Ob Rammstein, Diddy oder #TechnoMeToo – die Musikbranche und Machtmissbrauch scheinen Hand in Hand zu gehen. Das schlägt sich auch in Übergriffen auf Fans und Mitarbeiterinnen nieder. Wie kann man dem entgegenwirken? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Panel bei der diesjährigen Waves Vienna Conference.

Sex mit Fans, Drogen und Machtmissbrauch galten lange Zeit als untrennbar mit der Musikindustrie verbunden. Künstler seien eben manchmal etwas exzentrisch. Ohne Wahnsinn kein Genie. Und welche Fans hätten nicht gerne Sex mit ihren Idolen? Spätestens die #MeToo-Bewegung sollte allerdings gezeigt haben: So einfach ist es nicht. Zwischen Künstler*innen und ihren Fans herrscht ein Machtgefälle. Extreme Idealisierung beeinflusst die Entscheidungsfähigkeit. Zudem bestehen in der Musikindustrie oft Abhängigkeiten von einigen wenigen Entscheidungsträger*innen. Übergriffiges Verhalten wird in so einem System allzu oft unter den Teppich gekehrt. Doch wie ist die aktuelle Lage in Österreich?
Awareness im Club
Vor zwei Jahren erschütterten schwere Vorwürfe die Wiener Club- und Technoszene. Mehreren DJs wurde vorgeworfen, sich (sexuell) übergriffig gegenüber Fans und Frauen in der Branche verhalten zu haben. Mittlerweile folgte – unter anderem deshalb – eine Novellierung des Wiener Veranstaltungsgesetzes. Seit dem 1. Juli 2025 muss bei Veranstaltungen ab 300 Personen ein Awarenesskonzept vorgelegt werden. Ab 5.000 Besucher*innen müssen Awarenessmaßnahmen in das Sicherheitskonzept der Veranstaltung einfließen. Beispielsweise in Form von ausreichender Beleuchtung der WC-Anlagen. Ist es damit getan?
»Es ist ein großer Fortschritt«, meint Sophie Rendl, Teil der Initiative Frauendomäne und von Vera*, einer Vertrauensstelle für Betroffene im Kunst- und Kulturbereich. Geht es nach ihr, bräuchte es solche rechtlichen Rahmenbedingungen österreichweit, weil darin ein großes Potenzial für mehr Sicherheit in der Musikbranche liege. Ines Fernau, Geschäftsführerin der Veranstaltungsagentur Cute Concerts, befürwortet das Gesetz ebenfalls, betont jedoch die Notwendigkeit einer Unterstützung durch die Politik. »Die Veranstaltungsbranche ist äußerst stressig und zeitaufwendig. Ein verpflichtendes Awarenesskonzept ist da eine große zusätzliche Aufgabe.« Organisationen wie die Vienna Club Commission und Kollektive wie Awa* könnten laut Fernau zwar Hilfestellung bieten, allerdings benötigten auch sie ausreichend politischen Rückhalt.

Und abgesehen von Gesetzen? Bewusstseinsbildung für die Mitarbeiter*innen und Risikoanalysen von Veranstaltungslocations sind Möglichkeiten, um ein sichereres Umfeld zu schaffen. Ein positives Beispiel sei hier die Wiener Stadthalle, so Sophie Rendl. Diese schule ihre Ordner*innen und Mitarbeiter*innen, um sie für den Umgang mit Übergriffen zu sensibilisieren. Die ausgebildete Juristin erwähnt auch Codes of Conduct, also Regeln und Richtlinien, die auf das Verhalten von Mitarbeiter*innen abzielen. Außerdem sollten Fördergelder an Sicherheitsmaßnahmen gekoppelt werden. Für Ines Fernau wäre es ergänzend denkbar, dass Künstler*innen in ein Team investieren, das sie in puncto Sicherheit unterstützt. Gerade bei großen Acts sei das finanziell machbar.
Im Wiener Nachtleben gibt es einige Venues, die schon seit Jahren mit gutem Vorbild vorangehen. Ein Beispiel ist etwa der Club Sass. Awarenessteams sind dort bei jeder Veranstaltung fix dabei. Das ist eine Besonderheit, denn in der Regel stellt derzeit nicht der Club das Awarenessteam, sondern die jeweiligen Veranstalter*innen des Events. Überdies beschäftigen sich immer mehr Venues mit der Frage, wie sie ihre Veranstaltungen sicherer gestalten können.
Ines Fernau meint, dass Maßnahmen an die Art der Veranstaltung angepasst werden müssten. Eine Konzerthalle brauche andere Sicherheitsmaßnahmen als ein Club; es komme auch auf die Acts und das Publikum an. »Gerade im Partykontext ist es besonders wichtig, dass sich Künstler*innen gegen Übergriffe aussprechen«, erklärt Fernau. Positivbeispiele seien hier junge Künstler*innen wie Ski Aggu.
Wirtschaft und Sicherheit
Besonders in einem Punkt sind sich unsere beiden Gesprächspartnerinnen einig: Opfer müssen wissen, an wen sie sich wenden können. Und sie müssen sich sicher sein können, dass sie ernst genommen werden.
Wenn Übergriffe von Acts bekannt werden, stellt sich die Frage nach dem Umgang damit. Für die Zwickmühle, in der Veranstalter*innen sich dann oftmals befinden, hat Ines Fernau Verständnis. Bei großen Konzerten wie beispielsweise Shows von Rammstein seien diese dann gezwungen, eine wirtschaftlich schwierige Entscheidung zu treffen: Verluste einfahren oder potenziellen Tätern eine Bühne bieten. »Hier wäre es schön, wenn die Stadt Wien oder der Staat Österreich einen Beitrag dazu leisten würde, dass so eine Absage finanzierbar ist.«

