Die Pflege kultureller Traditionen ist im kulturgeschichtsträchtigen Luftkurort Reichenau an der Rax seit jeher ein wichtiges Thema. Nicht nur in Zeiten der Sommerfrische. Seit sieben Jahren wird in der Reichenauer Schlossgärtnerei zudem auch die literarische Salonkultur gepflegt: mit dem Wartholzer Literaturwettbewerb.
Mitte Februar ziehen sich vier Juroren, zwölf Autoren und interessiertes Publikum in den literarischen Elfenbeinturm zurück. Genauer gesagt schart man sich in einem malerischen Pavillon der Schlossgärtnerei Wartholz. Dort trifft sich am Kamin und lauscht einer engen Auswahl an Gegenwartsliteratur.
Wettgelesen wird um den mit 10.000 Euro dotierten Literaturpreis Wartholz. Dazu gibt es aber auch noch einen Publikums- und ein Newcomer-Preis mit je 2.000 Euro. Erstmals wird heuer außerdem der Preis der Bader-Waissnix-Stiftung vergeben. Zudem debütieren auch fünf Studenten der Sprachkunst mit ihren literarischen Arbeiten. Auf die Juroren Klaus Nüchtern (Falter), Stefan Gmünder (Der Standard), Ina Hartwig (Literaturkritikerin und Autorin) und Ruth Beckermann (Filmemacherin und Autorin) traf eine Vorauswahl aus 686 Einsendungen.
Die Elite, die sich aus einer Gesamtzahl herauskristallisierte, deckte ein breites Spektrum der Prosa ab. Einzig Max Czollek hält die Lyrikfahne hoch. Obwohl dabei sein neuer Zugang begeistert, ist sein collagenartiger Beitrag der Jury zu reich an Querverweisen, die merkwürdig rückwärtsgewandt mit konnotierten Begriffen umgehen. Czollek baut Verweise an Ingeborg Bachmann, Matthias Claudius, Paul Celan u.a. ein und tritt mit ungewohntem Ernst an Themen heran, die Generationen vor ihm beschäftigten. Auch ein weiterer Text knüpft an eine traditionelle Schriftstellerkoryphäe an: Hinrich von Haaren lässt ein altes zerrüttetes Ehepaar auf Reinigungspilgerfahrt zum Sterbezimmer Tschechows fahren. Andreas Thamm liest darauf hin eine unsentimentale Pubertätsgeschichte zur Rassismus- und Asylthematik. Sprachlich hebt er sich im Vergleich zu seinen Vorgängern durch den lakonischen Tonfall des Jugendjargons ab. Zwei weitere Geschichten stehen an der Kippe zur Jugendliteratur. In beiden spielt Geschwisterbeziehung eine Rolle.
Wartholz Newcomerpreis
Die Schweizerin Simone Lappert gewinnt mit einer Geschichte geschwisterlicher Solidarität den Newcomerpreis. Fest verankert in konkreter Alltäglichkeit vermittelt „Blaumachtage“ einen Eindruck davon, dass eine Ausnahmesituation nicht in die Katastrophe münden muss, und funktionierende Beziehungen mehr Instabilität ertragen, als man ihnen gemeinhin zutraut. Völlig aus der Kinderperspektive schildert der Hamburger Stefan Beuse langsam eine banale Situation, die sich um das wachsende Verständnis des großen Bruders rankt. Die heile Welt in Kinderherzen findet sich ebenfalls im adrett erzählten Märchen vom zwanzigjährigen Nesthäkchen Ann-Sophie Reitz.
Als starker Kontrast auf dieses naiv altertümliche Märchen liest nach ihr Verena Mermer. Sie verkehrt das verklärte Idyll vom Auslandssemester in eine sehr plastische Depression im grauen Plattenbau eines ehemaligen Ostblockstaats. Sie ist die einzige Frau im Trio Österreich. Der Kärntner Franz Miklautz weist eine große Beobachtungsgabe auf. Er liest über eine bäuerliche Welt in Kärnten und taucht diese in schwarze Folklore und Urin.
Sitzordnung ändern
Wie wichtig eine durchgemischte Juryzusammenstellung bei einem gesamtdeutschsprachigen Wettbewerb ist, zeigen speziell die Texte von Adi Traar und Christian Ritter. Was die Norddeutschen als österreichischen Charme vom Grazer Traar erfreut, empfindet der österreichische Teil der Jury als trockenes Beamtendeutsch. Hingegen schätzen diese den Poetry-Slam-Humor von Ritter, den die aus Hamburg stammende Jurorin Ina Hartwig als “Berliner Wanderbühne” abtut. Als der moderate Stefan Gmünder vom Standard scherzhaft fürchtet der humorlose Schweizer zwischen dem linken und rechten Rand zu werden, beschließt die Jury, die Sitzordnung zu ändern.
Bei Stefan Groetzner ist man sich dann aber einig. Sein Stück [R], ein Auszug aus einem Werk über „Tote Russen“ wird ausgezeichnet für seine absurde, poetische, witzige und zugleich schwermütige Art. Russische Literatur- und insbesondere Musikgeschichte rund um Rachmaninows bilden das Hauptmotiv eines traumlogischen und assoziativ ausgestalteten Märchens. Überhaupt sind surreale Texte klar im Vorteil. Zwei davon beenden den Textreigen am 7. Wartholzer Literaturwettbewerbs. Neben dem doppelten Preisträger Stephan Groetzner (er erhält auch den Publikumspreis) gibt der Grazer Markus Orths eine surreale Parabel zum Besten.
Obwohl die zwölf Texte der vierköpfige Jury gelegentlich etwas zu putzig, zu betulich, zu hochgetuned oder zu unverständlich erscheinen, profitieren insgesamt alle Teilnehmer von der konstruktiven ungezwungenen Kritik des familiären Wettbewerbs und überhaupt findet hier Jammern auf hohem Niveau statt.