»Es ist völlig legitim, nicht immer zu wissen, was man machen will« – Bernhard Wenger und sein Langfilmdebüt »Pfau – Bin ich echt?«

Nach frühen Erfolgen mit schwarzhumorigen, skurrilen Kurzfilmen erobert Regisseur Bernhard Wenger nun die Kinoleinwände mit seinem ersten abendfüllenden Spielfilm.

© Alexander Galler

»Der Pfau kann weder gut fliegen noch singen. Selbst sein Schrei hat nichts Liebliches oder Schönes an sich, sondern ist unangenehm. Aber er präsentiert brav seine Federn und wird als eitles und edles Tier gesehen.« So erklärt Bernhard Wenger die Allegorie, die sich hinter dem Titel seines Spielfilmdebüts »Pfau – Bin ich echt?« verbirgt. Im Zentrum: ein junger Mann, gespielt vom deutschen Charaktermimen Albrecht Schuch, der für seinen Job in einer Rent-a-Friend-Agentur regelmäßig neue Persönlichkeiten annimmt; der häufig als protziges Begleitstück fungiert; der hinter der Fassade aber nur noch wenig an eigenem Charakter zu bieten hat.

Selbst wirkt Wenger nicht wie ein stolzer Pfau, als wir ihn an einem kühlen Jänner-Nachmittag im Filmcasino zum Gespräch treffen. Dieser junge Mann erweckt den Eindruck, ruhig und in sich gekehrt zu sein. Gelegentlich huscht ein süffisantes Lächeln über seine Lippen. Weniger wie der stets scherzende Ruben Östlund oder der von chaotischer Energie sprühende Ari Kaurismäki, sondern eher wie der zurückgezogen wirkende Giorgos Lanthimos. Alle drei sind Filmemacher, mit deren Werken »Pfau« nach der Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Venedig verglichen wurde.

Wie er selbst den Vergleich zu den großen satirisch-humoristischen Stimmen der Gegenwart sieht? »Sicher ehrt mich das. Es sind wahnsinnig tolle Filmemacher, deren Werke ich sehr bewundere.« Besonders Kaurismäki habe es ihm angetan: »Er war der erste Regisseur, der mich wirklich begeistert hat, dessen Filme ich alle sehen wollte. So ist meine Liebe zum skandinavischen Kino entstanden.« Trockener und schwarzer Humor sowie Understatement in der Handlung gepaart mit Absurdität und Surrealismus – dazu gelegentliche Situationskomik. Das sind klassische Charakteristika skandinavischer und britischer Komödien. Es sind auch Elemente, auf die Wenger in seinen Filmen immer wieder zurückgreift.

Der Erfolg gibt ihm recht. »Pfau – Bin ich echt?« lief in Venedig in der unabhängigen Sektion »Settimana Internazionale della Critica« und wurde dort mit zwei Preisen ausgezeichnet. Beim Internationalen Filmfestival von Stockholm gewann er das Aluminium Horse für den besten Debütfilm. Und der gebürtige Salzburger Wenger konnte auch davor schon reüssieren – mit seinen Kurzfilmen: »Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin« von 2018 gewann Preise bei der Alpinale, der Diagonale, beim Filmfestival Max Ophüls Preis, beim Filmfestival Kitzbühel und beim Österreichischen Filmpreis. »Guy Proposes to His Girlfriend on a Mountain« wurde bei den Vienna Shorts 2019 ausgezeichnet.

Entschleunigung ist für Bernhard Wenger ein essenzielles filmisches Mittel. (Bild: Alexander Galler)

Untypisch österreichisch

Eine typisch österreichische Note merkt man Wengers Filmen dabei nicht wirklich an, wenn auch immer wieder typisch österreichische Originale durch den Raum stolzieren. Für Wenger ist das neben seiner Liebe für nördlicheren Humor auch ein Statement, dass Humor in einer Nische existieren kann und muss. »In Österreich haben wir zwar einen ausgeprägten Humor, aber es gibt wenige Filme mit Humor, die nicht kommerziell ist.« Soll heißen? »Das ist Humor, der hauptsächlich über Dialog, Slapstick und große Übertreibung funktioniert. Der Humor, mit dem ich arbeite, ist subtiler.« Er versuche stets, aus einem Realismus heraus zu arbeiten: »Die Übertreibung darf nie so groß sein, dass man sich denkt, dass das jetzt unrealistisch ist.«

