Interpol haben sich auf "El Pintor" wieder nicht neu erfunden und trotzdem sind sie endlich über ihr Erbe hinweggekommen. Wir sollten das vielleicht auch tun.
4 Bausteine
"Turn on the Bright Lights" kam, sah und siegte. Interpol etablierten sich vom Newcomer zum Aushängeschild für Düsternis, Coolness, Arroganz und natürlich Epizentrum sämtlicher Joy Division Analogien. Soweit sollte die Geschichte ja bekannt sein. Leider sind der mystische Schleier und das künstlich vergrößerte Ego zwölf Jahre später irgendwie fad, die Nachfolger einfach nicht genug, der Anzug von damals heute einfach zu groß. Musikalisch ist immer noch von "Obstacle 1" die Rede (ihr wisst schon, dieses eine Riff: Dada dada dada). Dass über die zehnjährige Reissue von "Bright Lights" mehr geschrieben wurde als über die letzten beiden Alben zusammen, spricht wohl Bände. Interpol ist die Band ohne Zukunft, zumindest wenn man der Musikpresse Glauben schenkt: Seit "Antics" 2004 ist kein Album mehr gut genug, das Erbe von Joy Division entehrt und "Bright Lights" unangetastet genial. Nimmt man noch Society News dazu (Carlos Denglers alten "Goth"-Look, seinen neuen "Gentleman"-Look und sein Ausstieg 2010) sind dies vier Bausteine, mit denen man jeden Text über Interpol füllen kann, ohne über die aktuelle Musik reden zu müssen.
Erbsünden
Natürlich sind die Kritiken angemessen, das Gesprochene und Geschriebene richtig. Interpol klangen niemals besser als auf ihrem Debüt und – Spoiler! – auch ihrem Fünftling "El Pintor" gelingt es nicht aus dessen Schatten zu treten, doch ist das wirklich, um was es geht? The Nationals Matt Berninger sagte in einem Interview man wisse erst dann, ob ein Album gut war, wenn das darauffolgende daran gemessen und aufgerieben wurde. Was wenn dieser Prozess nicht stattfindet? Der Vergleich statisch bleibt? Erfindet man sich nicht alle 3 Jahre auf geniale Weise neu, enttäuscht man zwangsläufig und Interpol stellt dabei kein Einzelschicksal dar. Ende der 00er Jahre ging der Post-Punk/New Wave Generation endgültig die Luft aus und die Ohren waren übersättigt. Ungleich vielen anderen machten Interpol weiter, produzierten solide Alben und konnten nie wieder überraschen. Mit jedem neuen Album und jeder neuen Enttäuschung zerbröselte die übermenschliche Fassade, welche sich mit "Bright Lights" zementiert hatte bis das schwere Erbe endgültig verblasst war. El Pintor ist nun das schnörkellose Zeugnis einer Band, die sich von sich selbst emanzipieren muss, um sich treu zu bleiben.
El Pintor – Der Maler
Vielleicht ist es deshalb warum Paul Banks uns bereits in der Debütsingle „oh, fuck the ancient ways" entgegenschmettert, begleitet von einem energischen Geflecht aus Gitarren und Percussions. Nie haben Interpol es dem Hörer so einfach gemacht, gemocht zu werden. Die statische Schwerfälligkeit und zähflüssige Getragenheit des Vorgängers weicht treibendem Midtempo Rock. Nach 12 Jahren ist das letzte Echo des koketten Grinsens aus dem Gesicht der drei New Yorker gewischt, unterschwellige Erotik und dekadentes Suhlen sind Ernst und Realität gewichen. Die Wahrheit ist, dass Interpol musikalisch niemals besser war als heute, nie haben Daniel Kesslers nervöse Gitarrenriffs sich so nahtlos mit dem restlichen Sound zusammengefügt und Paul Banks versteckt sich nicht mehr hinter monotonem Gemurmel, sondern wagt sich sogar in Richtung Falsett und Bass spielt er nebenbei jetzt auch noch. Aber auch der höchste Grad an Perfektionismus kompensiert leider nicht den Mangel an Innovation. "El Pintor" ist unverkennbar Kind seiner Väter und darin versteckt sich das Problem einer rund um guten Platte – man hat sie schon gehört. Die drei New Yorker haben gelernt sich nicht mehr hinter künstlichen Egos verstecken zu müssen, vielleicht wirds ja dann nächstes mal was mit der Neuerfindung.
El Pintor ist nicht nur spanisch für "Der Maler", sondern zufälligerweise auch Anagramm für Interpol. Die Bedeutung der sublimen Nachricht kann seit 09.09.2014 selbst nachgehört werden.