»Um unsere Geschichte zu erzählen«– Sallar Othman im Interview zu »Yarê«

In »Yarê« erzählt Regisseur Sallar Othman die Geschichte eines jungen Mädchens und ihrer Mutter in Nordsyrien, die unter Wasserknappheit leiden – inspiriert von einem Telefonat mit seiner eigenen Mutter. 2024 erhielt er dafür bei der Diagonale den Preis für den besten Kurzspielfilm, nun ist »Yarê« in der Cinema Next Series kostenfrei zu streamen. Im Interview erzählt uns der Filmemacher vom Castingprozess, von seiner Theatergruppe in Kurdistan/Rojava und neuen Filmprojekten.

© Sixpackfilm — Die namensgebende Filmheldin Yarê auf ihrer Suche nach Wasser

»Yarê« ist die nächste Veröffentlichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streamingplattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.

In deinen eigenen Worten: Worum geht es in »Yarê«?

Sallar Othman: Es geht um Menschen, die in der Region Kurdistan/Rojava in Nordsyrien leben, seit Jahren unter Wasserknappheit leiden und an manchen Tagen gar kein Wasser haben, weil die Hauptleitung der Alok-Wasserstation von der türkischen Regierung blockiert beziehungsweise bombardiert wurde.

Du hast auch das Drehbuch für diesen Film geschrieben. Was hat dich dazu inspiriert, diese Geschichte zu verfilmen?

Abgesehen vom Krieg und den Angriffen auf Kurdistan/Rojava war es ein Telefonat mit meiner Mutter, in dem sie sagte: »Wir haben seit drei Tagen kein Wasser, aber mach dir keine Sorgen, wir bekommen bestimmt morgen welches.« Nachdem sie das gesagt hatte, redete sie weiter darüber, wie schön das Leben in Rojava immer noch ist, und lachte. Doch ich blieb an diesem einen Satz hängen: »Wir haben seit drei Tagen kein Wasser.«

Du hast zwei großartige Hauptdarstellerinnen im Film. Wie hat das Casting ausgesehen? Sind die Protagonist*innen Lai*innen oder ausgebildete Schauspieler*innen?

Das Casting fand online statt. Die Besetzung der Mutter, Ezîza Nayîf, war für mich klar, weil wir gemeinsam Straßentheater gespielt hatten und ich wusste, welches Talent sie hat. Yarês Rolle – gespielt von Rolav Ferec Hac Mihemed – und der Rest des Teams wurden mit Laienschauspieler*innen besetzt. Ich war in Wien und Thaer Ibrahim, mein Nachbar und Freund aus der Kindheit, der als Casting-Director und Regieassistent bei »Yarê« mitwirkte, war in Rojava, in der Stadt al-Hasaka. Der Prozess gestaltete sich natürlich nicht einfach, weil die Internetverbindung schlecht war – es dauerte Wochen, bis ich ein paar Videos bekam.

Du selbst warst in Kurdistan/Rojava in Nordsyrien sowie Österreich auch als Schauspieler und Regisseur im Theater aktiv. Sind deine filmischen Arbeiten und Arbeitsweisen davon beeinflusst?

Alles, was ich damals wollte, war, Zeit mit meiner Theatergruppe zu verbringen und Straßentheater für unsere Rechte, Freiheit, Frieden und ein besseres Leben zu machen. Doch die Al-Assad-Regierung betrachtete uns als Gefahr für die syrische Nation. Sie und ihre Spione verfolgten uns überall. Nach acht Jahren Verfolgung wurden einige von uns verhaftet, andere getötet, und von manchen weiß ich nicht, wo sie sich gerade befinden. Einige sind in Rojava geblieben, aber wir haben keinen Kontakt zueinander, weil ich nach Europa geflohen bin – um unsere Geschichte, unsere versteckte Geschichte zu erzählen … oder vielleicht, um meine Privilegien zu genießen? So wurde mir gesagt.

Tochter und Mutter, gespielt von den authentischen Darstellerinnen Rolav Ferec Hac Mihemed und Ezîza Nayîf, …
… warten vergebens auf eine Wasserlieferung. Filmstills aus »Yarê« © Sixpackfilm

Welche besonderen Herausforderungen brachte es mit sich, in einem Land zu drehen, das vom Krieg gezeichnet ist?

Allein schon in dieser Region zu drehen, ist eine Herausforderung – wegen der ständigen Angriffe und Explosionen. Aber ein fordernder Moment, den ich mit meinem Team erlebte, war ein Drehtag ohne Wasser. Wir hatten zwar das Geld, um welches zu kaufen, und natürlich hatten wir Wasser für acht Drehtage organisiert, aber der Transport verzögerte sich – bis heute wissen wir nicht, warum. Jede Verzögerung beim Wassertransport kann ein großes Problem sein. Und manche kann es sogar das Leben kosten.

Yarês verzweifelter Schrei zum Schluss des Films – »Ihr Arschlöcher!« – bleibt in den Knochen stecken. An wen ist er gerichtet?

An alle, die sich bei Yarês Schrei unwohl fühlen.

Für »Yarê« wurde dir im Vorjahr bei der Diagonale der Preis für den besten Kurzspielfilm verliehen und für »Die Reise«, dein erstes Spielfilmprojekt, 2021 das BMKÖS-Startstipendium. Was sehen wir als Nächstes von dir?

Ich habe bereits sieben Drehbücher fertig geschrieben. Bei vier davon wurde die Stoffentwicklung von Drehbuchforum, BMKÖS-Startstipendium, MA-7-Filmstipendium und ÖFI gefördert. Zwei weitere erhielten eine Förderung für die Projektentwicklung durch das ÖFI-Talent-Lab und das BMKÖS. »We Have a World to Unite« und »Die Reise«, zwei 90-minütige Spielfilme, sind schon so weit, dass ihr einen der beiden als Nächstes sehen werdet. Ich selbst sehe meine Geschwister, meine Freund*innen, meine Familie, meine Leute – und ich sehe mich in Yarê, einem mutigen kurdischen Mädchen, das für Wasser und für ihre Leute kämpft und kein Mitleid will.

Sallar Othman wurde in al-Hasaka in Kurdistan/Rojava in Nordsyrien geboren. Er gründete dort die Theatergruppe Koma Ararat, in der er als Schauspieler und Regisseur tätig war. Aufgrund des Krieges in Syrien floh er nach Europa, wo er seine Laufbahn als Filmemacher startete. »Yarê« wurde 2024 bei der Diagonale als bester Kurzspielfilm ausgezeichnet. Mit »We Have a World to Unite« und »Die Reise« sind bereits zwei weitere Spielfilme von Sallar Othman in Produktion.

Eine Interviewreihe in Kooperation mit Cinema Next – Junger Film aus Österreich.

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