Stadtplanung und Stadtpsychologie

Da steht ein sprichwörtlicher Elefant in unserer Mitte und wartet dringend darauf, angesprochen zu werden: Ich hab Angst. Du hast Angst. Die ganze Stadt hat Angst.

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Ich hab manchmal Angst davor, allein in einer mir fremden Masse zu sein. Und zwar nicht jene Angst, die einem die Zeit in Wartezimmern noch unangenehmer erscheinen lässt, sondern jene, bei der sich der Magen flau anfühlt, man Hitzewallungen bekommt, leicht schwindelt und panisch die Flucht ergreifen will. Und ich weiß, ich bin nicht allein damit. Auch Josef Schörghofer fühlt manchmal ein plötzliches Unbehagen, wenn er auf seinem Arbeitsweg einen verwaisten Koffer im hektischen Bahnhofsgebäude sieht und als Leiter der Informationsabteilung der Psychosozialen Dienste Wien, Sozialarbeiter und Therapeut weiß er eigentlich, dass seine Furcht statistisch gesehen sehr irrational ist, aber so funktionieren Ängste auch nicht: rational.

Man muss an dieser Stelle differenzieren, denn Ängste gibt es sehr viele und über manche wird sehr viel gesprochen, zu viel vielleicht: Terror, Krise, Schuldenberg, Flüchtlingsstrom, Geburtenquote, Erderwärmung, Luftverschmutzung, etc., unsere Existenz wird permanent bedroht und scheinbar jeder Tag bietet eine neue Sorge, die uns abends den Schlaf raubt. Doch jene Ängste sind hier nicht gemeint, sondern jene, die uns plötzlich überfallen, uns erstarren und alles andere vergessen lassen und in Alarmzustand versetzen. Einen Alarmzustand, wie er notwendig war, als unsere Urahnen noch barfuß durch Urwälder gerannt sind, aber im Großstadtdschungel völlig fehl am Platz scheint. Schörghofer beschreibt Angst als »diffuse Reaktion« auf etwas nicht Vertrautes und Fremdes. Die scheinbare Bedrohung liege dabei im Unbekannten, in der »Anonymität des sozialen Umfelds«. Anonymität, wie sie in großen Ballungsräumen tagtäglich auf uns einströmt.

Zielgruppe Student oder Landei

»Ich halte es in der Stadt einfach nicht (mehr) aus … mich ekelt einfach vor allem und ich weiß, dass es oft nicht mal rational ist«, schreibt ein Innsbrucker Student nach gut einem Jahr in der Stadt. Städte sind Stressherde, man ist einer Vielzahl von Reizen ausgesetzt und durch die permanenten Wechsel von Personen und Situationen ist die »Adaption des urbanen zum sozialen Raum«, wie Schörghofer es nennt, bedeutend schwieriger als auf dem Land. Laut Forschung schützen sich Stadtbewohner unbewusst, in dem sie die einströmenden Reize besser verarbeiten können. Für Personen, denen diese natürliche Abwehr fehlt, kann die fremde Stadt jedoch schnell zum unheimlichen Zwang werden und schlummernde Ängste wie soziale Phobien, Platzangst, Agoraphobie oder auch Fremdenfeindlichkeit wecken. So sind beispielsweise Panikattacken, Einsiedlerverhalten oder Stadtflucht keine seltenen Phänomene unter Studenten, die vom Land in die große Stadt ziehen.

Doch nicht nur Reizüberflutung und Hektik machen Städte zu Angstkatalysatoren. Wo Massen aufeinandertreffen und die vertraute Umgebung ganz klein im Vergleich zum gesamten Umfeld wird, sind Angstsituationen wie vor einem verwaisten Koffer vorprogrammiert. Besonders, wenn es sich um »erlernte Ängste« handelt, wie Schörghofer die Reaktion auf die Anschläge in Paris oder die Übergriffe in Köln bezeichnet. Auch ohne direkten persönlichen Bezug können Ereignisse unser Sicherheitsgefühl tief erschüttern. Was bleibt, ist ein latentes Gefühl des Unbehagens und der Furcht, welches dem urbanen Raum seine mühevoll angeeignete vertraute Seite schlagartig abringen kann, und sie stattdessen mit Orten der Angst ersetzt. Experten sprechen von Angsträumen.

Panikraum

Angsträume in Städten sind schlichtweg nicht zu vermeiden: U-Bahn-Stationen, dunkle Ecken, Parks in der Nacht, verlassene Bürogebäude, größere Ansammlungen von Menschen, Straßenverkehr, Konzertsäle, zu viele Orte und Situationen haben das Potenzial, auf die eine oder andere Art zur Bedrohung zu werden. Zusätzlich sind Angsträume flexibel und verändern ihr Gesicht je nach Tages- und Jahreszeit. Was sie alle auszeichnet, ist das Fehlen von sozialer Kontrolle durch Bewohner der Stadt. Es sind Orte, wo das Leben nicht seinen geregelten Lauf nimmt, die deshalb von eben jenen Gestalten aufgesucht werden, die sich in ihrem Tun dem wachsamen Auge der Bevölkerung zu entziehen versuchen.

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Bild(er) © M – Eine Stadt sucht einen Mörder
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