Absurd: Mit »Wienpop« haben wir nun zwar eine ordentliche Oral-History-Aufarbeitung der österreichischen Popgeschichte vorliegen. Viele der besprochenen Alben und wegweisenden Songs aber kann kein Mensch nachhören.
Lange genug hat sich die österreichische Pop-Geschichte mit den unreflektierten Anekdoten und verhaberten Adabei-Zoten des Duos Rossacher und Dolezal zufrieden gegeben, älteren Semestern auch als »Torpedo Twins« bekannt. Dass die beiden über die 80er Jahre nie hinausgekommen sind, hat den ORF nicht daran gehindert, sie noch 2006 mit der Produktion eines TV-Mehrteilers »Weltberühmt in Österreich – 50 Jahre Austropop« zu beauftragen. Das Ergebnis ist nicht umsonst in Vergessenheit geraten. Auf ORF III könnte es dieser Tage dennoch wieder auftauchen. Denn spät (viele der frühen Protagonisten sind inzwischen tot oder blödgesoffen), aber doch sind die ersten Ansätze einer ernstzunehmenden Aufarbeitung, die den Namen Pop-Geschichtsschreibung verdient, erkennbar.
Bis ins Jahr 2000 hat es immerhin nun »Wienpop« geschafft, der in Buchform vorliegende Oral-History-Rückblick des Journalistenviergestirns Gröbchen / Mießgang / Obkircher / Stöger. Dass die Gegenwart und die jüngere Vergangenheit darin ausgespart werden, liegt nahe. Geschichtsschreibung eben. Dass keine nüchterne Analyse, sondern der vielstimmige Sound der Dabeigewesenen dominiert, macht das Mammutwerk nur interessanter. Weil es eben nicht bloß die üblichen Verdächtigen sind (Stichwort: Austropop), die zu Wort kommen.
Schon beim Scannen des Inhaltsverzeichnisses und des Personenregisters zeigt sich allerdings das Dilemma: Erinnerungen an legendäre Lokale, Begegnungen mit dem jungen Hansi Hölzel oder dem späten, verdammt uncoolen Falco schaffen es, eine Aura aufzubauen und ermöglichen es auch Nachgeborenen, zu erahnen, wie es damals gewesen und zugegangen sein könnte.
Das Beschriebene aber, die Musik nämlich, die das am besten vergegenwärtigen könnte, ist nur schwer aufzutreiben und in vielen Fällen nicht verfügbar. Wer »Wienpop« liest, wird sich kaum mit Mendt, Danzer, Ambros, den Schmetterlingen und Kruder & Dorfmeister zufrieden geben. Darüber hinaus sind Songs nicht verfügbar, Platten vergriffen, Werke verwaist, das Wenigste wurde digitalisiert und selbst aus den späten 90ern oder über die Anfänge von HipHop in Österreich ist im Netz nichts zu finden. Davor weiß meist kein Mensch, bei wem die Rechte liegen. Selbst die Majors, bei denen durch Labelübernahmen vieles gelandet ist, haben oft keine Ahnung.
Wer hören will, muss stöbern
Wer hören will, muss stöbern und geduldig warten und wird irgendwann – vielleicht – bei Vinyltandlern fündig. Dabei gehörte gerade dieser Schatz gehoben, die österreichische Popgeschichte hörbar und einer geneigten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Was so schnell aber wohl nicht passieren wird. Denn die Sache wäre unpackbar aufwendig – und wenn, dann ohnehin nur Falter-Redakteur Gerhard Stöger, dem verdientesten, konsequentesten und uneigennützigsten Popchronisten des Landes, zuzutrauen. Seinem Fanatismus verdanken wir auch »Wienpop«.
Das eigentliche Problem aber: Ein umfangreiches Verfügbarmachen der hiesigen Popgeschichte wird sich nicht rechnen, nie und nimmer. Ökonomisch hätte solch ein Unterfangen schon in den goldenen Zeiten der Musikindustrie ein Harakiri bedeutet. Doch 2013 verdient mit Musik kaum noch jemand Geld, höchstens mit dem Drumherum. Da sich aber die gestorbenen, vergreisten oder schlicht einfach langweilig gewordenen Akteure von einst nicht als Werbeträger für Sneaker-Hersteller, Mobilfunkanbieter, Streaming-Dienste oder Wodka-Abfüller eignen, fällt Sponsoring eher aus.
Ohne Förderungen wird solch ein Unterfangen aber nicht zu stemmen sein. Und auch mit genügend Geld bräuchte es wohl die vereinten Kräfte von ORF, Falter Verlag (Gerhard Stöger!), Al Birds Trash Rock Archives, SR Archiv, einem krediblen Musikvermarkter wie Hoanzl und einem zeitgemäßen Streaming-Dienst wie Spotify oder Deezer. Oder aber es brächte sich mit Servus TV ein staatstragender Mäzen ins Spiel. Eine Förderung jedenfalls wäre hiermit gefordert!
Zum Thema Wienpop außerdem:
Coverstory Wienpop – Wie klingt Wien heute
Gespräch mit Patrick Pulsinger, Vera Kropf, Cid Rim und Trishes
Kleine Appendix zu den drei Büchern:
"Im Puls der Nacht – Sub- und Populärkultur in Wien 1955–1976" von Heinrich Deisl
"Wienpop: Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten" von Walter Gröbchen, Thomas Mießgang, Florian Obkircher und Gerhard Stöger
"Schnitzelbeat – Handbuch zu Rock-N-Roll, Beat, Folk, Pop und Proto-Punk in Österreich (1956–1976)" von Al Bird Sputnik