Dass die heimische Medienblase alles außerhalb von Wien-Umgebung weitgehend ignoriert, ist in vielen Bundesländern – völlig zurecht – als "Wiener Wasserkopf" verhasst. Ein Glücksfall womöglich, dass die Neue Zürcher Zeitung ihre Umgebung seit jeher weiter fasst und nun einen Online-Feldversuch in Österreich wagt.
Jetzt hat Vorarlberg also gewählt. Davor durften wir drei Wochen lang mehr oder weniger blödsinnige Essays über "die unbekannte Vorarlberger Seele" lesen. Doch spätestens, wenn die Spekulationen über die Regierungskonstellation durch Tatsachen beendet werden, verschwindet das Ländle wieder hinter dem Arlberg. Vermutlich bis zum nächsten Wahltag dort drüben im Westen. Daran würde wohl nicht einmal eine Neuauflage von Schwarz-Blau etwas ändern (bis 2009 regierten Vorarlberger Volkspartei und Freiheitliche gemeinsam), weil eine neuerliche Beteiligung der freiheitlichen Postfaschisten dort abermals zu keiner totalitären Schreckensherrschaft führen könnte. Das Ländle lässt sich also nicht instrumentalisieren. Es taugt dem Rest des Landes nicht als Schreckgespenst. Schwarz hat halt ein bisschen verloren. Die Grünen haben unter anderem den Freiheitlichen Stimmen abgejagt. Rot ist nun noch ein wenig unbedeutender. Und sogar die Neos haben – darauf haben viele Anhänger des Establishments doch nur gewartet – endlich enttäuscht und sind in ihrem wichtigsten Wählermarkt (Vorarlberg ist immerhin die Heimat von Parteichef Strolz) weit unter dem Möglichen geblieben. Wir widmen uns also wieder dem Wichtigsten: dem Eiertanz in Wien-Umgebung.
Dass wir in der Hauptstadt uns aber schlicht nicht dafür interessieren, was in unserem westlichsten Bundesland passiert, ist durchaus tragisch. Denn von Vorarlberg könnte Österreich eine Menge lernen. Wie eine gefestigte Demokratie funktionieren kann zum Beispiel oder gelebtes Miteinander. Natürlich war und ist auch Vorarlberg nicht das Paradies auf Erden. Sogar die Kunde von Einschüchterungen durch die zuletzt absolut regierende Volkspartei hat es irgendwie gen Osten geschafft. Doch man stelle sich vor, welchen Populismus andere Landeskaiser mit der Aussicht auf den sicheren Verlust solch gewohnter Herrschaftsbequemlichkeit ausgelebt hätten. Vorarlberg könnte in vielerlei Hinsicht Vorbild sein. Und vermutlich gilt das manchmal für Tirol und Niederösterreich, für das Burgenland, für Salzburg und für Oberösterreich genauso, womöglich sogar für Kärnten. Wir sind es bloß nicht gewohnt, zu beobachten, was dort und dort und dort passiert. Dass die verzerrte Wiener Innensicht dermaßen dominiert, ist vor allem der Ignoranz der klassischen Medien, aber durchaus auch jener der 2.0-Multiplikatoren geschuldet.
Womöglich bricht nun ausgerechnet ein Medienprojekt noch weiter aus dem Westen mit dieser unrühmlichen Tradition: die für 26. Oktober angekündigte Österreich-Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung. Was genau passieren wird, darüber hält sich auch deren Vorab-Werkstatt-Blog bedeckt. Doch die Chancen stehen nicht schlecht. Neben Michael Fleischhacker, der sich in den vergangenen Jahren vor allem als kluger Blattmacher der Presse hervorgetan hat, ist es der von dort ins Team nachgeholte Journalist Georg Renner, dem ein Überwinden der Ignoranz zuzutrauen ist. Bei seinem bisherigen Arbeitgeber hatte dieser es nämlich als einziger Journalist des Landes geschafft, kontinuierlich und kritisch über das größte Bundesland, Niederösterreich, zu berichten. Dass ein bekennender Konservativer wie Renner kritisch über schwarzes Hoheitsgebiet berichtet, dabei aber trotzdem fair kommentieren kann, dass bei Weitem nicht alles schlecht ist, was in Erwin Prölls Reich passiert, daran hatte man sich dort dem Vernehmen nach bis zum Schluss nicht gewöhnt. Bei der Presse wird man diesen personellen Verlust hoffentlich zu kompensieren trachten. Für den Österreich-Ableger der NZZ bedeutet er jedenfalls eine Riesenchance. Und das nicht nur, weil zu hoffen ist, dass Renner als Chef vom Dienst dort die Wiederholung seines Kunststücks gelingt und womöglich sogar eine Ausweitung der Berichterstattung auf weitere Bundesländer – etwa das Zürich doch naheliegende Vorarlberg. Was völlig unüblich ist: Sogar die meisten Konkurrenzmedien hoffen auf einen Erfolg der Schweizer Ost-Offensive. Denn die NZZ Österreich ist bis auf Weiteres ausschließlich online geplant und hat darüber hinaus bereits angekündigt, aus Gründen größtmöglicher Unabhängigkeit keine Werbung von Ministerien u.Ä. anzunehmen (man wildert also nicht im wichtigsten Werberevier so mancher Mitbewerber). Nicht zuletzt werden die Inhalte der NZZ Österreich vom Start weg kostenpflichtig sein. Sind die Schweizer damit erfolgreich, dann ist davon auszugehen, dass auch andere Medien hochwertige journalistische Inhalte bald kostenpflichtig hinter einer Paywall anbieten werden.
Dass der Start des Projekts ausgerechnet für den Staatsfeiertag angekündigt wurde zeugt jedenfalls vom Selbstbewusstsein seiner treibenden Kräfte. Und erinnert an einen anderen, großspurig an einem 26. Oktober begangenen Launch: Das Twitter-Engagement von Werner Faymann und seinem "Teamkanzler" ist peinlich in Erinnerung geblieben. Ob der damals zahlenmäßig erfolgreichere Satire-Account – @WernerFailmann selig – auch außerhalb Wiens Anklang fand, ist nicht überliefert. Doch immerhin wurde dieser damals – angeblich – auch von Rudi Fußi betrieben. Und der betreut nun als Marketingstratege die Zürcher Medienexpansion.
Thomas Weber, Herausgeber
weber@thegap.at