Was hätten wir uns alle in der Schule leichter getan, hätten wir gewusst, dass Cicero auch nur ein antiker Drake ist.
Hyperbel – Kanye West
Wo starke Übertreibung, da Kanye West. Hyperbel bedeutet nämlich genau das. Während wir aber nicht so gemein sein wollen, Kanye einfach als menschliche Hyperbel darzustellen, hier ein Rhyme aus "Who gon stop", der ja eigentlich auch von Jay Z stammt, dem God Mc und wahren Meister der Bescheidenheit. "So many watches I need eight arms" Das Schlimmste daran ist, dass es vermutlich sogar stimmt. Aus: Kanye West ft. Jay Z – Who gon stop me
Onomatopoesie – Missy Elliott
Lautmalerei – nichts anderes bedeutet das schöne Wort. Wer mal Latein hatte kennt die Technik vom Ovid-Vers: "quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant", was das quaken der Frösche nachahmen soll, um die es bei dem Vers geht. Was Ovid kann, kann auch Missy Elliott, wenn sie uns zu verstehen gibt, dass sie Kohle hat. "Chingaling, gettin' paid over here" Schon das Wort Chingaling macht das Rascheln von Geld hörbar. Sowohl bei Ovid als auch bei Missy geht es jedenfalls um Kröten. Wenn sich da kein Kreis schließt... Aus: Missy Elliott - Ching-A-Ling
Zeugma – Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi
Bei einem Zeugma wird (meistens) ein Prädikat für zwei Satzteile verwendet. Das ist nicht die ganz korrekte Erklärung, aber an einem Beispiel sieht man ganz gut, was gemeint ist: "Er hob den Blick und ein Bein gen Himmel." Das Verb "heben" wird für zwei verschiedene Objekte verwendet. Ein Zeugma ist eine rhetorische Figur, die einem schwer einfach so mal passieren kann. Ein kurzer Blick auf die Lyrics von Käptn Peng & Tentakel reicht, um zu wissen – mit Stilfiguren kennen sie sich ziemlich gut aus. Auch das schwierige Zeugma gelingt im Handumdrehen. "Jo, unsere Nichtigkeit heißt zum einen Peng
und Sie zum anderen herzlich willkommen!" Aus: Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi - Aller Anfang ist nah
Accumulatio – Sido
Bei einer Accumulatio handelt es sich um eine Ansammlung inhaltlich zusammengehörender Begriffe, so wie bei „Feld, Wald und Wiesen“. Da Sido kein Hippie ist, treibt er sich zwar nicht dort herum, seine Wohnsituation beschreibt er aber gekonnt akkumulierend in "Mein Block". "Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend
Meine Straße, mein Zuhause, mein Block" Sido – Mein Block
Antonomasie - Outkast
Bei einer Antonomasie wird ein Eigenname als Gattungsbegriff verwendet oder umgekehrt. Mit dem Anton aus Tirol hat das nichts zu tun, ein Beispiel wäre eher "Herkules" als Bezeichnung für einen starken Menschen. Outkast haben sich eher Eigennamen als Begriff für die "Gattung" geile Frau ausgesucht, wenn sie in "Hey Ya" sprechsingen: "Now all Beyoncé's and Lucy Liu's
And baby dolls, get on the floor..." Aus: Outkast - Hey Ya
Oxymoron – The Notorious B.I.G
Ein Oxymoron bezeichnet einen inneren Widerspruch, so wie bei den Worten Hassliebe oder bittersüß. Christopher George Latore Wallace kennt man auch unter The Notorious B.I.G beziehungsweise Biggie. Aber eben auch unter Biggie Smalls. Beim letzten Alias handelt es sich um ein Oxymoron. Biggie Smalls, also Größchen Klein, setzte nicht nur mit seinen Rhymes rhetorische Zeichen, sondern auch schon in einem seiner Namen.
Anakoloth - Haftbefehl
Bei einem Anakoluth bricht der Satz plötzlich ab und beginnt quasi neu, bzw. wird mit einer anderen grammatikalischen Konstruktion weitergeführt. Christian Morgenstern schreibt zum Beispiel: "Korf erfindet eine Mittagszeitung, / welche, wenn man sie gelesen hat, / ist man satt." Doch Morgenstern ist auch nur ein Hurensohn unter vielen, wenn man die Wortakrobatik eines Haftbefehl als Maßstab nimmt: "Für immer Soll unter Hurensöhne
Im Azzlack-Duden hängt euer Bild
Ihr Hurensöhne, was Beef, lass die Kugeln reden
Klick, ihr Hurensöhne, was Beef, lass die Kugeln reden
Im Azzlack-Duden hängen euer Bild." Der Babo weiß definitiv nicht, was Grammatik ist. Aber wir verbuchen das unter Anakoluth und verstehen ihn schon. Aus: Haftbefehl - Ihr Hurensöhne
Stichomythie - Jay Z
Unter einer Stichomythe versteht man eine schnelle Wechselrede, bei der sich die Redner von Zeile zu Zeile unterscheiden können. So einen Schlagabtausch haben sich bereits Iphigenie und Arkas bei Goethe geliefert und das sah so aus: Iphigenie: "Wie's der Vertriebnen, der Verwaisten ziemt."
