„Die ganze Welt ist eine Bühne.“ Die (de)konstruktivistischen Theoretiker der letzten Jahrzehnte würden Shakespeare wohl beipflichten. Sind wir alle also nichts als Schauspieler, selbst in unseren emotionalsten Momenten? Wer bin ich und wenn ja wie viele, oder so?
Gehen wir davon aus, daß jeder Mensch unterschiedliche Rollen spielt, in der Arbeit, zuhause, in der Beziehung. Je nach zu erfüllender Funktion passt man sich an, Übergänge fließend. Das Theater ist ein Ort, an dem die Grenze zwischen Spiel und Realität, zwischen Schein und Sein ganz deutlich gezogen werden kann. Könnte man zumindest annehmen.
Eine Frau namens Vanda
Der Clou bei Roman Polanskis neuem Film: er hebelt diese Grenze einfach aus. „Venus im Pelz“ basiert auf dem gleichnamigen Broadwaystück von David Ives, welches wiederum eine Adaption des Romans von Leopold Masoch-Sacher aus dem Jahr 1870 ist. Ein junger, arroganter Theaterregisseur mit Machoallüren auf der Suche nach einer geeigneten Besetzung der weiblichen Hauptrolle in seinem Stück.
Just in dem Moment, als Thomas Verzweiflung über die unfähigen Bewerberinnen, die so gar nicht seinen Anforderungen genügen, am größten ist, betritt Vanda (erfrischend, unverblümt: Emmanuelle Seigner) das Theater: vorlaut, plump, bedürftig und nervtötend naiv – sie ist der Inbegriff seines Albtraums. Entnervt lässt er sich zu einem letzten Vorsprechen überreden und nicht nur der Zuschauer, sondern auch er selbst wird vom Fortgang der Handlung überrascht. Unvermeidlich begibt sich das Publikum zusammen mit Thomas in einen Strudel, in dem die Handlungsstränge von Realität und Fantasie so ineinander übergehen, dass sie nicht mehr entworren werden können. Irgendwo in diesem Prozeß fliegt Thomas Machonummer als eine schlechte Attrappe auf und offenbart ihn in seiner ganzen Unbeholfenheit. Die Beziehung der beiden Protagonisten ändert sich gravierend.
Das Hauptmotiv der sexuellen Unterwerfung tritt immer stärker in den Vordergrund. Nur wer unterwirft hier eigentlich wen? Ein gefährliches Pflaster, gerade im Hinblick auf die umstrittene sexuelle Vergangenheit des Regisseurs. Und tatsächlich gibt es Momente, in dem der Zuschauer kurz befürchtet in einer (stilvolleren) Adaption von "Shades of Grey" gelandet zu sein. Doch es wäre auch nicht Polanski, würde der Spieß nicht noch einmal umgedreht. Die Kehrtwende der Machtverhältnisse schleicht sich dabei so still und leise heran, daß der Zuschauer sie erst in dem Moment richtig begreift, in dem sie schon vollzogen ist. Polanski spielt mit sexistischen Stereotypen und zimmert daraus ein Manifest gegen den Sexismus, daß erst zum Schluß wirklich offenbar wird.
Provokation und Selbstironie
Der polnisch-französische Regisseur hält sich ganz in der Tradition seiner früheren Filme während des ganzen Films an ein „Bühnenbild“ und schafft damit eine Analogie zum Theater. Der Soundtrack, der immer nur in den Spannungsmomenten zum Einsatz kommt, untermalt die Handlung passend, wenn auch nicht besonders originell, ansonsten vertraut Polanski auf die Ausdruckskraft der Schauspieler und ihrer Interaktion.
Und diese tragen das Kammerspiel, in dem die Dialoge manchmal fast anstrengend überreizt werden, dennoch mühelos. Die scheinbar so differenten, aus verschiedensten Milieus kommenden Charaktere, jeder auf seine Art derbe, die hier auf skurrilste Art und Weise aufeinander prallen, sind verantwortlich für die Situationskomik, von der dieser Film lebt. Überspitzt aber treffsicher erzählt Polanski von Masken, die wir tragen, und Rollen, die wir spielen. Ist diese Verfilmung jetzt ein kluger Schachzug seitens des Regisseurs, reine Provokation oder einfach nur Selbstironie? Von allem ein bisschen.
"Venus im Pelz" von Roman Polanski ist bereits in den Kinos angelaufen.