Dem ORF fehlt Geld. Politiker und private Mitbewerber haben deshalb – wieder einmal – eine Privatisierung von Radio FM4 gefordert. Warum es keine gute Idee wäre, FM4 abzuschaffen.
Man braucht sich nichts vormachen: Eine Privatisierung von FM4 käme de facto einer Abschaffung des Pop- und Jugendkultursenders gleich. Das, was den Sender aus- und einzigartig macht, wäre privatwirtschaftlich nicht finanzierbar. Jeder kommerzielle Betreiber müsste die Frequenz zwangsläufig anders bewirtschaften. Mit ziemlicher Sicherheit würde das bedeuten: ein deutlich reduzierter Wortanteil, ein 100% durchformatiertes Musikprogramm (ohne Rücksicht auf österreichische Musik), ein klarer Fokus auf Ballungsräume und bereits Bewährtes, keine englischsprachigen Nachrichten und »Reality Checks«, keine Popkulturberichterstattung nach journalistischen Kriterien, keine internationalen Korrespondenten und jedenfalls ein »Ausmisten« von nicht vermarktbaren Sendeschienen. Für Nischenbewusstsein wäre kein Platz mehr. Dass gerade in Nischen das Besondere gedeiht und im vielleicht besten Fall auch einmal darüber hinauswächst, muss kommerziellen Radiomachern egal sein.
Nun kann man sagen: Was soll’s! Die Welt hat sich vor der Gründung von FM4 (1995) gedreht, sie wird sich auch ohne FM4 weiterdrehen. Nicht zuletzt hat der Sender zuletzt – wie alle etablierten Medien – an Relevanz und auch an Reputation eingebüßt. Die Rolle von FM4 als Fenster zur Musikwelt ist im Zeitalter von Netzradios und Streaming-Diensten ohnehin eine andere: Online ist Einschlägiges immer und überall verfügbar, bezahlt werden muss dafür nicht zwangsläufig. Ein angenehmer Nebeneffekt: Damit ist auch die Dominanz des früher als omnipräsent empfundenen »staatlichen College-Radios« passé.
Subversiv und doch staatstragend
Auch seine Subkultur-Erdung – lange ein Alleinstellungsmerkmal von FM4 – ist dem Sender weitgehend abhanden gekommen. Anders als oft behauptet liegt das allerdings nicht am Alter seiner prominentesten Akteure. Nichts gegen Nostalgie, aber wenn die Welt ohnehin zersplittert und fragmentiert ist (und, eine These: der Mainstream vor allem der kleinste gemeinsame Nenner der maximalen Vermarktbarkeit), dann bleibt »Underground« schlicht eine Kategorie von vorgestern – ein Kapitel aus dem Koordinatensystem der 80er Jahre eines Nick Hornby oder Henry Rollins.
Fast ein wenig absurd, aber 2013 bleibt FM4 – unfreiwillig, aber sinnvoll – eher die gegenteilige, staatstragende Rolle: Als Plattform verschiedenster Szenen und vielfältiger Stile gelingt dem Sender de facto der anachronistische Versuch, auseinanderdriftende Lebenswelten zusammenzuhalten. Das kann man kritisieren. Das mag vielleicht sogar konservativen Standpunkten entsprechen. Aber es ist zutiefst öffentlich-rechtlich, denn es schafft Gemeinsamkeiten, und damit Gemeinschaft und letztlich: Gesellschaft. Nicht zuletzt ist FM4 ein Standortvorteil – für Wien als internationale Stadt und für den Rest des Landes immerhin im touristisch wichtigen Sommer, als Leitmedium für den Festivalsommer.
Abseits aller Logik des Staatstragenden ist FM4 die neben der großen seriösen Schwester Ö1 einzig aufrichtige Plattform für österreichisches Musikschaffen und überhaupt die einzige überregionale und unabhängige Lobby für jugendliches Engagement. Nirgendwo sonst in der österreichischen Medienlandschaft werden Jugendliche nicht ausschließlich als zu vermarktende Zielgruppe angesprochen, sondern auf Augenhöhe und als mündige Menschen und kritische Staatsbürger. Wer dafür Belege braucht, kann sich, Woche für Woche, die Sendung »Jugendzimmer« anhören, manch Mitternachts-Talkshow oder, jedes Mal aufs Neue, von der Qualität der Berichterstattung vor der und zur ÖH-Wahl überzeugen.
Neben einem wichtigen Puzzlestein in einer insgesamt lebendigen und vielfältigen Kultur- und Medienlandschaft ist FM4 auch in seinem bald 20. Jahr mit ein Garant für eine offene Gesellschaft und einen gehaltvollen Diskurs. Dazu braucht es, eh klar, auch private Medienunternehmen. Aber man braucht sich nichts vormachen: Wirklich weitergebracht hat zumindest Privatradio den öffentlichen Diskurs hierzulande noch kaum einmal.
Thomas Weber, Herausgeber