Raues Klima
Sophie Rendl betont wiederum, dass Zuständige wirtschaftlich auch profitieren können, wenn sie für die Sicherheit ihrer Mitarbeiter*innen und Fans sorgen. »Projekte können von solchen Vorwürfen überschattet werden, das hat man beim Film ›Corsage‹ gesehen.« Konsequenzen zu ziehen, wenn es Vorwürfe gegen bestimmte Künstler*innen gibt, könne also auch in dieser Hinsicht vorteilhaft sein. Natürlich dürfe man sich nicht dazu verleiten lassen, Menschen pauschal zu verurteilen und zu »canceln«, so die Expertin weiter. Aber: »Die Zahl der Falschanschuldigungen in Sexualstrafdelikten ist verschwindend gering. Als Gesellschaft konzentrieren wir uns zu stark auf diese Fälle. Demgegenüber steht die Tatsache, dass es in Österreich eine sehr geringe Verurteilungsquote gibt. Da muss man sich natürlich fragen, warum sich eine Person dem aussetzen sollte, wenn gar nichts dahinter ist.«
Während die Verurteilungsquote bei sexueller Gewalt niedrig ist, ist bei der Dunkelziffer genau das Gegenteil der Fall. Eine Prävalenzstudie aus dem Jahr 2011 vom Österreichischen Institut für Familienforschung geht von einem Verhältnis von eins zu fünfzehn aus – jedem offiziell verzeichneten Fall stehen also fünfzehn Fälle gegenüber, die nie publik werden. Hat sich die Situation seit Beginn der #MeToo-Bewegung verbessert? Sophie Rendl bezweifelt das. Es gebe immer noch viel zu viele Fälle, meint sie. Sie findet auch, dass sich das aktuelle politische Klima gerade wieder in eine andere Richtung entwickle. Momentan würden eher Stimmen laut werden, die sexualisierte Grenzüberschreitungen wieder bis zu einem gewissen Grad legitimieren. Das mache es schwer für Betroffene, sich gegen Übergriffe zur Wehr zu setzen oder darüber zu sprechen.
Wird trotzdem der Gang an die Öffentlichkeit gewählt, sei die Sensibilisierung von Journalist*innen für das Thema essenziell, erklärt Rendl. Diese sollten nicht nur feinfühlig mit potenziellen Opfern umgehen, sondern sie auch informieren, was so ein Schritt medienrechtlich bedeutet. Das heißt: Aufklärung über mögliche Verleumdungsklagen oder auch sogenannte Slapp-Klagen, also strategische Klagen, um betroffene Personen einzuschüchtern. Hinzu kämen unter Umständen auch Shitstorms, Retraumatisierungen und berufliche Konsequenzen, weshalb man dafür sorgen müsse, dass Menschen strukturell geschützt sind.
Zurück zur Frage, ob eine Musikbranche ohne Machtmissbrauch überhaupt denkbar ist. Schließlich zieht Macht ja bekanntlich automatisch Missbrauch an, oder? Sophie Rendl betont, dass übergriffiges Verhalten sicherlich nicht zwangsläufig zur Kunst dazugehöre: »Sehr viele Künstler*innen gehen höchst respektvoll mit ihren Fans um. Es gibt Menschen, die Macht haben, ohne diese zu missbrauchen.«
Macht und Missbrauch
Auch Konzertbesucher*innen wissen einen achtsamen Umgang mit dem Thema Sicherheit durchaus zu schätzen. Weltweit berühmte und damit überdurchschnittlich mächtige Musiker*innen wie Taylor Swift oder Harry Styles zeichnen sich durch einen besonders respektvollen Umgang mit ihren Fans aus. Macht und Missbrauch gehen also nicht zwangsläufig Hand in Hand.
Vielleicht geht es bei der Behauptung, dass Macht ohne Missbrauch unmöglich sei, vorwiegend darum, eine unangenehme Wahrheit zu normalisieren. Nämlich jene, dass in unserer angeblich so sicheren westlichen Gesellschaft immer noch Übergriffe stattfinden. Missbrauch als zwangsläufige Folge von Macht zu verstehen, gibt uns ein einfaches Erklärungsmodell und damit einen paradoxen inneren Frieden. Und, ja, hierzulande leben Menschen weitgehend sicher. Sexuelle Übergriffe sind in Österreich – soweit sie erfasst werden können – insgesamt gesehen eher die Ausnahme als die Regel. Doch sie finden statt, werden oft bagatellisiert und ignoriert. Auf diesem unbefriedigenden Status quo sollten wir uns nicht ausruhen. Alle Menschen haben schließlich ein Anrecht darauf, sicher zu sein – in jedem Lebensbereich.
Das Panel »Breaking the Silence: Abuse of Power in the Music Industry« mit Sophie Rendl, Ines Fernau und Sonja Eismann, moderiert von Yasmin Hafedh aka Yasmo, findet am 2. Oktober um 11 Uhr in der Brunnenpassage im Rahmen der Waves Vienna Music Conference statt.