In ihrem Langfilmdebüt begleiten die beiden Filmemacher*innen Nicola von Leffern und Jakob Sauer ihre Protagonist*innen nach der Explosion im Hafen von Beirut 2020 und zeigen deren Bewältigungsstrategien.

Eine Braut steht auf der Straße, perfekt gestylt für ihren großen Tag, eine Kamera hält alles fest – bis plötzlich eine laute Explosion zu hören ist: Die Erde bebt, Menschen laufen. Das Video ging schnell viral, mittlerweile hat es sechzehn Millionen Aufrufe. Es wurde am 4. August 2020 aufgenommen, an jenem Tag, an dem sich eine enorme Explosion im Beiruter Hafen ereignete. Mindestens 207 Menschen wurden getötet, mehr als 6.500 verletzt. Das Unglück traf den Libanon nicht nur im ersten Jahr der Coronapandemie, einer ohnehin prekären Zeit, sondern hätte vermutlich verhindert werden können: Schließlich hatte es davor zahlreiche Warnung hinsichtlich der Lagerung von Ammoniumnitrat gegeben, die die Regierung jedoch ignorierte.
Die Regisseur*innen Nicola von Leffern und Jakob Sauer teilen eine lange Verbundenheit mit dem Libanon. Nach der Katastrophe beschlossen sie, in das Land zu reisen und dort zu drehen. Sie trafen auf viele Menschen, die unterschiedlich mit den Nachwirkungen des 4. August 2020 umgingen und präsentieren nun einen Film über Trauma, Verbundenheit und Resilienz.

Die Explosion im Hafen von Beirut ereignete sich am 4. August 2020, schnell gingen Bilder und Videos davon um die Welt. Könnt ihr euch noch an eure Reaktionen dazu erinnern? Wo wart ihr, als ihr davon mitbekommen habt?
Nicola von Leffern: Ich war da gerade in Hamburg und habe, wie viele andere auch, über die sozialen Medien erfahren, was geschehen ist. Fassungslos starrten wir auf die atombombenartigen Bilder mitten aus dem Herzen Beiruts. Jakob und ich haben dann beide sofort versucht, unsere Freund*innen und Kolleg*innen im Libanon zu erreichen, aber dort war natürlich das gesamte Netz zusammengebrochen. Ich blieb dann die ganze Nacht lang wach und versuchte, verzweifelt Informationen zusammenzutragen. Am nächsten Tag fuhr ich zum Hafen in Hamburg und weinte.
Wie schnell kam dann bei euch die Idee auf, über die Folgen der Explosion einen Film zu drehen. Welchen Bezug hattet ihr davor zu Beirut?
Nicola von Leffern: Meine Beziehung zum Libanon begann vor vierzehn Jahren. Ich arbeitete dort für eine NGO. Diese Zeit prägte mich nachhaltig. Der Perspektivenwechsel zeigte mir, wie sehr dieses Land in unseren Medien verzerrt wird. Ich wurde verzaubert von der menschlichen Wärme, der kulturellen Vielfalt, der landschaftlichen Schönheit und der Lebendigkeit – trotz oder vielleicht gerade wegen all der Widersprüche. Kurze Zeit später lernten Jakob und ich uns an der Filmakademie Wien kennen und beschlossen, gemeinsam eine Kurzdokumentation über die andauernde Energiekrise Libanons zu drehen (»Mafi Kahraba«). Als dann die Explosion geschah, fanden wir es vorerst unpassend einzureisen. Alle internationalen Medien stürzten sich auf das Ereignis, aber das ist nicht unsere Art Filme zu machen. Es geht uns nicht um Sensationalismus. Die Stadt lag in Schutt und Asche, tausende Menschen waren obdachlos. Dort Raum einzunehmen, kam uns mehr als verkehrt vor. Also warteten wir mehrere Monate und fuhren erst dann, als wir merkten, dass ein großer Mangel an Aufarbeitung herrschte.
