Ja, Panik sind jetzt zu dritt. Ihr zweites Debüt geht nach einem Abstecher über Madagaskar an die Eingeweide einer anderen, besseren Welt, die zwar eben nicht möglich ist, nun aber süß und verlockend klingt.
Kann man ACAB überhaupt zärtlicher hauchen? Der neue Ton der Gruppe Ja, Panik klingt außergewöhnlich. Gleich der Titelsong ist ein Gospel, die Stimme weicher, sie will dahin zurück wo es nach vorne geht, ein federnder Synth, ein gelöster Rhythmus, die Nations werden abgeschafft. Eine Welt. Eine Liebe. So kannte man das noch nicht. Ja, Panik, das waren doch die singenden Querköpfe, für die man seinen Foucault und Benjamin und seine Cultural Studies gelesen haben musste, um hinterher zu bemerken, dass man bei ihnen auch damit nicht weiterkommt. Angst, Money & being kaputt waren früher ihre Themen, die dauernd in immer großartigere Zeilen gegossen wurden. Mit »DMD KIU LIDT« hatte die Band den vielleicht besten Song einer deutschsprachigen Band der letzten 20 Jahre geschrieben. Ein Ungetüm, fast eine Viertelstunde lang, Scheitern in allen Schattierungen, ausgekotzt, auf allerhöchstem Niveau.
Dieser kühle, defekte, manchmal fast zynische Ton ist nun verschwunden. Nein, ACAB kann man nicht zärtlicher hauchen. Auch wenn die Band andere Fährten legt, ist das natürlich immer noch die Kurzform von All Cops Are Bastards, die in Berlin, Wien oder Birmingham überall an Häuserwände gesprüht wird, gegen den Scheiß-Apparat. Später singen sie über ein gefühliges Tenorsaxofon – dieses Instrument, das in endlosen Fahrstuhl- und Wartehallenschleifen zum Sound des Konsums schlechthin wurde – von den 20ern als großer Falle, in die es hineingeht mit Karacho. Wer also geglaubt hat, Ja, Panik klingen auf ihrem fünften Album milder und gefälliger, liegt falsch. Eher sind sie heute nur noch vielschichtiger.
Keep On Keeping On
Man braucht sich nichts vormachen. Andreas Spechtl sagt das im Lauf des Interviews immer wieder. Ja, Panik sind weiter unnachgiebig. Trotz des helleren, weicheren Sounds, der klareren Texte, auch wenn sie nur mehr zu dritt sind. Beim ersten Interview zu ihrem jüngsten Album sind sie erstaunlicherweise noch nicht auf die Frage vorbereitet, warum das so ist, warum die anderen beiden weg sind. Es hat jedenfalls die Chemie in der Gruppe verändert. Aufbruch also. Das Sprungbrett dafür heißt Libertatia.
Dieser Ort lag an der nördlichen Spitze Madagaskars, ganz in der Nähe von Somalia, war eine parlamentarische Republik, gegründet von Freibeutern am Ende des 17. Jahrhunderts, in der geraubtes Eigentum allen gehörte und Menschen aller Geschlechter und Hautfarben ein ganzes Jahrhundert vor der französischen Revolution gleichberechtigt lebten. Nach cirka 25 Jahren wurde Libertatia von einer Flotte der Franzosen niedergemacht. Ob es wirklich existiert hat, ist umstritten, aber auch gar nicht wichtig. Denn Musik muss das sowieso nicht, Auswege anbieten, oder konkret werden. Meistens verliert sie dadurch sogar. Die Texte von Ja, Panik sind auch immer schöne Poesie, sagt auch Andreas Spechtl. Immer wieder handeln die neuen Songs von Liebe, von zwei Menschen und all den anderen. Und dann wieder tun sie es blitzartig nicht.