Ebenso eine Seltenheit, die sich in seinen Filmen findet: ein internationaler Cast mit Darsteller*innen von außerhalb der deutschen Sprachinsel. »Selbst in einem kleinen Land wie Österreich kommen alle täglich mit Menschen in Berührung, die aus anderen Ländern sind und die andere Sprachen sprechen.« Daher finde er es interessanter, Projekte international aufzuziehen: »Weltoffenheit statt Nabelschau und anstatt nur innerhalb der eigenen Grenzen zu denken.«

Seine Filmsprache perfektionierte Wenger vor allem in den letzten Jahren, doch die Liebe zum Film begleitet ihn seit seiner Jugend. »In der Stadtbibliothek Salzburg gibt es eine Filmsektion. Dort habe ich mir DVDs ausgeborgt und alles angeschaut.« Um diese Zeit herum begann er auch, Kurzfilme zu drehen, und mit 18 Jahren bewarb er sich für die Filmakademie in Wien. Für einen Studienplatz wurde er damals aber nicht genommen. »Im Nachhinein völlig nachvollziehbar bei dem, was ich da abgegeben hatte«, erinnert er sich schmunzelnd. Doch die Leidenschaft brannte weiter und als Filmemacher in spe sucht man daraufhin eben andere Wege, um in die Branche einzusteigen. Erste Set-Erfahrung sammelte Wenger bei diversen Produktionen und Kurzfilmen: »Egal ob Kabel tragen oder Brote schmieren – einfach dabei sein.«

Produktion, dann Regie

Dann begann eine Reise der Umwege. »Ich wusste immer, dass ich Regie machen möchte«, erklärt er den damaligen Gedankengang. Doch die Erfahrung in der Produktion, unter anderem bei seinen eigenen Kurzfilmen, habe ihn dazu getrieben, sich beim nächsten Versuch an der Filmakademie stattdessen für Produktion zu bewerben. »Für Regie hatte ich das Selbstbewusstsein noch nicht. Ich wusste, dass ich dafür noch viel lernen müsste.«

2014 klappte es dann. Die eineinhalbjährige Grundausbildung, die alle durchlaufen müssen, sowie seine Kurzfilme, mit denen er Erfolge bei Festivals feierte, gaben ihm letztlich das zuvor fehlende Selbstbewusstsein. »Ich habe in diesen eineinhalb Jahren so viel gelernt wie noch nie in meinem Leben«, erzählt Wenger. »Danach wusste ich, dass ich bereit bin, auch Regie zu studieren, und habe es als zweites Hauptfach dazugenommen.«

Bereut er die Zeit im Bereich Produktion? »Es hat mir sehr geholfen – beim Schreiben, beim Regieführen. Ich weiß dadurch, was alles möglich ist. Aber das Herz war halt bei der Regie.« Als Regisseur möchte er nun Arthouse mit Humor verbinden. Den nicht-kommerziellen Humor kultivieren. »Ich mag es, wenn man mit einem Film die Leute zum Lachen bringen kann, aber gleichzeitig tiefgründige Themen vermittelt.«

In Falle von »Pfau – Bin ich echt?«, in dem seine Hauptfigur zwischen Sein und Schein hin- und herstolpert, reflektiert Wenger die Bedeutung von Status und Prestige sowie die Selbstinszenierung in den Medien und die dahintersteckende Einsamkeit. Matthias ist zwar Weltmeister darin, seine Kund*innen gut dastehen zu lassen, doch wie steht es um sein eigenes Seelenleben? Wenger inszeniert ihn als unentschlossenen, fast schon widerwilligen Helden, der seine Misere nicht versteht. Diese Passivität findet sich schon im Protagonisten von »Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin«. Dort geistert ein junger Schwede unmotiviert durch ein österreichisches Wellnesshotel, während er nur halbherzig versucht, seine beleidigte, verschwundene Freundin wiederzufinden.