Jakob Sauer: Nach unzähligen Gesprächen, schrecklichen, traurigen, aber auch berührenden Geschichten fassten wir den Entschluss, zu bleiben und der Stille danach, abseits des grausamen Ereignisses, Gehör zu verschaffen. Die Explosion ist medial ausgeschlachtet worden. Was im Vakuum nach großen Tragödien geschieht, findet selten Platz in Zeitungsartikeln. Filme haben die Kraft sich diese Zeit und Aufmerksamkeit zu nehmen sowie das Menschliche, fernab vom Nachrichtenwert, zu erzählen. Also blieben wir drei Jahre und schauten hin und hörten zu, um zu begreifen, wie Menschen den Mut fassen weiterzumachen.
Ihr begleitet in eurem Film »To Close Your Eyes And See Fire« mehrere Protagonist*innen. Wie habt ihr diese gefunden? Wie leicht war es, zu ihnen Vertrauen aufzubauen?
Sauer: Es war uns wichtig, mit genügend Zeit dem Rhythmus des Ortes und seinen Menschen begegnen zu können und abzubilden, was ist, nicht was in ein filmisches Narrativ passt. Die große gesellschaftliche Vielfalt von Beirut mit seiner Glaubenspluralität und seinem sozialen Gefälle wurde zentral in dieser Beobachtung, weil sich an ihr am besten zeigte, wie unterschiedlich Traumabewältigung sein kann und wie groß Chancenungleichheit ist. Selbst wenn sich vor Tragödien dieses Ausmaßes niemand schützen kann. Letztlich haben Zufall und Sympathie mitentschieden, wen wir über die drei Jahre begleiten würden. In einem Land in der Gastfreundschaft ein hohes Gut ist, war es nicht schwer erste Kontakte zu knüpfen. Damit Vertrauen wachsen kann, braucht es jedoch wie überall Zeit, Konsistenz, Empathie und Offenheit.
Welche Herausforderungen gab es noch während dem Entstehungsprozess des Films?
Von Leffern: Im Vergleich zu dem, was unsere Protagonist*innen bewältigen, sind die Herausforderungen des Drehprozesses unwesentlich. Der psychologische Druck in Unsicherheit zu leben ist nicht in Worte zu fassen. Darüber hinaus betrafen der andauernde Strommangel, Benzinmangel und Wassermangel uns alle. Das sind hausgemachte Probleme, die ein Land wie der Libanon nicht haben müsste. Solarenergie oder Wasserenergie auszubauen, wäre naheliegend, darin wird aber aufgrund des Zusammenspiels der korrupten Regierung und der Generatorenmafia nicht investiert. Auch frisches Trinkwasser könnte eigentlich aus den Bergen kommen, tut es aber nicht. Stattdessen ging gerade die Cholera um, als wir drehten. Ebenso sind die unterbrochenen Kühlketten ein Problem, das auch bei Jakob und mir zu monatelangem Stillstand wegen Lebensmittelvergiftungen führte. Zusätzlich war das alles die Zeit von Corona. Abstand, Masken, Lockdown – ein Luxus den sich nur eine gewisse Schicht leisten konnte. Für die allermeisten gab es drängendere Nöte und Ansteckung war somit vorprogrammiert. Das Leben im Libanon ist eine ewige Herausforderung, besonders wenn der staatliche Strom für nur maximal ein bis zwei Stunden pro Tag angeschaltet wird. In der drückendsten Augusthitze blieb Beirut bis zu einer Woche im Dunkeln. Die Krankenhäuser schlugen Alarm, da sie lebenserhaltende Maßnahmen abschalten mussten. Die im Film vorkommende psychologische Nothotline Embrace musste offline gehen, in dieser Zeit schoss die Statistik der Suizide beängstigend in die Höhe.

Ihr habt ja selbst einige Zeit in Beirut gelebt. Wie habt ihr die Stadt und die Menschen dort erlebt?