Arkas: " Scheinst du dir hier vertrieben und verwaist?"
Iphigenie: "Kann uns zum Vaterland die Fremde werden?"
Arkas: "Und dir ist fremd das Vaterland geworden."
Jay Z wäre nicht Jay Z, wenn er das nicht toppen könnte. Der Charakter aus 99 Problems liefert sich mit dem Polizisten in nicht nur eine schnelle, pointenreiche Wechselrede, Jay Z rappt dabei auch beide Parts selbst. Polizist: "License and registration and step out of the car,
Are you carrying a weapon on you I know a lot of you are"
Charakter: "I ain't stepping out of shit all my papers legit."
Polizist: "Do you mind if I look round the car a little bit?" Aus: Jay Z - 99 Problems
Diaphora - Tyler, The Creator
Bei einer Diaphora wird ein Wort in verschiedenen Bedeutungen wiederholt. Zum Beispiel: Auf acht Leute acht geben. Ein Leichtes für Tyler, The Creator, der in IFHY rappt: "You turned to a bitch, who let the dogs out?
But in my dog house
My bitch is the raddest" Zuerst dürfte Bitch hier Schlampe bedeuten, bei der zweiten Erwähnung eher Hündin. Wahrscheinlich bedeutet es an beiden Stellen ein bisschen beides und ist deswegen strenggenommen keine Diaphora, sondern einfach nur totes amaze. Aus: Tyler, The Creator – IFHY
Drake - 0 to 100
Ein Fall von Praeteritio besteht dann, wenn der Autor vortäuscht, etwas auszulassen, auf das er in Wirklichkeit fest besteht: "Ganz zu schweigen davon, dass Caesar auch in Gallien…" Drake macht das ganz gern mit der Fügung "not to mention". Verwendet er öfter, kürzlich auch in 0 to 100, wo er davon redet, dass seine Crew das Rap-Game fest in der Hand hält. "We already got spring 2015 poppin'
PND droppin', Reps-up P droppin'
Majid Jordan droppin', OB droppin', not to mention me droppin'" Dabei stellt er sich selbst auch noch an den Schluss, dieser ausgefuchste Rhetoriker. Wenn das nicht auch noch eine Klimax ist... Aus: Drake - 0 to 100 / The Catch Up
Rhetorische Frage – Lil Jon
Turn down for what?
Unlängst saß ich mit dem Latein-Nachhilfekind an einem Text. Seneca. Als ich dann fertig übersetzt und das Kind die weisen Worte des Philosophen mit einem ironischen "tolle Erkenntnis" kommentiert hatte, widmeten wir uns den Übungen. Rhetorische Stilmittel im Text finden – so lautete die Aufgabe. Das Schöne an rhetorischen Stilmitteln ist, dass man sie zwar auf Wikipedia nachlesen kann – wie ich das auch für dieses Experiment gemacht habe – dass man sie aber mal gelernt haben muss, um sie in einem Text überhaupt erkennen zu können.
Deswegen lieben Lehrer solche Aufgaben. Sie können damit Schüler zwingen, trotz gefinkelter Technologie-Schummel-Möglichkeiten ein Fuzzi-Mindestmaß auswendig lernen müssen. Aus genau demselben Grund hassen Schüler rhetorische Stilmittel. Das ist schade, weil man sie so oft in freier Wildbahn antrifft und es doch etwas ganz besonders Feines ist, Dinge, die da so dahergeredet werden, auch benennen zu können. "Das Hysteron-Proteron läuft bei dir", wer hört sowas nicht gern?
Nun wird man einwenden können, dass rhetorische Stilmittel ja gar keine sind, wenn man sie nicht absichtlich und bewusst einsetzt. Mag sein, aber dass es sie überhaupt gibt, kommt daher, dass jemand einmal angefangen hat, sie ganz natürlich in Sprache einzubauen. Erst danach wurden sie benannt und geordnet. Insofern ist etwas, was Drake wahrscheinlich unabsichtlich zamrappt auch nur in geringem Maße schlechter als das, was Cicero bewusst gedroppt hat. Die sogenannten Stilmittel stellen sich bei Menschen, die sich viel mit Sprache beschäftigen ziemlich automatisch ein, egal ob sie Kanye oder Caesar heißen, im alten Rom oder in Detroit wohnen, ob sie es bewusst machen oder nicht.
Es hilft aber sich ab und zu, sich bewusst zu machen, dass viele Dinge, die unsere armen Nachhilfekinder und wir selbst einmal auswendig lernen mussten oder müssen, sehr wohl in die Gegenwart geholt werden können, auch wenn es nur für ein Späßchen ist.
Auf so Lächerlichkeiten wie Anapher und Alliteration haben wir verzichtet – das kann ja jeder.
Neben Wikipedia haben auf der Hip Hop-Seite Valentin Eisendle und auf der Bild-Seite Gabriel Roland zur Entstehung dieser Sammlung beigetragen. Die Autorin auf Twitter: @oidaamira