»Ich arbeite immer mit Figuren, die im Leben nach etwas oder sich selbst suchen«, reflektiert der Regisseur seinen Zugang. »Es ist für jüngere Generationen völlig legitim nicht immer zu wissen, was man machen will oder was klug wäre.« Diese Figur dann aus ihrer Passivität herauskommen zu lassen, ihre Ecken und Kanten durch kleinere Details zu zeigen, das ist die Herausforderung. Diese Entschleunigung, zuzuschauen wie seine Protagonist*innen durchs Leben stolpern, macht eines der Kernelemente von Wengers Erzählweise aus. »Humor funktioniert entweder durch Beschleunigung oder durch Entschleunigung«, meint er. »Bis jetzt finde ich die Entschleunigung das interessantere Mittel.«

In »Pfau« weiß Matthias (Albrecht Schuch) nicht mehr so recht, wer er eigentlich ist. (Bild: Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion / Cala Film)

Skurril wie das Leben

Die Inspirationen für seine Geschichten ergeben sich dabei durch ganz unterschiedliche Zusammenhänge. »Sehr viele dieser Skurrilitäten habe ich selbst erlebt oder beobachtet. Oft geht es auch um die Fortsetzung von Dingen, die ich im echten Leben erlebe. Bei denen denke ich dann: Was wäre, wenn jetzt noch das und das passieren würde.« So sammle er verschiedenste Ideen, bis sie dann plötzlich in einem Drehbuch Sinn ergeben. Aber grundsätzlich seien immer Grundidee und Ausgangsproblem einer Figur da.

Die Inspiration für Matthias und seine Agentur kam Wenger etwa zehn Jahre vor dem fertigen Film. »2014 las ich in einem Artikel im New Yorker über Rent-a-Friend-Agenturen und ich dachte mir schon damals, das wäre spannend für einen Kinofilm.« Zunächst war dies aber noch keine relevante Option, erst Jahre später sollte sich eine konkrete Idee kristallisieren: »Nachdem ich an der Filmakademie zu studieren begonnen hatte und 2018 den Erfolg mit ›Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin‹ hatte, flog ich zur Recherche nach Japan.« Dort traf er sich mit Mitarbeiter*innen von derartigen Agenturen.

»Einer davon hat mir von seinem Problem erzählt, dass er gar nicht mehr wirklich wisse, wer er selbst sei. Er begebe sich ständig in neue Figuren und müsse sich dabei emotional verschließen, um keine Verbindungen aufzubauen.« In der Vorbereitung probten Wenger und Schuch dann, wie sich diese Verschlossenheit in Blicken ausdrücken kann. »Was bedeutet dieser Blick? Heißt das jetzt ›Ich bin ratlos‹ oder ›Ich bin hilflos‹ oder ›Ich weiß nicht, was jetzt gerade passiert‹ oder ›Ich weiß nicht, wie ich als nächstes reagieren will‹?« Humor mag im fertigen Film spontan wirken, aber er ist oft hart erarbeitet und bis ins Detail geplant. Wenger will hier kaum etwas dem Zufall überlassen: »Für mich ist Vorbereitung wahrscheinlich 70 Prozent des Filmemachens.«

Gute Vorbereitung bedeutet Üben. Für Wenger bedeutet das, den gesamten Film einmal vorab mit einer kleinen Kamera durchzudrehen. »Wir spielen dann quasi selbst vor der Kamera. So können wir den Ablauf, den wir geschrieben haben, testen, und auch schon in einem Testschnitt herausfinden, ob alles so funktioniert, wie wir es uns gedacht haben.« Nebenbei helfe es auch, ein Gefühl für die Figuren zu bekommen. Für den Rhythmus. Für das Timing. »Das sind wahnsinnig wichtige Dinge in einer Komödie. Ist es überhaupt realistisch, dass ein Schauspieler von dort nach dort geht? Oder würde er einen ganz anderen Weg wählen?«

Neben dem Proben sind es auch die jahrelangen Wegbegleiter*innen, die Wenger in der Produktion genaue Abläufe und Beständigkeit garantieren. Seit der frühesten Jugend in Salzburg steht ihm etwa Rupert Höller zur Seite. »Wir haben in der Jugend begonnen, gemeinsam Kurzfilme zu machen, und sind diesen ganzen Weg inklusive Filmakademie gemeinsam gegangen«, erinnert sich Wenger. »Er hat immer schon meine Kurzfilme geschnitten und früher habe ich noch seine Kurzfilme produziert.« Zwar mache Höller inzwischen Musikvideos und Werbung, »aber die Zusammenarbeit, was den Schnitt betrifft, haben wir zum Glück trotzdem weitergeführt.«