Sauer: Es gibt einen starken gegenseitigen Zusammenhalt. Nachbar*innen, Familien und Freund*innen kümmern sich umeinander, auch um das zu kompensieren, was die Regierung verabsäumt. Aufgrund des staatlichen Versagens, der weitreichenden Korruption und der daraus resultierenden gravierenden Einschränkungen im Alltag sind die Menschen gezwungen, sich meist mit täglichen Problemen wie Strom-, Wasser- oder Benzinknappheit herumzuschlagen. Niemand kann wirklich Pläne für die Zukunft schmieden.
Die Diskrepanz zwischen Zivilbevölkerung und Regierung ist enorm. Eine Führung ist eigentlich nicht existent. Es herrscht komplette Eigenverantwortung; es gibt viele Grassroots-Organisationen, NGOs von außen, aber auch sehr viele von innen. Die Menschen lieben diesen Ort und wollen, dass er besser wird. Es ist schmerzhaft zuzuschauen, wie diese Hoffnung immer wieder zerschlagen wird. Zwar kommt eine junge Generation nach, für die auch unsere Protagonistin Andrea exemplarisch steht, die wieder Hoffnung hat. Doch auch sie geht auf die Straße und muss dann einsehen, dass es in absehbarer Zeit nicht besser werden wird.
Beirut kann man nicht in einem Satz zusammenfassen. Es ist der schönste Ort der Welt und ein schrecklicher Ort. Der Film versucht nicht die immergleiche Elendsgeschichte zu erzählen, sondern auch zu zeigen, dass es Kunst und Theater gibt, eine lebendige Partyszene und einen starken Wunsch nach Ausdruck sowie Lebendigkeit. Viele Menschen flüchten sich geradezu ins Nachtleben. Weil niemand weiß, was der nächste Tag bringt, sind die Feiern oft so ausgelassen, wie sie es bei uns nie sein würden.
Von Leffern: Drei Jahre nach der Explosion, als einer der größten Clubs Beiruts wiedereröffnet, geht Andrea im Film zu einem Konzert von HVOB – und verliert sich in der Ekstase der Nacht. Doch beim Verlassen der Venue, im Licht der aufgehenden Sonne, fällt ihr Blick auf den Hafen. Und sie fragt sich, ob sie hier jemals eine Zukunft haben wird. In diesem Spannungsfeld zwischen Eskapismus und unfreiwilliger Ernsthaftigkeit leben viele Libanes*innen.
Im Film wird der Zusammenhalt der Bevölkerung deutlich, ebenso die Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit der politischen Entscheidungsträger*innen. Könnt ihr das Leben und die Politik in Beirut etwas einordnen? Was hat sich seit der Explosion verändert?
Sauer: Ich denke man muss die politische Lage vor allem rückwirkend betrachten. Vor der Explosion gab es die Revolution von 2019, in der die Bevölkerung wundersam geschlossen auf die Straßen strömte und fast ein Jahr gegen die herrschende Klasse und die Zustände im Land demonstrierte. Die Revolution verlor jedoch an Momentum, da sich parallel eine enorme Wirtschaftskrise abzeichnete. Bankkonten wurden eingefroren, Hyperinflation, wer Geld auf einer libanesischen Bank hatte, verlor alles. Corona brach aus und als ob das nicht genug gewesen wäre, um eine Revolution zu ersticken, ereignete sich im Sommer 2020 die verheerende Explosion. Danach war die Gesellschaft damit beschäftigt Wunden zu versorgen, Scherben zusammenzukehren und Lebensunterhalt zu verdienen. An Revolution war nicht mehr zu denken. Ein Vakuum begann. Und von diesem Vakuum erzählt unser Film. 2022 fanden dann die ersten Parlamentswahlen seit dem Aufbegehren statt. Diese brachten aber nicht den erhofften politischen Wandel. Oder um es mit den Worten unseres Protagonisten Selims zu sagen: »If three ministers of electricity get elected to the parliament in a country without electricity – what are the people choosing?«
Der Film behandelt die unterschiedlichen Möglichkeiten, mit Trauma umzugehen. Könnt ihr kurz skizzieren, welche – mitunter kreativen – Strategien es für eure Protagonist*innen gab beziehungsweise gibt?
