten Stücke schielen immer wieder Richtung Electroclash. Am liebsten auf die Fresse, dorthin, wo es am meisten wehtut. Blond schaffen es wie aktuell nur wenige Künstler*innen wütende Popmusik mit Message in den Äther zu schicken. Cool!
»Perlen« von Blond erscheint am 21. April 2023 bei Betonklunker Records. Konzerttermin: 21. November, Wien, Flex. Hier kaufen.
Steiner & Madlaina – »Risiko«
Das Schweizer Zweiergespann Nora Steiner und Madlaina Pollina ist 2015 mit dem ebenso sympathischen wie treffenden Genrebegriff des »progressiven Schlagers« angetreten, um eingängiger deutschsprachiger Popmusik seinen eigenen, meist etwas verqueren und doppelbödigen Stempel aufzudrücken. Ein paar Millionen Youtube-Views und zwei Charts-Alben später – das jüngere namens »Wünsch dir Glück« klettere 2021 auf Platz zwei in ihrem Heimatland – hat sich daran nicht viel verändert: Texte, die sich in den Gehörgängen der Zielgruppe einnisten (beste Zeile: »Ich trinke nur noch Cuba Libre / weil ich Freiheit so sehr liebe«; aus »Paradies«) –, dazu tolle Popmusik, die sich auch für den größten Krach nicht zu schade ist. Seinen Höhepunkt und gleichsam die Synopsis des Wesens dieser Gruppe findet »Risiko«, auf dem die Gesangsparts schwesterlich aufgeteilt werden im Hit »Besser wird’s nicht« mit sommerlichem Cabrio-Refrain, der ein gutes Gespür für Unzufriedenheiten und dem Umgang damit offenbart. Starkes Ding!
»Risiko« von Steiner & Madlaina erscheint am 14. April 2023 bei Glitterhouse Records. Konzerttermine: 23. November, Wien, Flucc — 24. November, Ebensee, Kino — 25. November, Graz, Autumn Leaves Festival. Hier kaufen.
Kaufmann Frust – »Im Blau«
Das obligatorische Düster-Postpunk-Album des Monats kommt von der im Allgemeinen sehr tollen Gruppe Kaufmann Frust aus München, Stuttgart und Berlin – das ist diese Globalisierung, ich sag’s euch! Da bereits das 2018er-Albumdebüt »Aus Wachs« von Bewertungsstellen allerorts positive Rückmeldungen erhielt, sollten ähnliche Stürme der Begeisterung auch mit »Im Blau« nur eine Frage der Zeit sein – wenngleich der mitunter recht bedeutungsschwanger textende Vierer doch eine gehörige Spur Pop in die Aufnahme geschmuggelt hat. Ebenjene übernahmen übrigens mit Ralv Milberg, dem Godfather of Stuttgart Noise, und Tobias Siebert, Kopf der tollen Band Klez.e, zwei exponierte Experten für alternative, eher dunkle Gitarrenmusik mit offenem Blickfeld für ein größeres Publikum. Inhaltlich identifikationsstiftend ist »Im Blau« allemal, dreht sich doch auf dem zweiten Album von Kaufmann Frust vieles um diese Farbe, deren Traurigkeit sich nicht erst seit Eiffel 65 in mystische Folklore eingeschrieben hat.
»Im Blau« von Kaufmann Frust erscheint am 21. April 2023 bei My Favourite Chords. Aktuell keine Konzerttermine für Österreich. Hier kaufen.
Kommando Kant – »Eklat«
Kommando Kant kommen nicht nur aus Husum, der Hauptstadt des Northern Punks deutscher Sprache, sondern werden dem vermeintlichen Landleben auch inhaltlich gerecht. Schließlich befasst sich der Vierer textlich wie üblich – und für alle »Zugereisten« äußerst relatable – mit dem Zwischenmenschlichen im Dualismus von Groß- und Kleinstadt. Er spielt dabei aber noch stärker als bislang und vor allem als auf dem letzten, sehr stark betitelten Album »Aussterben ist ein schönes Hobby« auf der gesamten Klaviatur von Gitarrenmusik und klingt gar nicht mehr so sehr nach Husum oder Hamburg, sondern eben mehr nach dem Kern der Gruppe selbst. Oder anders ausgedrückt: Kommando Kant haben sich mehr als bislang vom Sound der Vorbilder entfernt und ihren eigenen gefunden, der irgendwo zwischen Indie-Rock, Punk, Emo und Postpunk liegt.
»Eklat« von Kommando Kant erscheint am 14. April 2023 bei Devil Duck Records. Aktuell keine Konzerttermine für Österreich. Hier kaufen.
Außerdem erwähnenswert:
Swutscher – »Swutscher live«
(VÖ: 21. April 2023)
Bierseligkeit und Livekonzerte gehören zusammen wie, naja, wie eben Bierseligkeit und Livekonzerte. Dass die bierseligste Gruppe Deutschlands, die Hamburger Schunkelrocker Swutscher, nun bereits nach dem zweiten Studioalbum zum ersten Mal ein Livealbum veröffentlichen, ist daher nur würdig und recht. Besonders schön – und passend: Es erscheint nur auf Kassette, auf 200 Stück limitiert. Sollte man sich holen, live oder hier.
Die bisherigen Veröffentlichungen aus Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.