Mit dem dritten Projekt ihrer Filmreihe »Elemental Cinema«, die sich mit den klassischen vier Elementen als den Bausteinen der Welt auseinandersetzt, richten Denise Ferreira da Silva und Arjuna Neuman den Blick auf Chile, wo globale Windströme auf eine neoliberale Geschichte der Gewalt treffen.
Im Rhythmus der Jahreszeiten erhebt sich jedes Jahr eine rote Wolke aus Staub über dem afrikanischen Kontinent, steigt in die Luft und wandert entlang der selben Route, die die Sklavenschiffe der Kolonialmächte besegelten, angetrieben von derselben Kraft wie diese, als gigantische Schwade über den Atlantik. Von der anderen Seite erreicht den amerikanischen Kontinent ein Westwind, der von Asien kommend Rauch, Regenwolken, Mikroben und Mineralien bringt – Material, das die Felder befruchten und die Regenwälder mit Nährstoffen versorgen wird und das über eine Ewigkeit hinweg die Kupfer- und Lithiumbestände gebildet hat, die heute unsere Energietransformation ermöglichen sollen.
Vom All aus gesehen zeigt sich die Dimension dieser Wanderungsbewegungen und auch, dass die Ströme alle nur Teil eines dynamischen Ganzen sind, das sich als zusammenhängendes Ökosystem über den Globus erstreckt. Alles, was irgendwo hierin entsteht, wird an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit wieder vergehen. In dieser Welt ist jede Rechnung ohne Verluste und ohne Gewinne, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft; es ist alles schlichtweg immer da.
Gräber, keine Ruhestätten
Direkt an der schroffen Küste Chiles treffen die Winde auf ein wüstes Gräberfeld aus der Zeit der proto-neoliberalen Diktatur Pinochets. Die Toten, die hier liegen, sind namenlos und verstreut, die Gräber keine Ruhestätten. Morde, die damals unter aller Augen begangen und doch von niemandem gesehen wurden, liegen heute in klarer, kalter Luft offen zutage. Ohne wiederum erkannt werden zu können.
Nicht weit entfernt werden den Böden in gigantischen Anlagen Metalle und Erden entzogen, bevor sie sich in alle Richtungen zerstreuen, auf Handys, Laptops und Autos, Vapes und Satelliten verteilen und uns schließlich von überall umgeben.
Extraktivismus und Vertreibung, Handelsfreiheit und supranationale Tech-Unternehmen – all das trifft hier zusammen. Aber wie die gigantischen Staubwolken erst von Weitem gut zu erkennen sind und wie die Rohstoffe unter der dem blauen Licht der Displays im Dunkeln gehalten werden, so halten sich auch diese elementaren Kräfte der Gegenwart verdeckt und ihre wahren Ausmaße werden erst mit Abstand sichtbar. In der Ausstellung »Ancestral Clouds Ancestral Claims« zeigen sich die Mechanismen einer Realität, die auf einer unsichtbaren Gewalt basiert. Und deren Unsichtbarkeit diese Gewalt überhaupt erst legitimiert.
Denise Ferreira da Silva und Arjuna Neuman arbeiten seit 2016 zusammen an der Filmreihe »Elemental Cinema«. Die Ausstellung »Ancestral Clouds Ancestral Claims« sowie die gleichnamige Arbeit sind noch bis 17. März 2024 in der Kunsthalle Wien zu sehen. Begleitend zur Ausstellung finden Gespräche, Workshops und Führungen bei freiem Eintritt statt.
Unsere Heftrubrik »Golden Frame« ist jeweils einem Werk zeitgenössischer Kunst gewidmet. In The Gap 202 ist dies: »Ancestral Clouds Ancestral Claims« von Denise Ferreira da Silva & Arjuna Neuman.