Von Leffern: Wie Traumabewältigung gelingen kann, war die Frage, mit der wir den Film begonnen hatten. Die Antwort, die wir unterwegs fanden, ist, dass Bewältigung ein Luxus ist. Man sah das deutlich am zweiten Jahrestag der Explosion. Viele Menschen versammelten sich im Hafen, um gemeinsam zu gedenken, zu weinen und zu protestieren. Parallel begleiten wir im Film eine Familie, deren Kinder Wasserflaschen an die Trauernden verkaufen. Denn selbst Trauer ist ein Privileg im Kampf ums Überleben.
Was jedoch alle ein Stück weit eint, ist Humor. Im Libanon wird viel gelacht. Fallen Bomben spricht man davon, dass die Drinks nun geschüttelt und nicht gerührt seien. Darüber hinaus hat unsere Protagonistin Andrea die Körperarbeit und das Tanzen als Bewältigungsstrategie für sich entdeckt und Beirut Physical Lab gegründet. Selim hingegen lässt seinen Gefühlen in Malereien freien Lauf. Die Familie Aladin zweifelt nach dem Verlust ihres Bruders an ihrem Glauben, schöpft aber Kraft aus dem Familienband. Und Aya, das kleine Mädchen deren Zuhause in einer Tiefgarage ist, hat nicht viele Möglichkeiten. Am Ende findet sie einen spielerischen Umgang. Eine kindliche Gabe, die an diesem Ort nur allzu oft dem erwachsenen Ernst weicht.
Ihr setzt in einigen Szenen Aufnahmen von Anrufen bei einer Telefonseelsorge ein. Wie sind diese entstanden? Warum wolltet ihr diese in den Film einbauen?
Von Leffern: Während unseres ersten Drehjahres versank Beirut in Dunkelheit, in einer ungewöhnlich langen Phase ohne Strom. Zu dieser Zeit berichteten viele lokale Medien von der Telefonseelsorge Embrace und deren wertvoller Arbeit. Lange Zeit hatte sie darum gekämpft, ihren Mental-Health-Dienst noch aufrecht zu halten, um die vielen verzweifelten und panischen Menschen aufzufangen. Die Volunteers saßen bei Kerzenschein zusammen und blieben rund um die Uhr wach, um der Flut an eingehenden Anrufen gerecht zu werden, die die Menschen mit ihrem letzten Strich Handyakku tätigten. Schließlich musste aber auch die Telefonseelsorge offline gehen. Das Benzin für die Notgeneratoren war aufgebraucht. Rückwirkend konnte erfasst werden, dass die Zahl der Suizide in diesen Tagen ohne Anlaufstelle dramatisch in die Höhe schoss. Als ich das las, war mir klar, dass wir Embrace in einen Film über Traumabewältigung inkludieren müssen.
Um neue Volunteers einzuarbeiten, führt Embrace Trainingsgespräche zwischen erfahrenen Telefonist*innen und neuen Mitarbeiter*innen durch. Dabei bekommen Letztere die Möglichkeit, persönliche Geschichten zu erzählen, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen – und am eigenen Leib zu erfahren, was Embrace verspricht: »Talking saves lives.« Diesen Trainingsgesprächen durften wir beiwohnen. Sie geben in unserem Film – der sonst ohne klassische Interviews auskommt – einen intimen Einblick in innere Gedankenwelten.
Das Material für den Film ist über drei Jahre hinweg entstanden. Wie seid ihr mit dieser Menge an Aufnahmen umgegangen? Wie habt ihr entschieden was und wer es in den Film schafft – beziehungsweise nicht schafft?
