Die Fronten im Diskurs um Israel und Palästina haben sich verhärtet wie selten zuvor, auch in der Kulturszene. Alle, die nuancierter über die Lage sprechen wollen, erfahren Anfeindungen – nicht zuletzt jüdische Künstler*innen außerhalb Israels. Ein Text darüber, warum wir uns nicht nur mit Palästinenser*innen, sondern auch mit Jüd*innen solidarisieren sollten.

Eine dunkle Konzerthalle, rotes Strobolicht, ein tätowierter Mann mit nacktem Oberkörper hinter dem Mikro, ein anderer mit Pussy-Riot-Haube in den Farben der irischen Fahne über das Gesicht gestülpt. Das Publikum ist schon aufgewärmt, die Band stimmt an: »Guess who’s back on the news / It’s your favourite Republican hoods / It’s your fella with the Nike Air shoes / Two chains, two birds and we know what’s good.« Spätestens beim Refrain »Get your Brits out«, wird der ganze Saal zu einem strudelnden antibritischen Moshpit und alle im Publikum singen leidenschaftlich mit.
Das ist die Band Kneecap: eine punkige Hip-Hop-Gruppe aus Irland, die mit teils gälischen und teils englischen Lyrics das Leben ausgegrenzter junger Iren besingt, die in ihren Wohnungen noch eine Line ziehen, bevor sie rausgehen und Faschos verprügeln (»It’s gonna be a blood bath«). Aus ihrer eigenen nordirischen Geschichte heraus überrascht es dabei nicht, dass sie auch große Solidarität mit den Palästinenser*innen im Gazakrieg ausdrücken, wie Kneecap-Sänger Mo Chara während eines Konzerts: »Wir sind aus West-Belfast und Derry, zwei Orte, die noch immer unter britischer Besatzung stehen. Und doch wissen wir, dass eine schlimmere Besatzung gerade in Palästina stattfindet. Wir Iren, die 800 Jahre Kolonialismus miterlebt haben, wurden nie vom Himmel aus bombardiert, mit keiner Möglichkeit der Flucht. Die Palästinenser*innen werden dabei auch noch ausgehungert.«
Mo Chara fasst damit zusammen, wie sich viele auf der Welt gerade fühlen, wenn sie Bilder vom Krieg in Gaza sehen: Der Anblick ganzer zerstörter Landstreifen, von blutüberströmten Leichen und ausgehungerten Menschen löst bei uns Betroffenheit, Hilflosigkeit oder Wut aus.
Der Krieg zwischen der palästinensischen Hamas, die den Gazastreifen regiert, und Israel tobt nunmehr seit Herbst 2023. Er begann, als die Hamas am 7. Oktober Israel überfiel und über tausend Menschen tötete sowie Hunderte Geiseln nahm. Das Ziel der Terrorattacke waren dabei Zivilist*innen in Siedlungen nahe der Grenze sowie ein Technofestival in der Wüste. Die Brutalität des Angriffs schockierte Israel und die Weltöffentlichkeit zutiefst.
Die israelische Armee reagierte mit der erklärten Absicht, die Hamas ein für alle Mal militärisch zu besiegen. Seither wird im Gazastreifen gekämpft. Von Tag zu Tag steigen die Opferzahlen. Laut Schätzungen der UN wurden bis Redaktionsschluss mehr als 65.000 Palästinenser*innen – Hamas-Kämpfer, aber insbesondere Zivilist*innen – getötet. Weil die Fläche des Gazastreifens sehr klein ist, ist die Bevölkerung gezwungen, den Kampfhandlungen mit einer stetigen Flucht vom einen zum anderen Ort auszuweichen. Hilfstransporte kommen nur beschränkt durch, die Menschen leiden unter zerstörter Infrastruktur, fehlender medizinischer Versorgung und bedrohlichen Hungersnöten.
Hamas und Israel
Als militärisch eindeutig überlegene Macht steht Israels Regierung dabei zunehmend unter internationalem Druck, sich auf Friedensverhandlungen mit der Hamas einzulassen und in der Zwischenzeit die humanitäre Versorgung sicherzustellen. Im Moment wirkt es aber so, als würden sich weder Hamas noch Israel ernsthaft an den Verhandlungstisch setzen wollen. Für großen Aufruhr sorgen dabei Aussagen einzelner israelischer Regierungsmitglieder die die Vertreibung aller Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen fordern – laut internationalem Recht ein Kriegsverbrechen. Sogar der Verdacht auf Völkermord wird aktuell gerichtlich untersucht.
