Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Januar 2021

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© Tim Wettstein
© Tim Wettstein

Grant – »Größenwahn«

© Alina Groer
© Alina Groer

Die gegenwärtig wohl unterschätzteste Band Wiens, die schon irgendwie zu diesem großen Austropop-Schwindel der letzten Jahre gehört, aber sich seit jeher durch allzu große Eigenständigkeit einen guten Schritt von jeglicher Beliebigkeit entfernt hat, wirft ihr drittes Album aufs Tableau: »Größenwahn«, passend zum Gestus der Gruppe benannt, verfeinert das, was Grant seit Beginn und vor allem mit dem letzten Album »Unter dem Milchwald« von 2017 – Kinder, die Zeit vergeht! – auszeichnet: Flirrende, teils virtuos-klirrende Gitarren, die man so auch selten hört, dieser seltsame Pop-Appeal trotz aller Weirdness im Songwriting und vor allem diese poetisch-kruden Texte. Neben den üblichen literarischen Bezügen von Kafka bis Roth, fehlt auf »Größenwahn« auch Politisches nicht, Waldheim, Ibiza und so. Lieder wie »Kaffeeeck« (dem »Espresso« der 20er-Jahre) oder »Tschick« (dem »Tschick« der 20er-Jahre) pflegen das Image der Gruppe – versifft und dem Exzess nicht abgeneigt. Der größte Hit – wenn man im Kontext von Grant überhaupt von »Hits« sprechen kann – des durchwegs sehr gut hörbaren Albums ist allerdings »Galaxien«, der sozusagen die Quintessenz von Grant ist: Unendlich verkopft und gleichzeitig leichtfüßig.

»Größenwahn« von Grant erscheint am 21. Januar 2020 via Problembär-Records. Live-Termin: 2.7.2021, Szene Wien.

Dagobert – »Jäger«

© Regina Olev
© Regina Olev

Persönlicher Einschub: Für den Autor dieser Zeilen ist Dagobert ein überlebensgroßer Popstar, ein Außerirdischer, gesandt, um die Welt zu einem schöneren Ort zu machen. Die ersten beiden Alben »Dagobert« (2013) und »Afrika« (2015) sind Platten für die Ewigkeit, die dritte »Welt ohne Zeit« (2019) eher nicht. Das vierte ist zumindest mehrdeutig: Einerseits der Titel – »Jäger« ist Dagoberts Klarname, aufgenommen wurde das Album in den Wäldern der Schweizer Alpen und ja, er ist immer auf der Suche nach dem nächsten großen Hit –, andererseits natürlich auch die Musik. Es gibt wieder Krimes-Baller-Songs wie das live-erprobte »Wunder der Natur«, getragene Elektronik wie im Titelstück, mit dem er sich mit seiner Familie auseinandersetzt – tolle Zeile: »Es ging nicht immer gut / es war auch mal gar nicht gut« – und dann gibt es diese Lieder, die jeglichen Zweifel an der Schaffenskraft dieses Ausnahmekünstlers als reinsten Kokolores brandmarken: Lieder wie »Ich will noch mal«, die wohl stärkste Ballade im gesamten Œvre. Klavier, diese unverwechselbare Stimme und diese wahre und pure Erkenntnis, dass eine gescheiterte Liebe am besten noch einmal von ganz vorne gelebt werden müsste. Noch einmal jung sein, noch einmal verliebt sein. Einmal Dagobert sein.

»Jäger« von Dagobert erscheint am 21. Jänner 2021 via Dagobert / Recordjet. Termin: 3.9.2021 im Chelsea, Wien.

Fotos – »Auf zur Illumination!«

© Alexander Gehrig
© Alexander Gehrig

Die Hamburger Indie-Pop-Veteranen Fotos suchen die Erleuchtung im Space Rock – und finden sie auch: Nachdem die Gruppe, die Ende der Nullerjahre mit drei Alben und noch mehr Hits reüssieren konnte, erst 2017 mit dem eklektischen Synthie-Album »Kids« aus ihrem Dornröschenschlaf erwachte, bastelte Mastermind Tom Hessler in seinem Berliner Lockdown-Studio in drei Monaten neun Stücke. Diese suchen zwar klanglich im atmosphärischen Space Rock mit Anleihen an fiktiven 70er Jahren das große Weite, textlich unternimmt »Auf zur Illumination!« aber vor allem eine Reise ins Kleinste, ins Innerste – Quarantäne eben. Die Lyrics sind dabei gar nicht weniger psychedelisch als die Musik, (scheinbarer) Zwiegesang und Hall gibt den Vocals einen zusätzlichen Drift ins Spacige, manchmal klingt das nach International Music, häufig auch nach Ariel Pink und sonstigen Probanden der Schwerelosigkeit, die für »Auf die Illumination!« Pate standen. Nicht die schlechtesten Referenzen!

»Auf zur Illumination!« von Fotos erscheint am 22. Januar 2020 via [PIAS] Recordings. Noch keine Live-Termine.