Von Leffern: Ursprünglich hatten wir noch zwei weitere Figuren, aber dann gab es eine Massenabwanderung. Wer gehen konnte, ging. Im Film sieht man diejenigen, die diesen Luxus nicht hatten, oder jene besonderen Charaktere, die trotzdem geblieben sind, um Verantwortung zu übernehmen und mitzugestalten.
Als Filmemacher*innen nehmt ihr euch im Film sehr zurück. Ihr seid darin weder zu sehen noch zu hören. Gleichzeitig gibt der Film aber zwangsläufig eure Perspektive auf Beirut und eure Protagonist*innen wieder. Warum diese Entscheidung?
Sauer: Die Menschen vor Ort und ihre persönlichen Geschichten bilden das Herz des Films. Drei Jahre lang durften wir daran teilhaben und erhielten intime Einblicke in verschiedene Leben. Nicht unmittelbar betroffen zu sein, hilft eine freiere und unvoreingenommenere Perspektive einzunehmen. Nirgendwo dazuzugehören hat den Vorteil, überall willkommen zu sein. Segregation ist ein großes Thema im Libanon. Viele Religionsgruppen berühren sich kaum. Man darf nicht vergessen, dass bis 1990 Bürgerkrieg herrschte. Als daran Unbeteiligte blieb uns ein gewisser Argwohn erspart und wir konnten uns frei zwischen den Religionsangehörigen und sozialen Klassen bewegen. Ebenso übrigens zwischen Libanes*innen und geflüchteten Syrer*innen, was nicht selbstverständlich für viele Filmschaffende vor Ort ist. Gleichzeitig war es notwendig die Perspektive unserer eigenen Herkunft regelmäßig zu hinterfragen und im ständigen Dialog miteinander und auch mit unseren Protagonist*innen darüber zu bleiben.
Unsere Haltung findet sich im Schnitt wieder. Hier trägt man als Filmemacher*in große Verantwortung. Zum einen, der Situation und dem Vertrauen der Protagonist*innen gerecht zu werden, und zum anderen, diese in all ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit spürbar zu machen. Erst dann kann auch beim Publikum Mitgefühl entstehen.
Von Leffern: Ich mag keine Filme, die einem die Welt erklären. Ich bin der festen Überzeugung, dass niemand diese Autorität besitzt. Was Filme aber können, ist, ein Fenster zu öffnen. Einen Blick freizugeben. Wie man das Gesehene beurteilt, obliegt jedem Menschen selbst. Im besten Fall entsteht Empathie. Wir glauben, zu viel zu wissen, und haben zu wenig Empathie. Natürlich ist jeder Film ein persönliches Fenster, gefärbt von der Person, die hingesehen hat, die all diese Momente gesammelt hat. »To Close Your Eyes and See Fire« ist ein sehr persönlicher Film für mich. Ich teile darin auch mein Leben der letzten Jahre. Was mich begeistert, schockiert und zu Tränen gerührt hat. Aber den Blick darauf möchte ich natürlich nicht mit mir selbst verstellen.

Ihr wart beide nicht nur als Regisseur*innen tätig, sondern auch für Kamera beziehungsweise Sound zuständig. Könnt ihr kurz eure Herangehensweise erläutern?
Sauer: Als Filmteam in eine Realität einzutreten ist immer ein Bruch. Doch wie kann man diesen Bruch möglichst gering halten? Es war uns wichtig als sehr kleines Team, unaufdringlich und flexibel agieren zu können. Zum einen wäre es unmöglich gewesen, ein größeres Team über einen so langen Zeitraum in den Dreh zu involvieren, da der Film über drei Jahre hinweg entstand. Zum anderen war uns die Nähe und Intimität zu unseren Protagonist*innen sehr wichtig. Im Laufe des Drehprozesses entstanden Freundschaften, wir haben viel Zeit miteinander verbracht und viele prägende Momente geteilt. Oft hatten wir das Equipment dabei, ohne zu wissen, ob wir überhaupt etwas drehen würden. Wenn sich dann ein Moment ergab, der thematisch in den Film passte, konnten wir darauf reagieren. Der Switch von »Wir sind anwesend als Freund*innen« hin zu »Wir sind anwesend als Filmemacher*innen« war allerdings nicht immer leicht. In schwierigen Momenten eine beobachtende Rolle einzunehmen und keinen tröstenden Arm um jemanden legen zu können, fällt schwer. Dafür ist es jetzt umso schöner, sich ganz ohne Doppelrolle zu begegnen.
