Was ist das Böse? Warum morden Menschen oder erschiessen andere, weil sie eine andere Religion haben? Stefan Ruzowitzky geht diesen Fragen in seinem neuesten Film nach. Wir haben ihn und Patrick Pulsinger, der die Musik gemacht hat, interviewt.
Seit letzter Woche läuft Stefan Ruzowitzky’s Dokumentarfilm „Das Radikal Böse“, in welchem anhand der Erschießungen von Juden in Osteuropa im Zweiten Weltkrieg der Frage nachgegangen wird, wie aus Männern als Soldaten Mörder werden. Entlang von Interviews mit namhaften Personen ihres Fachs, filmischen Dokumenten der damaligen Zeit, der Nachzeichnung von Experimenten und mit semidokumentarischen Szenen, welche die aus dem Off gesprochenen Passagen der Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und Gerichtsprotokolle der Soldaten ergänzen – finden sich schrittweise Antworten, die einen nicht vergessen lassen, dass der Mensch nicht nur im Guten Geschichte geschrieben hat und schreibt.
In einem Q&A geben Stefan Ruzowitzky und Patrick Pulsinger getrennt voneinander Einblicke in ihre Auseinandersetzung mit dem Bösen und der Arbeit zum Film.
Als ich daheim von Ihrem neuen Dokumentarfilm erzählt habe, hat mich mein neunjähriger Neffe gefragt, was denn das radikal Böse sei und was das für Menschen sind, die so etwas tun. Wie würden Sie einem Kind antworten?
Stefan Ruzowitzky: Vielleicht sollte man für den Neunjährigen mit Hannah Arendts Definition beginnen: Es gibt Dinge, die so böse sind, dass wir anderen nicht einfach daran vorbeigehen dürfen, ohne etwas zu sagen.
Sie selbst sagten in anderen Interviews, dass Sie bereits seit "Die Fälscher" an der Thematik recherchieren. Wie hat sich die Spurensuche für Sie entwickelt?
Derselbe Prozess wie bei einem Spielfilm: man hat ein genaues Konzept und lässt sich dann auch überraschen, was passiert, bleibt flexibel, ohne sein gedankliches Ziel aus den Augen zu lassen.
Im Film geht es vor allem um die Soldaten und deren Gedanken über ihre Taten. Sind Sie in Ihren Recherchen auch auf Antworten bzw. Reaktionen der Frauen gestoßen?
Nein. Diese Art von Genozid scheint tatsächlich etwas Männliches zu sein. Von KZ-Wächterinnen wissen wir aber, dass Frauen in Brutalität und Bosheit Männern prinzipiell in nichts nachstehen.
Der Film kommuniziert auf gewisse Weise, dass böse Taten nicht grundsätzlich von Menschen verübt werden, die von Grund auf böse sind, sondern das Böse in einem Menschen evoziert werden kann. Meinen Sie, ist jeder Mensch grundsätzlich böse und es ist lediglich eine Entscheidung desselben für oder gegen das Böse?
Jeder Mensch hat ein Potential, das sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln kann. Bei Genoziden ist charakteristisch, dass es aber einen politischen Willen gibt, politische Ideologien, Gruppierungen, die "normale" Menschen dazu bringen, das schlechteste in sich hervorzukehren.
Was glauben Sie ist das Böse?
An das Böse als Höllenmacht im religiösen Sinn mag ich nicht so recht glauben. Das Böse ist vom Menschen gemacht und kann daher auch bekämpft werden. Nicht durch beten, sondern durch politisches Engagement.
Auf Hannah Arendts Definition rekurrierend, die das radikal Böse als etwas, womit man sich nicht versöhnen könne und es unter keinen Umständen akzeptieren kann, versteht: Wie weit denken sie kann man sich mit der Geschichte versöhnen?
Mit einem Genozid dieser Dimension kann und soll man sich nicht "versöhnen". Den Opfern schuldet man, dass man sie nicht vergisst und dass man analysiert, was passiert ist, um Ähnliches für die Zukunft zu verhindern.
Sind Sie auf interessante Aspekte innerhalb ihrer Recherche gestoßen, die Sie leider nicht im Film berücksichtigen konnten?
So viele, dass auch hier nicht dafür Platz ist!
Wie war Ihr Geschichtsunterricht in der Schule?
Wir wurden im Geschichtsunterricht sehr wohl über den Nationalsozialismus unterrichtet, allerdings immer unter der Prämisse, dass Österreich Opfer und nicht Mittäter war.
Wieso haben Sie sich bei der musikalischen Untermalung für Patrick Pulsinger entschieden und wie war die Zusammenarbeit für Sie?
Die Musik drückt das Richtige aus, das Maschinelle, das Technisierte, aber auch das Rauschhafte, in das die Mörder nach einiger Zeit geraten. Patrick kenne ich seit ewigen Zeiten – privat und bei der Arbeit ein extrem angenehmer, unprätentiöser Mensch.
Kürzlich wurde bestätigt, dass Sie die Regie bei einem Historienfilm über das Leben Russlands letzter Zarenfamilie übernehmen?
Wie immer: nicht alles glauben, was in der Zeitung steht!
"Das radikal Böse" von Stefan Ruzowitzky läuft derzeit im Kino.
Hier bitte weiter zum Interview mit Patrick Pulsinger, der für die Musik im film verantwortlich zeichnet.