Steiner & Madlaina – »Wünsch mir Glück«

© Tim Wettstein
© Tim Wettstein

Die beiden Schweizerinnen Nora Steiner und Madlaina Pollina, die bereits mit ihrem 2018 erschienen Debüt-Album »Cheers« nicht nur die Herzen der internationalen Pressestimmen eroberten, sondern auch Support-Shows für Element of Crime und Faber abstauben konnten, gehen mit dem zweiten Album noch einen Schritt weiter: Erstmals sind alle Songs in schriftsprachlichem Deutsch – keine bewusste Entscheidung, schließlich textet jeder der beiden immer alleine, am Schluss klangen die deutschen Lieder halt am besten –, durchgängig schwebt durch »Wünsch mir Glück« Indie-Pop aller Spielarten, von folkig bis verschleppt-rotzig, der aber auch gerne mal mit halben Augen auch in Richtung Schlager schielt, aber noch deutlich vor der letzten Ausfahrt Reißaus nimmt: Zu intelligent sind die Texte, zu feministisch in ihrem Denken und Sein und damit zu kritisch und unbrauchbar für ohnehin nicht notwendigen Kitsch. Klare Empfehlung!

»Wünsch mir Glück« von Steiner & Madlaina erscheint am 29. Januar 2021 via Glitterhouse. Noch keine Live-Termine.

Sperling – »Zweifel«

© Simon von der Gathen
© Simon von der Gathen

Die sehr durchgestylte Gruppe Sperling aus dem Hunsrück präsentiert mit ihrem Debüt »Zweifel« das Album des Monats für Befreundete des gepflegten Post-Hardcore. Für jene, die mit dem Begriff »Emo« ein bisschen mehr verbinden als nur Selina Gusenbauer. Das besondere an Sperling ist ihr Klangbild: Die Verbindung von Indie-Rap, der nach tausenden Zigaretten und Spirituosen klingt, mit melodischem Post-Hardcore der norddeutschen Schule und – ja – Klassik, schließlich zählt auch ein Cello zur ansonsten typischen Rock-Besetzung. Die Beschreibung mag zwar recht cheesy klingen, die 12 Songs auf dem Erstling sind es aber auf keinen Fall: Auch wenn die Themen wie Alleinsein, Depression genretypisch sind, schafft es »Zweifel« lyrisch Wunden aufzugraben und den Finger in selbige zu legen. Aufgenommen mit Beray Habip, der davor schon Kettcar oder Adam Angst produzierte, sind die Stücke atmosphärisch inszeniert und auch musikalisch aufregend. Sollte man haben!

»Zweifel« von Sperling erscheint am 22. Januar 2021 via Uncle M. Noch keine Live-Termine.

AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:

Kreisky – »Atlantis«

(VÖ: 22.1.2021)

Österreichs interessanteste Band ist wieder einmal auf Zack: Mit dem neuen sehr guten Album »Atlantis« halten Kreisky der so genannten Nation den Spiegel vor: Die beknackten Geschichten des Alltags stehen im Vordergrund, wieder gibt’s eine Hymne auf die Untugend des Skisports (»Abfahrt Slalom Super G«) und endlich wehrt sich jemand gegen diese verdammten Gfraster namens Kinder (»ADHS«). Mehr Infos gibt’s in der aktuellen Ausgabe von thegap, kann man hier lesen.

ZSK – »Ende der Welt«

(VÖ: 15.1.2021)

Die Chefdilletanten des verzeckten Skatepunks melden sich nach dem Katastrophenjahr mit einem neuen Album zurück – »Ende der Welt« richtet sich an all jene, die trotz der Umstände weiter daran arbeiten, eine bessere Welt zu basteln. Das ist nicht gerade einfach, umso mehr sind die Stücke, die neben den typischen Wutausbrüchen auch – wie es heißt – »überraschend tanzbar« sind. Pogo mit Kontaktperson Kategorie 1. 

Büchse – »Tumulte«

(VÖ: 22.1.2021)

Monatlich grüßen an dieser Stelle die sagenhaften Releases von Bakraufarfita Records: Im Jänner schickt das Label das Trierer Punkrap-Trio Büchse in Rennen, die auf ihrem Debüt Genregrenzen sprengen (#noboarders) und die Pole Rap und Punk zu einem eigenständigen Sound vermischen. Dazu noch ein paar systemkritische Texte gegen Kapitalismus, Ausbeutung und Größenwahn und fertig ist ein Album, das jede Menge zu sagen hat.

Don Marco & Die kleine Freiheit – »Gehst du mit mir unter«

Supergroup-Alarm! Das neue deutschprachige Projekt von Markus Naegele, den man von den Münchner Indie-Poppern Fuck Yeah können dürfte, wartet auch mit Mitgliedern von Swans oder Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen auf und bietet vor allem für Fans von kompromisslosen Indie-Rock, der auch gerne mal in Richtung NDW schielen kann und auch ein Auge auf Country-Rock haben darf, jede Menge: Krachende, schneidende Gitarren und uneingeschränkte Tanzbarkeit. Das klingt ja schon mal gut!

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