Old Is The New Young

Paul McCartney, der große Beatle, hat ein Album gemacht, ein nebensächliches, ein ganz neues. Dass Pop andrerseits gerade so alt ist wie noch nie, liegt dabei nicht nur an uns selbst, den Hörern, es liegt auch an diesem knöchrigen Tier namens Musikindustrie.

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Paul McCartney hat alles erreicht. Er muss nichts mehr. Aber offensichtlich will er. Paul dürfte sich ein paar gute Berater genommen haben. Die arbeiten nun weniger an der Promotion eines einzelnen Albums, sondern an seinem ganzen Vermächtnis. Auch noch mit 71 Jahren soll es von Pauls einzigartigen, kindlichen Genie durchwetzt sein. Die Alben davor fanden noch ohne breite Öffentlichkeit statt – ganz im Stil alternder Musiker, die sich ohne Ende Studiozeit leisten können, Musik wie für sich selbst machen und sich nicht mehr mit Anwälten herumschlagen möchten, mit der PR-Ochsentour oder dummen Executives. Seine Musik wurde da entweder von Eltern oder Kunststudenten empfohlen, war also jedenfalls ziemlich unzeitgemäß, für Fanzirkel. Das sollte sich offenbar ändern. „New“ heißt das Album, mehr wie eine Parole. Neu will es sein.

Twinstagroud

Das Album kommt mit dem kompletten Netzgeschirr daher – mit Soundcloud und Instagram, mit Youtube-Teasern, einem Twitter-Interview, mit den Produzenten Mark Ronson – Goldjunge von Amy Winehouse – und Paul Epworth – Goldjunge von Adele oder Bloc Party – mit einem Auftritt beim Coolness-Multiplikator Stephen Colbert, oder – irre spontan angekündigt – am New Yorker Times Square.

Warum die Verjüngung, all die bunten Services? Weil sie heute dazu gehören, und längst Mainstream sind. Weil Leute, die alt genug sind um noch auf iTunes für ihre Portion Musik bezahlen, sie ganz selbstverständlich nutzen. Sie sind gewöhnlicher Teil einer Kampagne. In den Fünfziger Jahren wurden noch Teenager als Zielgruppe entdeckt, die plötzlich Geld hatten, und so Rock’n’Roll erfunden. Heute ist es fast umgekehrt. Musik soll in Einheiten verkauft werden, solange es eben noch geht. Da müssen ältere Generationen als Zielgruppe möglichst von allen Seiten umgarnt werden. Sie haben weniger Zeit neue Bands zu entdecken, merken sie sich ja auch schlechter. Diese Entwicklung bleibt nicht nur auf die Läden beschränkt. Sogar der österreichische „Jugendsender“ FM4 hat sein Musikprogramm angepasst, konzentriert sich auf Klassiker des Alternative Mainstream, weil es zu wenig neue Hits gäbe – dabei gibt es sie natürlich, sie sind heute nur viel unübersichtlicher geworden.

Generation Geronto-Pop

Man konnte insofern in den letzten beiden Jahren ja manchmal das Gefühl bekommen, dass so viele alte Männer wie noch nie zuvor den Ton angaben. So wie David Bowie, Daft Punk mit Nile Rogers und Giorgio Moroder, Pearl Jam, Scott Walker, Dave Grohl, Jay-Z, Lemonheads, Placebo, Nick Cave, My Bloody Valentine, Tocotronic, Kate Bush (die weibliche Ausnahme), Justin Timberlake, Depeche Mode oder Green Day – ihre Alben werden durchs Dorf getrieben, als wäre von ihnen tatsächlich etwas Neues zu erwarten, als hätten sie der Gegenwart etwas hinzuzufügen, das diesen Moment definiert. Das hatten sie nicht. Was nun nicht heißt, dass all ihre Alben schlecht gewesen wären. Sie hatten nur nicht viel mit dem Jetzt zu tun.

Diese Musiker und Bands sind nun heute nicht etwa plötzlich viel besser und erfolgreicher als früher, eher ist bei ihnen alles gleich geblieben. Weil aber alle anderen so viel weniger verkaufen (in den USA wurden 2002 noch 422 Alben mit Gold oder Platin ausgezeichnet, zehn Jahre später waren es gerade noch 155 Stück), stehen sie plötzlich wieder im Rampenlicht. Als wäre eine Epidemie ausgebrochen, die nur Leute unter 40 trifft, als wäre für den Nachwuchs keine erprobten Strukturen mehr da – was sie ja nicht sind. Eigentlich ist also nicht Pop selbst so alt geworden wie noch nie, sondern jener Pop, dessen Erfolg noch in verkauften Stück gemessen wird.

„New“ ist insofern sehr konsequent nach den Anforderungen im Jahr 2013 vermarktet worden. Innerlich ist es aber ganz alte Schule. Das Songwriting sowieso – klassischer Pop wie er ja von McCartney selbst vor einem halben Jahrhundert definiert wurde, zwischendurch folkige oder vorsichtig elektronische Einsprengsel, Musik für frohe Tage. Die Themen oder das aufwendige Booklet mit hübsch fotografierten Details aus dem Studio und abgedruckten Songtexten sprechen aber eigentlich eine andere Sprache als das durch Minimal Artist Dan Flavin inspirierte Cover: Dass nämlich Paul McCartney für die Musik lebt, dass er einer der begnadesten lebenden Songwriter auf diesem Planeten ist, dass er zwischen diesen Röhrenverstärkern, Kondensatormikrophonen und hunderten Metern Kabel daheim ist. Das große Statement ist „New“ nur nicht geworden. Zu sehr fransen die Ansätze der vier Produzenten aus. Auch wenn man sich kaum etwas vorstellen kann, was man mit 71 Jahren lieber machen wollen würde als so ein Album.

"New" von Paul McCartney ist soeben erschienen.

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