Die Ereignisse in Israel und Gaza hinterlassen weltweit tiefe Spuren. Die Brutalität des Hamas-Angriffs und die verheerenden Folgen der israelischen Militärschläge lassen sich nicht gegeneinander aufrechnen – und gleichzeitig bieten weder Terror noch Krieg eine Perspektive auf Frieden.
Diese Widersprüchlichkeit spiegelt sich auch in den Reaktionen in Österreich wider. Seit Beginn des Krieges wird auch hierzulande für Palästina auf die Straße gegangen. Neben Kundgebungen, die sich für Frieden und Koexistenz von Israelis und Palästinenser*innen aussprechen, kam es immer wieder zu Protesten mit gewaltvollen Inhalten, unter anderem mit Bannersprüchen wie »Blessed is the flame that burns the settler colony« – womit Israel gemeint ist. Die Teilnehmer*innen dieser Proteste sind dabei meist links eingestellt und der Aufruf, Israel zu zerstören, wird als antikolonialer Kampfschrei verstanden. In diesem Zusammenhang wird die Hamas als Befreierin sowie als antiimperialistische Widerstandsorganisation gesehen und von einigen der Demoorganisator*innen sogar explizit gefeiert. Auch Kneecap positionierten sich so: Auf demselben Konzert, bei dem sie, wie oben beschrieben, über den Krieg in Gaza sprachen, riefen sie zur Unterstützung der Hamas auf und zeigten eine Hisbollah-Fahne.
Widerstand und Terror
Was bei dieser Erzählung von Widerstand jedoch in den Hintergrund rückt: Ideologisch steht die Hamas den islamistischen Muslimbrüdern nahe und bei ihren Angriffen sind Zivilist*innen Hauptziel. Am 7. Oktober kam es zu massiven Verbrechen, darunter zahlreiche Vergewaltigungen von Frauen während des Angriffs auf das Technofestival. Viele der Opfer wurden anschließend brutal ermordet; ihre Leichen wurden öffentlich zur Schau gestellt und für die sozialen Medien inszeniert. Diese Gewaltästhetik verbreitete sich rasch online – und wurde von Anhänger*innen der Hamas mitunter glorifiziert.
Für den 1. September war ein Kneecap-Konzert in Wien geplant, das schließlich von den Veranstalter*innen – nach Bekanntwerden der Hamas-Unterstützung seitens der Band – »wegen akuter Sicherheitsbedenken« abgesagt wurde. Die Absage wiederum löste einen Aufschrei in der Kulturszene aus: Das Zwischennutzungskollektiv Wild im West organisierte ein Solidaritätskonzert, an dem Größen wie Buntspecht und Mavi Phoenix teilnahmen. Hier stellt sich natürlich die Frage, inwiefern allen beteiligten Künstler*innen bewusst war, dass Kneecap sich ausdrücklich mit Hamas und Hisbollah solidarisiert hatten. In den offiziellen Instagram-Storys fand dieser Umstand jedenfalls keine Beachtung, stattdessen ging es dort nur um eine allgemeine Solidarität mit Palästina. Genau diese Vermischung aber macht es so schwierig: Wer Hamas oder Hisbollah unterstützt, vernachlässigt die Gräueltaten der Hamas an ihren israelischen Opfern und steht nicht für Frieden, sondern für eine Fortsetzung des Krieges.
Antisemitische FPÖ?
Dasselbe gilt natürlich umgekehrt auch für diejenigen, die keine klaren Worte gegen Israels Kriegspolitik finden. Besonders deutlich zeigt sich das bei der FPÖ. Sie gibt sich seit Beginn des Krieges als lautstarke Verteidigerin der israelischen Regierung und war auch eine der Ersten, die Druck auf die Veranstalter*innen des Kneecap-Konzerts ausübten. Die Strategie liegt auf der Hand: Die FPÖ versucht, sich von ihrem eigenen antisemitischen Erbe zu distanzieren, indem sie den Fokus auf antikoloniale Linke, Muslim*innen und LGBTQIA*-Gruppen als angebliche Hauptträger*innen von Antisemitismus verschiebt.
Doch die Rechnung geht nicht auf. Der Antisemitismus nach dem 7. Oktober ist in Österreich keineswegs auf linke Milieus beschränkt. Laut dem im November 2024 veröffentlichten »Rechtsextremismus Barometer« des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes stimmen 42 Prozent der Österreicher*innen der folgenden Aussage zu: »Israels Politik in Palästina ist wie die der Nazis im Zweiten Weltkrieg.« Unter Befragten mit stark rechtsextremen Einstellungen liegt dieser Wert aber sogar bei 60 Prozent. Den Krieg in Palästina mit der Shoa gleichzusetzen, ist eine Relativierung des Holocausts und die Studie hält fest, dass diese Aussage »als Straftatbestand nach dem Verbotsgesetz ausgelegt werden könnte«.
Brennpunkt Kultur
Generell zeigen die Zahlen aus dem jährlichen Antisemitismusbericht der Israelitischen Kultusgemeinde, dass die gemeldeten als antisemitisch eingestuften Fälle in Österreich seit 2023 auf das Doppelte angestiegen sind. Es ist dabei ein Zuwachs in allen Bereichen zu bemerken: Massenzuschriften (Onlinekommentare), verletzendes Verhalten, Sachbeschädigungen, Bedrohungen und Angriffe.
Doch diese Zahlen erzählen nur einen Teil der Geschichte. Hinter ihnen stehen Menschen, die seit dem 7. Oktober eine Zäsur erleben, durch die ihr persönliches, politisches und berufliches Leben erschüttert wird. Speziell in der Kunst- und Kulturszene, die seitdem zu einem Brennpunkt der Debatte über Israel und Palästina geworden ist, treten diese Brüche deutlich zutage. Social Media ist dabei ein außerordentlich widriges Kampffeld, und einer der Orte, an dem Antisemitisches besonders bedenkenlos produziert und geteilt wird. Eine generelle Kritik an Israel ist dabei längst nicht mehr genug, sie wird an Personen festgemacht, die es aus der Community auszuschließen gelte.
So passierte es Sheri Avraham. In Israel geboren lebt und arbeitet Avraham nun als Künstler*in, Kurator*in und Theatermacher*in in Wien. Im August veröffentlichte der Instagram-Account @thepeoplesafa_vie einen Post, in dem Avraham und zwei weitere Personen öffentlichen Interesses namentlich als »Genozid-Befürworter*innen« genannt wurden – mit der Absicht, deren Karrieren und Leben zu schaden: »In einigen Jahren werden diese Leute um politische Stimmen oder Unterstützung in ihren Karrieren bitten, in der Hoffnung, dass ihr deren bedingungslose Unterstützung des Genozids vergessen habt. (…) Genau deshalb sprechen wir das jetzt an – damit ihre Aktionen, ihr Schweigen und ihre Kompliz*innenschaft nie vergessen werden.« Als Stein des Anstoßes wird ein Statement angeführt, in dem sich Avraham für die Israelis, für die Palästinenser*innen, aber gegen die Hamas ausspricht. Andere Posts zum Thema werden schlicht als »99 Prozent Hasbara«, also israelische Propaganda, bezeichnet. Der Verdacht liegt nahe, dass Avraham vor allem als Jüd*in in den Fokus der Kritik gekommen ist.
Gespaltene Welt
Avraham erzählt uns von den Dissonanzen eines Lebens zwischen Wien und Israel: »Ich bin gegen diese Regierung und ihr Verhalten, doch in Israel werde ich damit schnell als Hamas-Befürworter*in abgestempelt, während ich hier in Wien zu einer Genozidbefürworter*in verkomme. Hier wehre ich mich gegen diese Beschuldigungen, während meine Schwester, die nahe der Grenze zum Gazastreifen wohnt, im Luftschutzbunker wartet bis der Bombenalarm vorbei ist, weil die Hamas nach wie vor Raketen auf Israel schießt.«
Avraham zählt zu den Mizrachim, arabischen Jüd*innen, einem lebenden Gegenbeispiel zum weitverbreiteten Narrativ, in dem die Israelis die weißen Kolonialisierer*innen sind, während die Palästinenser*innen die unterdrückten People of Color darstellen. Zwar gibt es mit der derzeitigen Besetzung des Gazastreifens und der Siedlungspolitik im Westjordanland klare koloniale Expansionspläne seitens Israels, doch die Bevölkerung in Israel und Palästina ist um einiges diverser in Ethnizität und Religion, als es die Debatte meist eingesteht.
