Gewinsel in der Hundezone

Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist in einer sich wandelnden

Medienwirklichkeit neu zu verhandeln. Tragisch, dass der ORF dabei derart in die Defensive geraten konnte und seinem politischen Herrn bloß noch devot die Kehle hinhält. Konsequenterweise hat dieser den Köter jetzt kastriert.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Die Futurezone des ORF ist nun also Geschichte. Die davor auch im Internet höchst potente Sendeanstalt darf auf ihrem Portal künftig keinen Zukunftsthemen – Kanal mehr betreiben. Handfestes Motiv dieses destruktiven Akts ist, wen wundert’s, ein sich gestört fühlender Markt. Die Berichterstattung zu Themen der Innovation, IT und digitalem Alltag aus der geschützten Werkstätte des ORF heraus würde, so das Argument, den Wettbewerb verzerren und die privatwirtschaftlich auf eigenes Risiko agierenden Medienunternehmen benachteiligen. Die Privatmedien wollen am schicken Werbeumfeld »Tech« mitnaschen. Weshalb schließlich die parteipolitisch motivierten Gesetzgeber das Messer ansetzten – und den ORF online gleich ganz kastrierten.

Zwar darf die Sendeanstalt hierzulande immer noch deutlich mehr als die vergleichbaren Institutionen in Deutschland. Diese haben sich im Wesentlichen darauf zu beschränken, ihr TV – und Radioprogramm mit News zu flankieren. Doch der ORF, einstmals wegweisend im Web, ist durch das neue ORF-Gesetz auf Dauer beschnitten und beschränkt. Dass das mutwillige Zerstören einer funktionierenden Plattform wie der Futurezone definitiv auch dem IT – Standort und dem einschlägigen Diskurs des Landes schadet, weil dahinter auch eine aktive Community, eine kritische Masse stand, hat keinen der Entscheidungsträger interessiert. Wohl auch, weil keinem der Befugten die weit reichende Relevanz vieler dort diskutierten Themen bewusst ist. Damit hat sich die vereinigte Verleger – Lobby, die sich in ihrem ökonomischen Gebaren durch die öffentlich – rechtlichen Netzaktivitäten gefährdet behauptete, durchgesetzt. Jetzt wird man sich wieder daran machen, von den Redaktionsstuben aus auf den ORF zu schießen. Die fröhliche Jagdgesellschaft bläst wieder zum Halali. Ihr Ziel ist die größtmögliche Schwächung des Gegenübers und eine Heimkehr mit fetter Beute. Jedes der großen Medienunternehmen würde sich gerne die lukrativen Teile aus dem Kadaver herausreißen.

Eine kleine gedankliche Auflockerungsübung zwischendurch. Jeder stellt sich selbst die Frage: Wann habe ich das letzte Mal etwas Positives über den ORF gehört?

– Kurze Nachdenkpause.

– Na? Wird vermutlich länger her sein.

Es ist in der Bevölkerung opportun, auf und über den ORF zu schimpfen, der es, per definitionem, möglichst allen und jedem Recht machen muss. In der eigenen Branche – also in der Medienwelt – ist dieses Schimpfen auf alles, was irgendwie im Entferntesten mit dem ORF zu tun hat, fast immer opportunistisch und auf den Eigennutzen bedacht. Dieses populäre und populistische Phalanx hat stimmungstechnisch eine Eigendynamik hervorgebracht, die ihresgleichen sucht. Würde man – als kritischer Konsument wie als Branchenbeobachter – nicht immer wieder Gegenteiliges beobachten, man müsste sich den ORF vorstellen wie den realsozialistischen Apparat in den letzten Zügen der DDR: Kurz vor dem Kollaps, ineffizient und außerdem vollkommen an den Bedürfnissen der Menschen vorbei produzierend. Im Detail mag das vielleicht der Fall sein. Strukturen und Personal haben sich im freien Markt einer veränderten Medienwelt anzupassen. Und abseits des Marktes, wo sich der ORF – teilweise – bewegt, haben sie halt angepasst zu werden. Dennoch wird de facto verschwiegen, dass der ORF in seiner Bandbreite und Vielfalt seinen Auftrag größtenteils schlicht und einfach sehr gut erfüllt. Das wird stets als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Kritik, sofern sie ernstzunehmend ist, konzentriert sich darauf, was den eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen nicht passt. Das mag ein legitimer Standpunkt für den einzelnen Gebührenzahler sein. Aufs große Ganze umgelegt ist dieser allerdings kurzsichtig. Denn kritisiert wird, dass das Programm zu wenig kulturell ist. Dass der ORF intelligente Fernsehserien zu spät importiert, gleichzeitig zu wenig vielleicht gar Exportfähiges co-produziert. Verlangt wird nicht weniger als die eierlegende Wollmilchsau. Doch maximale Breite bei gleichzeitiger maximaler Tiefe und Avanciertheit gehen nicht zusammen. Ein von allen Seiten geschlagener Hund war der ORF wohl Zeit seiner Existenz. Einzigartig in der momentanen Situation ist allerdings, dass er in einer paralysierten und beinahe schon depressiv machenden Schockstarre verharrt. Kein Knurren. Kein Bellen. Kein Beißen. Geschunden und gebrochen ergibt er sich seinem Herrn – der Politik. Der tritt ihn, um es – selbst ehrergebenst und devot – Dritten Recht zu machen. Helfen könnte vermutlich einzig, würde man den ORF aus der letztlich nicht selbst verschuldeten Unmündigkeit befreien: der Bürde, sich einen Teil seines Budgets auf dem freien Markt verdienen zu müssen, auf diesem aber eben nicht all jene Freiheiten zu haben, welche die Konkurrenz zu nutzen weiß. Das würde der Allgemeinheit zwar etwas mehr kosten, aber letztlich geht es um die Frage, wovon er sich ernähren soll – von Fisch oder von Fleisch. Ob der Köter gegenüber Werbern und Geldgebern den Schwanz einzieht, oder ob wir es uns Wert sind, einen demokratischen Wachhund zu halten.

Deshalb: Geben Sie Werbefreiheit, Sir!

Thomas Weber, Herausgeber

weber@thegap.at

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...