In »Au Revoir« singt Spechtl noch über sanft funkelnden Gitarren, dass du schlafen kannst, während ich fahre, entdeckt aber kurz davor seinen inneren Jakobiner, also einen jener Typen, die die grandiosen Vorsätze der französischen Revolution in Terror und Willkür verwandelt haben. Man darf sich eben nichts vormachen. Auch heute sieht man das, ganz egal ob Occupy, Arabischer Frühling oder die Unruhen in London, Paris, Athen, Istanbul und Stockholm – immer drohen Aufstände und Hoffnungen zu kippen.
Die Menschen sind böse und niederträchtig
Am Ende sind es ja immer die Menschen selbst, an denen die Utopien scheitern. Nur ganz selten kommt jemand wie Montesquieu oder Rousseau daher, der frech erkennt, dass Menschen grundsätzlich böse und niederträchtig sind und sich deshalb staatliche Ordnungsprinzipien ausdenkt, wie etwa Gewaltenteilung oder Gesellschaftsvertrag, um die Menschen in ihrem eigenen Interesse zu überlisten. Bei Ja, Panik sind die Menschen nicht viel besser, hier ist es ein poetischer Ort, von dem aus es wieder nach vorne gehen soll. Im letzten Song »Antananarivo« greifen sie diesen Gedanken wieder auf, spinnen ihn zum Abschluss weiter wie zu einem utopischen Klartraum. Hier singt Spechtl von einer anderen Stadt, einem anderen Leben, und tatsächlich auch von einem geheimen Kapitel im Buch der Liebe, das mit Jean Jaques Rousseau und Henri de Saint-Simon verfasst wird, zwei der wichtigeren politischen Autoren der Neuzeit. Deutlicher wird er nicht, muss er nicht.
Ja, Panik schreiben nun zweifelsohne fantastische Songs, sowohl musikalisch wie auch textlich, aber das tun viele Bands. Es ist ihre Sensibilität für die kolossalen Ungleichgewichte unserer Gegenwart, für die weltweiten Verwerfungen der Immobilien- und Finanzkrise, und wie diese laufend in unseren Alltag eindringen und ihn vergiften, die sie wohl erst zu dieser herausragenden Band macht. Ja, Panik bringen sie tatsächlich zum Tanzen, die Sadness und die Staatsfinanzen. Ganz uneingebildet, ganz zart. Man fühlt sich bei ihnen zum ersten Mal an das Style Council erinnert, an Scritti Politti, oder auch an Destroyer. Grausliche Pillen werden in süße Watte verpackt, in hübsche, wolkige Lieder. Immer lauert da der Vorwurf, es zu ernst mit dem Pop zu nehmen, ihn in ein Klassenzimmer verwandeln zu wollen. Mag sein. Hier geht er aber ins Leere. Das Geflecht schlauer Referenzen wurde deutlich aufgelockert, das Trio will raus aus der Isolation und sich verständlich machen.
Libertatia, ein Rettungspaket
Auf dem relativ kurzen Album sitzt nun nicht jeder Song perfekt, da eine Stimmung, eine Abmischung oder ein Reim. Früher waren diese Fehler Teil der Band. Jetzt fallen sie, wo der Rest polierter ist, stärker auf. Geblieben ist der Mischmasch aus Deutsch und Englisch wie schon beim ewigen Vorbild Falco, geblieben sind die Zeilen, die man sich ins Fleisch ritzen will und Ja, Panik bleiben auch die derzeit relevanteste Band zwischen Genf, Kiel und Eisenstadt. Ihr Album »Libertatia« ist wie ein Rettungspaket. Es geht gleichzeitig an die Wurzeln des modernen Europas, an fantastische Orte, Gefühle und Gedanken. Das muss man erst einmal so locker zum Singen und Swingen bekommen können.
»Libertatia« von Ja, Panik erscheint am 31. Januar via Staatsakt. Ja, Panik präsentieren ihr Album live am 25. Jänner beim FM4-Fest in der Ottakringer Brauerei. Weiter zum Interview über Bob Marley, The Beach, Manifeste und Staatsfinanzen.