Josef Obermoser ist künstlerischer Leiter des brandneuen Crossroads Festivals in Graz. The Gap hat ihn per Mail getroffen.
Ihr startet ein neues Festival für Dokumentarfilm in Graz, während die Diagonale und anderen Filmfestivals in Österreich gerade um jeden Cent kämpfen. Warum ist das eine gute Idee?
Weil es in Anbetracht der großen sozial-ökologischen Krise (think Klimawandel, Ressourcenverknappung, Mass Extinction, Hunger, Armut …), die uns unser aktuelles Wirtschaftssystem beschert, unerlässlich ist, dass sich mehr Menschen zusammenfinden, um sich damit auseinanderzusetzen und kollektiv zu handeln beginnen. Die große Politik verschläft unsere Probleme. Das Ruder herumreißen können nur mehr wir selbst. Gute Dokus haben ebenso wie gute Vorträge und Diskussionen die Macht, aufzurütteln, Diskurse in Gang zu bringen und zum Handeln zu inspirieren. Darum geht es bei Crossroads.
Es gibt noch viel zu wenig nette kleinere Festivals, bei denen es locker und gemütlich zugeht und wo es vor allem auch darum geht, dass die Besucherinnen und Besucher miteinander ins Gespräch kommen können. Mit unserem Mini-Budget von nur rund 20.000 Euro treten wir bestimmt mit niemandem in Konkurrenz um Kohle. Es kann absolut nicht angehen, dass Kulturinitiativen um immer weiter gekürzt werdende Fördergelder kämpfen. Ganz im Gegenteil müssen sich endlich alle zusammentun und gemeinsam für eine massive Erhöhung der zur Verfügung stehenden Mittel eintreten. Auch wenn die gängige Austeritätspropaganda anderes behauptet, das Geld ist da – bloß in den falschen Händen.
Eure Themen sind Krise, zukunftsfähige Ökonomien und gutes Leben. Wenn ihr noch Netzkultur dabei hättet, wären das wohl alle großen Themen der Gegenwart. Wie bekommt man den Anspruch in einem Festival unter?
Mit 30 Filmen und einem Dutzend Vorträgen und Diskussionen lässt sich schon einiges behandeln. Natürlich kann vieles, wie so oft, nur andiskutiert werden, aber wir hoffen, dass die Veranstaltungen zur weiteren Auseinandersetzung mit den Themen anregen.
Zeigt ihr vor allem aktuelle Dokumentationen oder bringt ihr auch ältere Dokumentarfilme, deren Thema aktuell ist?
Es überwiegen Produktionen von 2011, aber wir zeigen auch ältere. Etwa Barbara Ettingers »A Sea Change«, dem nach wie vor einzigen Film, der sich mit der äußerst furchterregenden Versäuerung der Ozeane (»Ocean Acidification«) beschäftigt. Sie wird durch die Absorption eines erheblichen Teils unseres CO2-Ausstoßes durch die Meere bewirkt und hat u.a. zur Folge, dass Kleinstlebewesen keine Kalkschalen mehr bilden können. Marine Nahrungsketten drohen zusammenzubrechen, und an deren Ende stehen mehr als eine Milliarde Menschen. Es kommt da also ein weiterer Tsunami auf uns zu, den noch kaum jemand am Radar hat.
War »Kony 2012« insgesamt gelungen oder hat es wieder einmal den schmalen Grat zwischen gut und gut gemeint aufgezeigt, auf dem sich Dokumentationen oft bewegen?
Das kann ich leider nicht beurteilen. Zu einer tiefer gehenden Auseinandersetzung hat mir bisher die Zeit gefehlt.
Aus eigener, persönlicher Erfahrung: Können (Dokumentar-)Filme die Welt verändern?
Ganz bestimmt! Sie regen mich zum Nachdenken an und inspirieren und motivieren mich zum Handeln. Und nachdem die Welt vor allem auch mit vielen kleinen Schritten verändert wird, zählt jedes einzelne Mal, wenn ein Film, der so auf Menschen wirkt, gesehen wird.
»Crossroads – Festival für Dokumentarfilm und Diskurs« findet von 18.–27. Mai im Forum Stadtpark in Graz statt.