Der schwedische Design-Diskonter wird mit einer Ausstellung im Wiener Hofmobiliendepot geadelt. Das „Phänomen Ikea“ hat Design demokratisiert, heißt es. Schön. Und gut. Bloß: Die Demokratisierung geht zwangsläufig mit einer Produktion auch in undemokratischen Ländern einher.
Nein, ich habe nichts gegen Ikea. Aber durchaus ein paar Vorbehalte. Mich stört zum Beispiel die Euphorie, mit der viele meiner Freunde und Bekannten ihren Einkauf in irgendeiner abgefuckten Business-Park-Gegend als Familienausflug in eine heile Welt zelebrieren. Bloß weil sie dort geduzt werden, Bleistifte im Kindchenschema geschenkt bekommen und am Ende exotische Schokoladeriegel kaufen dürfen. Als ob es nichts Schöneres gäbe, als zum Ikea zu fahren und vollbepackt mit riesigen, blauen Umhängetaschen voll Plüschramsch, Elchfaschiertem und Teelichtern in Armeegroßpackungen heimzukehren.
Klar, geschicktes Marketing greift. Manchmal greift es auch auf mich über. Bloß: ich wehre mich. Wann immer das schwedentümelnde Gemütlichkeitstralala zu laut wird, weil in Schweden und im Werbeblock Christbäume aus den Fenstern geworfen werden oder die Katalogwälder abgeholzt und an einen Haushalt versandt wurden, genügt eine Erinnerung, um mich wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen. Ich habe mir angewöhnt, mich in Ikea „hineinzudenken” und einen geistigen Blick hinauf zum Plafond einer Ikeaburg zu schwenken. Die funktionale Industrie-Architektur dort oben hat – wohl in der Annahme, dass eh keiner hinaufschaut – den unbemühten Charme einer Hofer-Filiale. Das reicht aus, mir jegliche Gemütlichkeit auszutreiben, schon aus dem Gedächtnis heraus.
Ja, natürlich nenne auch ich bei Ikea Erstandenes mein Eigen. Meine roten Plastiksessel mit Klapplehne sind nicht nur Familienerbstück, sondern auch ein wunderbares Relikt aus den späten 70ern (die in Österreich wohl die frühen 80er waren). Und dass die skandinavische Moderne, die unser Geschmacksempfinden gerade durch Ikea global geprägt hat, ab 9. April im altehrwürdigen Wiener Möbelmuseum entsprechend thematisiert wird, ist längst fällig. Bloß eine Passage aus dem Pressetext hat mich stutzig gemacht: „Design gehört für Ikea zu den zentralen Faktoren bei der Realisierung der Idee, funktionale, gut gestaltete Möbel für möglichst viele Menschen leistbar zu machen. Dahinter stehen unter anderem Konzepte wie „Schönheit für alle“ (Ellen Key, 1899), die ihre Wurzeln in den Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts haben und sich im „Schwedischen Modell“ einer modernen, offenen, familien- und sozialorientierten Gesellschaft bis heute manifestieren.“ Denn Modell und Versprechen einer modernen, offenen, familien- und sozialorientierten Gesellschaft gelten als Versprechen zwar vielleicht für die Konsumenten, nicht zwangsläufig allerdings für die Produzenten von Ikea. Denn immerhin ein Fünftel des Ikea-Sortiments wird in einer Volksrepublik hergestellt, die gemeinhin nicht wirklich für das genannte Gesellschaftsideal steht.
Ja, es wäre naiv Ikea vorzuwerfen, dass 20 Prozent seiner Produkte in China hergestellt werden. Doch es ist ein Faktum, dass hier Image und Realität nicht ganz zusammenpassen. Denn mit ein Grund, dass die Produktion in China billiger ist als beispielsweise in Polen, Italien, Deutschland oder Schweden (wo immerhin 18, 8, 6 und 5 Prozent der Ikea-Waren herkommen) ist, dass sich die Zulieferfirmen in Fernost nicht allzu viel um Arbeitszeiten, Umweltschutz, Gewerkschaften und andere soziale Standards zu scheren haben.
Dass Ikea hierzulande (laut „Umwelt- und Sozialbericht Ikea Österreich 2009” – zu finden unter www.ikea.at – Über Ikea) seit über einem Jahr ausschließlich erneuerbare Energien nutzt, an einem Tag gemeinsam mit dem WWF PR-trächtig 520.000 Energiesparlampen verschenkt, in seinen Restaurants jeden Tag auch ein Bio-Menü anbietet und bundesweit 54 wasserlose, geruchsneutrale Pissoirs einsetzt – alles schön, gut, löblich. Aber bloß ein paar Tropfen ins formschöne Urinal. Denn will sich ein Global Player nachhaltig verkaufen, dann hat dieser Anspruch mittlerweile global zu gelten und nicht bloß in Absatzmärkten, in denen das die Käuferschaft gerade goutiert.
Gerade weil Ikea erfolgreich einen skandinavian way of life vermarktet, hat das Unternehmen die Chance, nicht bloß geschmäcklerisch Design-Belange zu exportieren. Es hat diese Chance auch wenn es ums aktive, globale Mitgestalten von nachhaltigem Bewusstsein geht. Wenn das „Schwedische Exportmodell“ auf Unternehmensebene mehr ist als ein Marketingschmäh, dann darf es nicht sein, dass günstiges, leistbares Design für die breite Masse in unseren Breiten, auf Kosten anderer Weltgegenden geht. Ikea kann allein aufgrund seiner Stellung am Markt gehörig Druck auf seine Lieferanten ausüben, ihn im besten Sinne beeinträchtigen. Bewusste Konsumenten dürfen das von einem Unternehmen wie Ikea auch überall auf der Welt erwarten. Und werden das auch gutheißen. Dafür gibt es genügend Beweise. Ja, natürlich.
Thomas Weber, Herausgeber