Wenn man sich durch die jahrelange, gemeinsame Filmografie wühlt, fällt einem vor allem eines auf: Wenger stellt seine Figuren, so skurril und passiv sie auch sein mögen, nie bloß. Auch über Rent-a-Friend-Agenturen macht er sich nicht lustig. »Diese Agenturen sind nicht aus einer schlechten Idee heraus gegründet worden«, meint er stattdessen. »Man ist dann nicht alleine oder kann damit soziale Kontakte üben, wenn man eine sehr introvertierte Person ist.« Das Problem sei, was die Gesellschaft daraus mache: ein Lügenkonstrukt, das die soziale Realität, in der sich Menschen bewegen, nach außen verzerre. »Deswegen gehe ich mit der Gesellschaft härter ins Gericht als mit diesen Agenturen.«

Auch wenn Bernhard Wenger beim Film ursprünglich in der Produktion anfing, war sein Herz immer bei der Regie. (Bild: Alexander Galler)

Von Japan nach Cannes

Sein Protagonist Matthias ist also nicht nur ein Mann ohne Eigenschaften. Er ist auch ein Opfer seiner Umstände. Wenger greift dafür auf seine Gespräche mit dem Agenturmitarbeiter in Japan zurück. »Dadurch, dass er sich in diesen Rollen so verschließt, braucht es auch Zeit, bis er sich wieder öffnen kann«, erklärt er. »Wenn er in einem Moment zu Hause bei der Familie ist und am Tag danach schon wieder die nächste Rolle einnehmen muss, hat er gar nicht die Möglichkeit, sich zu öffnen. Erst wenn er mal längere Zeit nicht vorgibt, jemand anderes zu sein, gelingt ihm das. Ich fand das wahnsinnig tragisch.«

Durch die jahrelange Arbeit an dem Buch, das er 2020 etwa bei der Cinéfondation Residence des Filmfestivals in Cannes weiterentwickelte, fand aber auch viel persönliche Bernhard-Wenger-Erfahrung Einzug in die Handlung. »In dieser Residency waren wir fünf, sechs internationale Filmschaffende, die dann wegen Corona plötzlich nach einer Woche in der Wohnung eingesperrt waren. Durch die Pandemie floss zum Beispiel ein paranoider Strang von Matthias in die Handlung.« Im Film äußert sich diese Paranoia angesichts des wütenden Ehemanns einer ehemaligen Kundin.

Hat er je Zweifel, dass sein Humor nicht ankommen könnte? »Mein Credo ist: Wenn ich es selbst lustig finde, dann sollte es funktionieren«, gibt sich Wenger selbstbewusst. Er sei auch sehr dankbar, dass der Film bisher so erfolgreich gelaufen ist. »Die Schwierigkeit ist natürlich«, meint er grinsend, »dass man nachlegen muss«. Der Wunsch nach einem Zweitfilm ist bereits da. »Ich habe mir jetzt noch Zeit genommen. Erst für das Marketing von ›Pfau‹. Und dann um dieses Projekt langsam wieder aus meinem Kopf rauszubekommen, weil es da sechs Jahre lang verankert war. Inzwischen juckt es mich schon wieder richtig in den Fingern, etwas Neues zu schreiben.«

Wird er in Zukunft bei seinen tragisch-passiven Figuren bleiben? Jenen Protagonist*innen, bei denen man schlussendlich nie weiß, ob sie aus ihrem sie knebelnden, skurrilen Umfeld ausbrechen können oder ob sie sich einfach weiter treiben lassen? »Ich glaube, dass es im Leben sehr oft nicht gut läuft«, antwortet Wenger auf Umwegen. »Aber das heißt nicht, dass man deswegen den Optimismus oder die Positivität verlieren muss.«

»Mein Credo ist: Wenn ich es selbst lustig finde, dann sollte es funktionieren.« (Bild: Alexander Galler)

Der Film »Pfau – Bin ich echt?« von Bernhard Wenger startet am 20. Februar in den österreichischen Kinos.

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