Es braucht allerdings nicht unbedingt hasserfüllte Onlinekommentare, um Karrieren zu beeinträchtigen. Avraham berichtet, dass schon vor solchen Social-Media-Posts Projekte abgesagt worden seien und Organisator*innen plötzlich nicht mehr auf Nachfragen reagiert hätten. Auch Tamara Stern, eine Schauspielerin, die in Wien und Berlin lebt, erzählt von Freund*innen in der Theater- und Filmszene, die schlichtweg weniger Aufträge bekommen würden, seit sie sich anlässlich des 7. Oktobers gegen Antisemitismus stellen. Als freie Schauspielerin, die nicht mit einem Theaterhaus assoziiert ist, spüre sie das selbst noch nicht so stark. Sie mache sich allerdings zunehmend Sorgen aufgrund ihrer exponierten Position als Schauspielerin: »In meinen Soloshows geht es oft um jüdische Themen, ich bin also sehr sichtbar. Seit Jahren spiele ich ein Programm, in dem ich ein Lied auf Hebräisch singe, und ich merke aktuell, dass ich mich bei jeder Show frage, wie das Publikum reagieren wird, ob ich sicher bin.«
Stern bezieht sich dabei unter anderem auf die unzähligen Bühnen, die in den letzten zwei Jahren von Pro-Palästina-Protestierenden gestürmt wurden. Das Anliegen mag verständlich sein: auf das Leiden in Gaza aufmerksam zu machen. Und eine demokratische Gesellschaft muss auch das Stürmen von Bühnen aushalten können. Doch ähnlich wie bei den Hasspostings gibt es die berechtigte Angst, dass der politische Protest schnell in eine persönliche Attacke übergehen könnte. Angesichts des markanten Anstiegs an Bedrohungen und tätlichen Angriffen auf Jüd*innen, die ein sichtbares Zeichen wie eine Kippa tragen, nur allzu verständlich.
Schwindender Rückhalt
Die Zunahme von Hasskommentaren, Diffamierungen und schließlich institutionellen Diskriminierungen, von der die interviewten Künstler*innen berichten, bedeutet einen täglichen Kampf für die Betroffenen. In diesem Kampf braucht es einen Rückhalt von Familie und Freund*innen. Während es diesen Rückhalt definitiv gibt – Sheri Avraham betont dabei, wie wichtig ihre BIPoC-Community für sie sei, und Tamara Stern spricht vom Rückhalt im engsten Freund*innenkreis –, wiegt es besonders schwer, wenn das Verhältnis zu langjährigen Wegbegleiter*innen brüchig wird. So berichtet uns etwa eine anonym bleiben wollende Gesprächspartnerin von einem Treffen mit einer alten Freundin, bei dem diese ausschließlich über Gaza sprechen wollte. Die Freundin habe dabei erwartet, dass ihre Pro-Hamas-Position einfach abgesegnet werde. Der Einwand, dass Vergewaltigung kein Widerstand sei, wurde nicht ernst genommen. Das Gespräch habe kurz darauf abrupt geendet.
Durch diesen täglichen Kampf gegen den erlebten Antisemitismus im öffentlichen und privaten Raum stellt sich für die Künstler*innen die Frage, ob sie in Österreich noch zu Hause sein können. Kaufmann bringt es dabei auf den Punkt: »Ich fühle mich unter Bombenalarm in Tel Aviv sicherer als in Wien. Natürlich überlege ich, nach Israel auszuwandern.« Auch Tamara Stern denkt darüber nach, fände es aber schwierig, weg aus Europa, in ein existenziell bedrohtes Land wie Israel zu ziehen.
Doch es formiert sich hierzulande auch Widerstand. Etwa von Gruppen wie der IG Antisemitismuskritik, die sich 2024 als Reaktion auf das politische Klima gegründet hat und Teil des Museumsbundes Österreich ist: »Wir haben beobachtet, dass sich Jüd*innen und antisemitismuskritische Personen immer mehr aus dem Kulturbetrieb zurückziehen. Dagegen wollen wir arbeiten«, erklärt Anna Jungmayr, eine der Organisator*innen. Die IG veranstaltet Workshops für Musemspersonal, in denen vermittelt wird, wie antisemitischen Ressentiments begegnet werden kann. »Uns geht es darum, Expertise zu bündeln und Wissen weiterzugeben. Gerade Museen sind Orte, an denen Geschichte und Gegenwart eingeordnet werden. Ein antisemitismuskritischer Blick ist da unverzichtbar.«
Es ist klar, dass der 7. Oktober eine weltpolitische Zäsur darstellt, in der auch in der österreichischen Kulturszene vieles zerbrochen ist. Es liegt nun an uns allen – künstlerisch tätig oder nicht –, wieder Brücken zu bauen sowie die Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung mit einer Sensibilisierung für Antisemitismus zu vereinen. Das ist jedoch nur möglich, wenn wir Empathie und Verständnis dafür haben, dass die Gegenwart gerade komplex und widersprüchlich ist und es dauern wird, bis man Zusammenhänge letztlich einordnen kann. Und wenn wir uns bewusst werden, dass Solidarität mit einem Teil der Weltbevölkerung niemals den Verlust der Solidarität mit einem anderen bedeuten darf.
Aktuelle Veranstaltungen der IG Antisemitismuskritik finden sich auf der Website des Museumsbundes. Von 7. bis 16. November findet das Klezmore Festival in Wien statt, ein Beispiel dafür, dass jüdische Kultur nicht mit der Politik des Staates Israel gleichgesetzt werden sollte.