Noch dämmert es nur wenigen: Die Sparpakete I, II, III und IV werden massive Auswirkungen auf Kultur, Kunst und auch das Lebensgefühl des Landes haben. Wenn bloß noch der Glanz vergangener Tage strahlt, wird uns auch bewusst werden, dass Wien keine Weltstadt mehr ist.
»Dass es uns allen immer gut gehen wird.«
– Kein Trinkspruch, sondern Stella Rollig vom Lentos Museum auf die Frage: Was ist der größte Irrtum der meisten Österreicher? (in der Zeitschrift „Republik“)
Noch verhandeln sie oder verharren unauffällig in Deckung, darauf hoffend, dass es möglichst die anderen trifft. Unter vorgehaltener Hand berichten aber bereits erste Vereine von ausbleibenden Förderzusagen, deuten Institutionen gravierende Kürzungen und Einschnitte an. Wiens zerstrittene Off-Theaterszene tritt erstmals geeint auf und verlangt auch von den großen Bühnen eine Evaluierung ihrer Leistungen. Im Designforum im Museumsquartier bangt man um die Finanzierung der Einrichtung. Bei der Antrittspressekonferenz der neuen Departure-Chefin verwies die assistierende Wiener Finanzstadträtin in jedem zweiten Satz ihres Eingangsstatements auf die angespannte wirtschaftliche Lage und die schwierige Situation – obwohl die Gelder, die für die Förderung und Vernetzung der Kreativwirtschaft zur Verfügung stehen, 2012 in Wien gleich hoch bleiben. Anderen, der Grazer Diagonale oder dem Linzer Festival Crossing Europe etwa, brechen schlicht die Sponsoren weg, die sich nun lieber auf repräsentativere Events in der Bundeshauptstadt konzentrieren.
Es ist offensichtlich: Es brechen harte Zeiten an. Und auch die Verteilungskämpfe werden härter geführt werden, wenn öffentliche Förder- und private Sponsoring-Budgets reduziert werden. Wobei die großen »Kulturtanker«, die ausgegliederten »Leitbetriebe« der Museumslandschaft und die auch touristisch relevanten Großbühnen durchwegs durch mehrjährige Verträge abgesichert sind. Doppelt und dreifach trifft es also die Vielzahl an kleinen, unabhängigen Initiativen, die sogenannte freie Szene sowie kleine Festivals, die zur Internationalisierung und zum Austausch beitragen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls gefährdet: Einrichtungen auf dem Land, die – oftmals im Abseits agierend – für die politischen Entscheidungsträger weniger herzeigbar sind, sowie solche mit alternativen Ansätzen. Aufs Erste hat das Argument, dass gefälligst auch „die Künstler das Ihre dazu beitragen“ sollten, wenn dem Rest der Bevölkerung Entbehrungen abverlangt werden, natürlich etwas Verlockendes. Doch aus ihm spricht Kulturferne und Unwissenheit. Denn die allerallerwenigsten Künstler können von ihrer Arbeit gut leben. Vielmehr leben sie mehrheitlich von der Hand in den Mund und weitgehend ohne Absicherung. (Wer das nicht glauben möchte, der google »Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich«, eine vom Kulturministerium in Auftrag gegebene Studie.)
Noch ist all das in der Öffentlichkeit kaum ein Thema. Dazu ist der Druck noch nicht groß genug, dazu sind die Künstler wohl Leid und Kummer zu sehr gewöhnt. Vorgeprescht ist man – wieder einmal – in Linz. Die freie Szene ist dort bereits dermaßen ausgeblutet, dass man sich in der KAPU (dem alternativen Kulturzentrum der Stadt) nicht einmal mehr den Strom für die Konzerte leisten kann. Der Vizebürgermeister der Stadt reagierte zwar positiv auf einen offenen Brief und Straßenaktionismus. Doch, was soll’s: Es fehlt das Geld für zeitgenössische Kunst und Kultur – nicht nur in Linz.
In Wien gibt es für die Kulturpolitik nämlich einen anderen schweren Klotz am Bein: Wien ist längst keine Weltstadt mehr. Das Kaiserreich ist passé und die kulturelle Ausnahmestellung der Stadt projiziert sich primär als Behauptung auf die Bauten der Wendezeit vom 19. aufs 20. Jahrhundert. Natürlich: Wiens Museumslandschaft hat viel zu bieten. Aber überwiegend Altes. Und in vielen Bühnenhäusern betreibt man maximal touristisch relevante Brauchtumspflege. Dass wir glauben, wir befänden uns auch heute noch in einer Kulturstadt von Weltrang, liegt vor allem an der schillernden Patina der Ringstraßenarchitektur. Gut für uns, dass damals beim Bauen nicht gespart wurde. Gegen all das ist nichts einzuwenden. Doch gegenwärtige kulturelle Weltgeltung hat das keine. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht.
Nicht alles Alte ist erhaltenswert – erst recht, wenn das Geld knapp und dieses auf Kosten von Gegenwart und Zukunft ginge. All das gehört diskutiert und entsprechende Entscheidungsprozesse gehören transparent gemacht. Ebenso wie es von der Politik konsequenter wäre, von erfolgreichen (Glücksspiel-)Unternehmen eine zweckgewidmete Kultursteuer einzuheben als die gängige Praxis, diese in die Pflicht zu nehmen und zu halbherzigen Kultursponsorings zu nötigen. Dann muss sich im Nachhinein auch niemand die Frage gefallen lassen: Was war eigentlich die (politische Gegen-)Leistung?