Ein öder Titel, ein einfallsloser Einband, ein hinterfotzig gutes Buch: Flavia Company breitet an einem literarischen Gemeinplatz – der einsamen Insel des Gestrandeten – ein packendes Psychogramm aus.
Es ist eine archaische Geschichte von knapp mehr als 150 Seiten, die Flavia Company zum 300-Seiten-Monstrum geraten ist. Dabei fragt man sich anfangs noch, warum gerade dieses Bändchen der spanischen Autorin als erstes ins Deutsche übersetzt wurde. Doch das wird rasch klar, und kaum zu Ende gelesen muss man es gleich noch einmal von vorne beginnen. Zwei Wendungen, eine davon ganz zu Schluss, lassen die Handlung völlig anders erscheinen und einem als Leser keine Wahl. Man muss dieses Buch ein zweites Mal durchleben. Man will schließlich verstehen.
Archaisch an dieser Geschichte ist nicht nur das seit "Robinson Crusoe" klassische Motiv des Gestrandeten. Archaisch ist sie auch, weil Flavia Company in „Die Insel der letzten Wahrheit“ eine Geschichte erzählt, die erzählt werden muss. Zuerst ist es Prendel, ein nach mehreren Jahren in der Versenkung nach New York zurückgekehrter Arzt, der seine Geschichte noch kurz vor seinem Tod loswerden muss. Dann ist es dessen letzte Freundin, die das ihr Anvertraute zuerst weitererzählt und dann selbst zu Papier bringen muss. Und schließlich ist man es als Leser selbst, der nicht anders kann als dieses Buch weiterzuempfehlen, als diese Geschichte aktiv hinauszutragen.
Mundpropaganda und Niederschrift sind das eine. Archaisch ist diese Geschichte letztlich aber auch, weil sie aus einer Welt ohne Bilder stammt. Abgesehen von einem fragwürdigen Brief gibt es keine Dokumente des auf der Insel Erlebten. Einzig ein Gebiss, von dem Prendels Zahnärztin ablesen kann, dass dieser lange unter Mangelernährung gelitten hat, gibt Zeugnis ab. Doch absolute Sicherheit bietet auch das keine, lediglich Anhaltspunkte.
Worum also geht es: Auf einem Segeltörn vor der Westküste Afrikas unterschätzen Prendel und seine Freunde die Gefahr eines herannahenden Boots. Piraten! Diese übernehmen sein Schiff. Einen von ihnen erschießt er, seine Mitreisenden werden erschossen, er selbst kann sich nur durch einen Sprung ins Wasser retten. Tagelang treibt er auf dem Meer, irgendwann wacht er auf einer Insel auf. Gerettet hat ihn einer der Piraten, der, den er getötet zu haben glaubt. Mit ihm teilt er sich die nächsten Jahre auf „L’illa de l’ultima veritat“ (wie das Buch im katalanischen Original heißt) – und so manches Geheimnis, das Prendel schließlich zurück in die sichere Großstadt nimmt. Dort sucht es uns Zivilisationsmüden aus der Abgeschiedenheit heim. Hinterfotzig, existenziell und dunkel.
"Die Insel der letzten Wahrheit" von Flavia Company ist bereits bei Bloomsbury erschienen. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt.