Vieles nur geklaut

Die beiden Pioniere der Netzkunst Eva und Franco Mattes – 0100101110101101.org – unterwandern digitales Eigentum und reale Verantwortung.

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Wenn sie nicht gerade die Welt der Symbole auf den Kopf stellen, hängen Eva und Franco Mattes a.k.a. 0100101110101101.org gerne im Web 2.0 ab; Franco zuletzt im wahrsten Sinn des Wortes. Im Rahmen der Performance „NO fun“ von Anfang 2010, die das Prädikat „banned from Youtube“ ziert, richtete er eine Webcam auf sich, wie er erhängt in einem Wohnzimmer baumelte. Über die Random-Chatplattform „Chatroulette“ sahen Tausende den vorgetäuschten Selbstmord und amüsierten sich, waren entsetzt, machten Handyfotos, … und wurden dabei aufgezeichnet. Franco Mattes meinte über das eigene Werk: „Since we live online, than we should get used to die online.“ Mit solchen Aktionen pendeln die beiden in Brooklyn arbeitenden Italiener zwischen Reaktionen, die ihnen schlechten Geschmack attestieren, oder das rechte Maß an Frechheit, um über die Internetnutzung zu reflektieren.

„Freie Liebe“ auf Vatican.org

Thematisch würden sie Dinge interessieren, die sie nicht mögen. Deshalb haben sie sich unter anderem den Vatikan vorgenommen. Die Aktion fand schon 1998 statt und ist damit Teil des Online-Mittelalters; und wird immer noch gerne erinnert. Eva und Franco Mattes kopierten die komplette Webiste von vatican.va und transferierten sie auf vatican.org. Anschließend änderten sie schrittweise die kirchenstaatlichen Texte ein wenig in der Aussage. So war zu lesen, dass Freie Liebe nun in Ordnung sei, der Drogenkonsum legalisiert werden sollte und Abtreibung zu den Menschenrechten gehöre. Auch konnte man per e-mail zur Absolution gelangen. Neben der humoristischen Komponente wurde hier auch ein Diebstahl begangen – nicht so sehr von Daten, denn die würde jeder Besucher von vatican.va auf seinen PC kopieren, als vielmehr von Aufmerksamkeit. Denn während die Fake-Vatican-Seite ein Jahr unentdeckt blieb, besuchten 200.000 Besucher die veränderte Doppelgängerseite und konsumierten damit andere Informationen. Die Aktion endete, als die Domain „vatican.org“ von den Künstlern nicht mehr verlängert werden konnte und auf wunderliche Weise an eine kirchliche Organisation ging.

Nikeplatz in Wien

Ein paar Jahre später wurde die Kunst von Eva und Franco Mattes haptisch; zum Entsetzen mancher Wiener und Wienerinnen. Im September 2003 machte die Meldung die Runde, dass der Multi Nike den Karlsplatz in Nikeplatz umbenennen würde – ermöglicht durch die Stadt Wien, die ihr symbolisches Kapital versilbert habe. Eine Infobox am Karlsplatz informierte Passanten über das noch kommende 36×18 Meter große Monument in Form des ‚Swoosh‘-Logos von Nike. Sofort reagierten der Konzern und die Stadt Wien und stellten klar, dass es sich dabei um einen derben Scherz handle. Die spontane Entsetztheit könnte auch als Eingeständnis für einen oftmals leichtfertigen Umgang mit symbolischem Allgemeingut gewertet werden. Nike forderte die Urheber auf, die durch Copyright geschützten Zeichen zu entfernen. 0100101110101101.org reagierte darauf mit Ironie: „I expected to deal with sporting people, not a bunch of boring lawyers!”

Copyright = Wissen wie Kopieren

Vorhandenes wird gesamplet und in neue Zusammenhänge gebracht. Mit dieser Herangehensweise haben Eva und Franco Mattes nicht nur die symbolische Ökonomie verunsichert, sondern auch Teile der Kunstwelt. Die Vatikanseite war nicht die erste „geklonte“ Seite. Zuvor kopierten sie die passwortgeschützte Netzkunst-Seite hell.com und machten die dortigen Werke allgemein zugänglich. Netzkunst sollte niemandem vorenthalten sein. Vergleichbar an der Grenze der Legalität lag auch das Werk „FTPermutations“ anlässlich des ersten Korea Web Art Festivals. Die Arbeit bestand darin, dass über den ftp-Zugang die Werke der anderen Künstler umbenannt wurden, weshalb die Verlinkungen zu anderen Zielen führten. Dadurch wurden die Werke falschen Urhebern zugewiesen. Das erste Ergebnis war Konfusion, dann wurde entdeckt, dass es ein Kunstbeitrag sei, was der koreanische Kulturminister allerdings so nicht sah und deshalb den Kurator feuerte. Damit entstand eine handfeste Konsequenz, die zu kontroversiellen Reaktionen innerhalb der Teilnehmer führten und auch berechtigt die Frage nach der Verantwortung der Kunst stellten.

Oft sind Eva und Franco Mattes nicht zimperlich in der Wahl der Vorgehensweise und der offene Zynismus verführt zum Hinschauen. Schnell sind provokante Arbeiten gut für eine Headline. Wie der anlässlich der 49. Biennale in Venedig programmierte Computervirus namens „Biennale.py”, der grundsätzlich harmlos war. Er kopierte sich einfach an den Code von in Phyton geschriebenen Programmen. Doch als der Virus anlässlich der Eröffnung der Biennale freigesetzt wurde, zog die Nachricht als „Hilfe Virus!“ ihre Kreise in den Medien; und verweist damit auf das Hysteriepotential mancher Begriffe und die Steuerbarkeit der Massen(medien). Irgendwie gelingt es den beiden Künstlern immer wieder sich in der Ökonomie der Aufmerksamkeit einzubringen und lassen damit Vermutungen über ihre Spielregeln zu.

Eigentlich hätten Eva und Franco Mattes Anfang September an einer Ausstellung im Kunstraum Niederösterreich teilnehmen sollen, doch wurde diese abgesagt. Aber vielleicht lassen sich die beiden davon nicht abhalten, Wien zu beehren …

0100101110101101.org

Zu den Bildern (kopiert von postmastersart.com):

Eva and Franco Mattes (aka .org): Reenactment of Gilbert and George’s "The Singing Sculpture" – Synthetic performance in Second Life , 2007

"Stolen Pieces" (from Duchamp), 1995-1997: Eva with the original work

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