Provokant und ganz schön patriotisch: Alfred Goubrans Thesen über eine identitätslose Republik. Am »gelernten Österreicher«, Kreisky und den in den 90er Jahren angelernten Liberalen findet er wenig Gutes. Sein Ideal: der andere Österreicher.
Gleich zu Beginn fühle ich mich ertappt. Im Nachwort – ich lese es in meiner Neugier zuerst – klärt einen Alfred Goubran darüber auf, was es mit dem »Idiotikon«, der Gattungszuschreibung seines Essays, so auf sich hat. Dass die Österreicher alle Idioten wären, das besagt seine Abhandlung über den gelernten Österreicher nämlich genau nicht. Früher verstand man unter einem Idiotikon schlicht ein Wörterbuch über die sprachlichen Eigentümlichkeiten eines Landes oder einer Region. Im griechischen Wortsinn bedeuten die idiotes zudem die »Nicht-Dazugehörigen«; wobei Goubrans Vorwurf der genau gegenteilige ist: dass der gelernte Österreicher bequem ist, gefährlich angepasst, mehrheitsfähig und mittlerweile mustergültig für eine globalisierte Welt, in der das Establishment und das Konstrukt der Mehrheit daran arbeiten, dem Einzelnen seine Eigenheiten, seinen Charakter und seine Identität zu nehmen, um ihn vereinzelt zu verwerten und das Funktionieren zu gewährleisten. »Hier in Österreich wie überall«, wie es so oft in diesem Buch heißt.
Gelernter statt gelebter Wandel
Dass wir den Österreicher in diesem Sinn als globalen Vorreiter ansehen können, verdankt dieser dem historischen Sonderfall seines Landes, welches Goubran jeweils als verstümmeltes Überbleibsel der Geschichte beschreibt – sei es als Rest des Deutschen Reichs, des Kaiserreichs oder des Dritten Reichs. Anstatt sich allerdings der Geschichte zu stellen und daraus eine (lebendige) Identität zu entwickeln, so der Vorwurf, hätte der Österreicher immer bloß nach vorne geblickt, gelernt sich an das jeweils Neue, von außen Kommende anzupassen. Veränderung habe er nie gelebt und verinnerlicht, sondern bloß gelehrig durch äußere Zwänge mitgemacht. So wurde er: »Nach dem Anschluß: Zum Deutschösterreicher. Nach dem Krieg: Zum Parteiösterreicher. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre: Zum modernen Österreicher (Modernisierung). Anfang der neunziger Jahre: Zum liberalen Österreicher (Liberalisierung).«
Das vielleicht plakativste Beispiel für Goubrans These von der substanzlosen Orientierung am außen ist der Tourismus beziehungsweise das Bild, welches Österreich als Kulturtourismusnation transportiert. Klischees, sonst nichts; gelebte Kulturlosigkeit.
Ist Goubran also ein Kulturpessimist spezifisch österreichischer Prägung?
– In solch simplen Kategorien wird man den Autor nicht zu fassen bekommen. Er ist jedenfalls beharrlich, unverbesserlich, und, auch wenn man ihm mit dieser Zuschreibung wohl keinen Gefallen tut, weil man den angelernt Liberalen damit womöglich eine Kampfvokabel in die Hand gibt, ihn abzuschaßeln: Er ist letztlich ein wahrer Patriot – im Bernhard’schen Sinn. Er kann nicht anders als das, was ihm wichtig und ein Anliegen ist, zu kritisieren.
Vielleicht sind Goubrans Forderungen – er postuliert den »Mut der Wenigen« und fordert die »Fähigen« auf, sich von allem Identitätslosen fernzuhalten, es kenntlich zu machen und sich von ihm zu distanzieren – vielleicht sind diese Forderungen neuromantisch. Sie sind es auf alle Fälle wert, gelesen, bedacht und diskutiert zu werden. Dieses Buch gehört auf Matura-Leselisten, auszugsweise in Deutsch-Lesebüchern nachgedruckt und denen in die Hand gedrückt, die noch leidenschaftlich sind und nicht verdorben. Auf dass es sie inspiriert, die verdrängten und vergessenen Heldinnen und Helden des Widerstands und der Unangepasstheit auszugraben, sich diese als Vorbilder herzunehmen.
Alfred Goubran über den Umgang des »gelernten Österreichers« mit Kultur. Ein Auszug:
Wo versucht wurde, eine andere österreichische Kultur ins Spiel zu bringen, die keine Verdrängungskultur ist, etwa in den Fünfzigern und Anfang der sechziger Jahre, mündete sie in eine Avantgarde, die sich selbst genügte, in formalen Spielereien erschöpfte und für den Österreicher weitgehend folgenlos blieb – auch weil es der gelernte Österreicher verstand, sie als volksferne Kunst in Literaturhäusern und den Instituten der Universitäten zu isolieren und durch massive Förderungen vom Markt und von der Begegnung im Alltag fernzuhalten. So wurden das Formenspiel – als Experiment – und die Unverständlichkeit für den gelernten Österreicher zu einem wichtigen Kriterium moderner Kunst – wie auch der Skandal, weil dieser die fehlende Wirksamkeit alibisiert. An letzterem zeigt sich die pubertäre Kunstauffassung des gelernten Österreichers ganz unverstellt, als eine im Grunde geistlose Dummheit und aus dem Ungelebten und dem bloßen Vorstellen entsprungene Vulgarität, die hier nur Erwähnung findet, weil sie dem österreichischen Künstler, als gelerntem Österreicher, zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Im künstlerischen Selbstverständnis des gelernten Österreichers gibt es nur den Markt – und den Erfolg – oder das behagliche Unverstandensein in den Elfenbeintürmen der Kunsteliten. Das sind nicht die Türme, die Joyce, Rilke oder Hölderlin noch bewohnt haben, sondern Künstlerkoben, die über die Kulturinstitute als Container in die ganze Welt verschifft werden. Dieser Export, den man auch als Erfolg bezeichnen könnte, ist dem gelernten Österreicher genehm, weil er im Inland wie im Ausland folgenlos bleibt.
Es ist ein Erfolg – getreu seinem Motto: Dabeisein ist alles.
Aus: »Der gelernte Österreicher« von Alfred Goubran, erschienen im Wiener Braumüller Verlag
Zum Artikel über Alfred Goubrans Debütroman „Aus.“, erschienen 2011.