Eine Art Gespenstergeschichte: In seinem zweiten Roman erweist sich Alfred Goubran einmal mehr als Stilist ohne Gnade. Erstmals bekennt er sich auch zur dunklen Romantik.
Nach zwei Seiten schon sind drei Personen eingeführt. Von Zweien vermutet man gleich, womöglich in Folge nichts mehr zu hören, doch fragt man sich, wer dieser mit allen Wassern gewaschene Ich-Erzähler ist. Ein Scheiß-mir-nix, der – man ahnt es – scheitern wird. So wie jedes Leben, selbst das wahrhaftigste, am Ende zum Scheitern verdammt ist. Alfred Goubran, als Autor nicht gerade für Erbauungsprosa bekannt, nimmt uns mit auf eine intensive Reise »Durch die Zeit in meinem Zimmer«: Nachdem er die Schule geschmissen hat, bricht Elias aus der Gesellschaft aus. An ihren Rändern, dort wo sich die Drop-outs respektieren, Nutten und Säufer einander achten und in Ruhe lassen, sucht er nach Wildnis und ungesichertem, echten Leben. Zurück lässt er die Komfortzone eines von »Erinnerungsimplantaten« gestützten Alltags, die »Zimmer unserer Gewohnheiten«.
Wie schon das 2010 erschienene »Aus.« ist auch Goubrans zweiter Roman ein höchst artifizielles Konstrukt: ein Gedanken- und Kammerspiel, dessen Dialog eigentlich ein Monolog im Fiebertraum darstellt, dem immer wieder Blicke aus der Außensicht gegenübergestellt werden. Das Zimmer, in dem Elias irgendwann schwer krank und ausgehungert vor sich hinfantasiert, wird dabei zu einer Art White Cube der Möglichkeiten. Das Geschehen oszilliert zwischen Fieberwelt und dem Tatsächlichen, zwischen Erinnerung und Krankheit, zwischen Gegenwart und Hungerwahn. Auch wenn sich diese Welten rein formal durch Kursivsetzungen voneinander abheben: Vor dem Auge des Lesers verschwimmen sie irgendwann. Raum und Zeit verlieren weitgehend an Bedeutung, gerade weil sie – auch Elias selbst, der immer auf die Uhr blickt – Halt geben könnten. Elias, der auf der Flucht vor Trübnis und Dämmerung ganz im aufklärerischen Sinn nach dem Licht strebt, wird wie in einem Strudel in ein schwarzes Loch gezogen. Auf seiner Reise ans Meer strandet er gleich nach der Grenze im Schneechaos und landet schließlich in einem fast märchenhaften »Schwarzen Schloss«. Einmal mehr erweist sich der Autor und Liedermacher Goubran als Neoromantiker.
Bezüge stellt er nicht nur zu seinem eigenen Werk her (wenn etwa das Alter Ego des Autors, der Dichter Aumeier, als Übersetzer eines von Elias gelesenen Buches auftaucht). Auch Goubrans eigene Arbeit als Übersetzer wird referenziert: Vor bald zehn Jahren hat Goubran Charlotte Perkins Gilmans wunderbares Büchlein »Die gelbe Tapete« übersetzt und damals noch in dem von ihm betriebenen Kleinverlag herausgebracht. In der feministisch rezipierten Gothic Short Story wird eine depressive Frau von ihrem Ehemann in ihrem Zimmer gefangen gehalten und wahnsinnig. Die gelbe Tapete ihres Zimmers entwickelt beim permanenten Betrachten ein gespenstisches Eigenleben. In eine ähnliche Schattenwelt verweist auch ein anonymes Graffiti – »Schnee ist das Blut der Geister« – das Goubran seinem neuen Roman als Zitat vorangestellt hat. Seinem Stil bleibt er darin, gewohnt diszipliniert und poetisch präzise, treu. Mit eigentümlichen, starken Bildern, klugen Sinnsprüchen und Abschweifungen, in denen aus Beobachtungen Allgemeines abgeleitet wird. So ist Goubran abermals ein Buch gelungen, das man so schnell nicht vergessen wird.
Bleibt zuletzt das Buchcover zu erwähnen. Es wurde, das ist trotz des knappen Strichs sofort erkennbar, einmal mehr vom Zeichner Nicolas Mahler gestaltet und ist die perfekte visuelle Entsprechung zu dem von Goubran literarisch aufgemachten Möglichkeitsraum.