Der Film ist größtenteils in eher dunklen Farben gehalten, viele Grau- und Blau-Töne, aber vereinzelte Orange-Töne sind zu sehen. Warum?
Sauer: Wie soll man jeden Tag aufs Neue Mut fassen? Diese Frage spiegelt sich für uns auch im Licht wider. Die Sonne geht über dem Meer unter. Es sind die blauen Stunden, in denen der Tag der Nacht weicht. Die Zeit, zu der die dunkelsten Gedankenspiralen stattfinden. Vor Sonnenaufgang verzeichnet die Telefonseelsorge die meisten Anrufe. Bis sich erneut die Sonne wieder zeigt, die die Stadt in goldenes Licht taucht und einen Funken Hoffnung zurückholt.
Wichtig für den Film ist auch die Musik, die von HVOB stammt. Wieso habt ihr für dieses Produzent*innenduo entschieden?
Von Leffern: Abgesehen von einer tiefen Freundschaft und einer langjährigen Kollaboration, die uns verbindet, gehörten HVOB auch zu den ersten internationalen Künstler*innen, die nach der Explosion mit ihrer Liveshow ins Land zurückkehrten. Das Duo ist im Libanon sehr beliebt und spielt normalerweise regelmäßig Konzerte. Als dann die Clubs zwei Jahre nach der Explosion wieder öffneten, war es für viele ein Aufatmen nach Jahren ohne dieses Ventil. Es entstand ein kathartischer Moment mit einer Protagonistin. So sind HVOB nicht nur die Komponist*innen unseres Soundtracks, sondern auch mit ihrer Liveshow in Beirut Teil des Films geworden. HVOBs Feingefühl unterstreicht zart die Emotionen unserer Dokumentation und ihr globaler Sound zeichnet Beirut als die internationale Metropole, die es ist. Zusammen mit unserem Kinostart im Herbst darf man sich auch schon auf einen ganz besonderen Soundtrack-Release freuen.
Am Schluss richtet sich der Blick im Film auf das Meer. Was repräsentiert dieses für die Menschen dort?
Sauer: Das Meer kann ruhig und friedlich, aber auch wild und stürmisch sein. Es ist der Ort, der an heißen Sonnentagen zur Ausgelassenheit einlädt. Gleichzeitig stellt es jedoch für viele auch eine gefährliche Fluchtroute und die letzte Hoffnung auf ein besseres Leben dar.
Angelehnt an eine Malerei von Etel Adnan entschieden wir uns für dieses Bild, den Blick aufs offene Meer, als Anfang und Ende des Films. Das beschreibt die Sehnsucht nach einem Zuhause. Einem Ort der Sicherheit, Geborgenheit und Akzeptanz. Eine Sehnsucht, für die einige den Libanon verlassen und andere bleiben, um weiter dafür zu kämpfen.
Der Film »To Close Your Eyes And See Fire« von Nicola von Leffern und Jakob Sauer läuft seit 22. August 2025 in den österreichischen Kinos. Er ist noch am 9., 10., 13. und 14. September im Stadtkino im Künstlerhaus zu sehen. Von 12. bis 26. September tourt das Team mit dem Film durch Österreich. Alle Termine finden sich hier. Der Film wird als Teil der Schiene New Voices des Stadtkino Filmverleihs gezeigt, die jungen österreichischen Filmschaffenden die Möglichkeit bietet, ihre Langfilmdebüts auf die Kinoleinwände des Landes zu bringen.