Noch weit untertrieben: Karl Kraus ist kein leichter Autor. Vielleicht wird er deshalb auf alle möglichen Arten in die Gegenwart geholt?
Es tat sich viel im vergangenen Jahr rund um Karl Kraus. »Die letzten Tage der Menschheit« wurden anlässlich des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, sowohl im Volkstheater als auch im Burgtheater für die Bühne zusammengestutzt. Jonathan Franzen versucht in einem Übersetzungs-, Kommentierungs- und Neuinterpretationsprojekt die Wiederaufnahme von Karl Kraus. Sein Leben online lesbar zu machen, daran arbeitet Katharina Prager. Die virtuelle Biografie will die Idealisierung einer Heldenfigur vermeiden und ist deswegen stark materialbasiert auf dem Nachlass des Karl Kraus Archivs aufgebaut.
Einst und heute – Kraus und Franzen
Kraus zu entwirren und uns mit seiner Begeisterung und Entgeisterung zu infizieren, das ist auch das Ansinnen des Erfolgsautors Jonathan Franzen. Er verknüpft die 100 Jahre alten scharfzüngigen Formulierungen mit seiner persönlichen Meinung über Individualität, Intellekt und Kultur. »Wir treiben einen Weltverkehr auf schmalspurigen Gehirnbahnen«, schrieb Karl Kraus vor 100 Jahren in seinem Aufsatz »Heine und die Folgen«, in dem er die rasanten technologischen Entwicklungen bei gleichzeitiger Verkümmerung der intellektuellen Kultur verurteilt hat. Aussagen wie jene kommen Franzen dabei sehr zurecht. Das passt gut zu seinem kritischen Blick auf die Nutzung neuer Medien. In Anbetracht von Massenmotorisierung und Flexibilisierung der Arbeit scheint die Auslegung erstaunlich zeitgemäß, wie so viele Kraus´sche Aphorismen.
Darf eine Zeitung beschimpft werden? Darf der einfache Mann, dem jede Erkenntnis über das Zeitungswesen mangelt, aus der Kraus zwingende Argumente für Hass und Verachtung gegen die parasitären Zerstörer des Geisteslebens schöpft, das mit Schimpfwörtern ausdrücken? Diese Fragen stellte der /Fackel/-Herausgeber gewohnt provokant in einem Artikel mit dem Titel »Die Journaille«, einem Wort, das nun im Zusammenhang mit dem Unwort des Jahres 2014 in Deutschland, nämlich der »Lügenpresse«, durch unsere Medien geistert. Gleichzeitig holt man /Die Fackel/ als Grundpfeiler für Satire hervor, wenn es jetzt darum geht, den Angriff auf die Satire-Zeitschrift /Charlie Hebdo/ zu begreifen. »Unsere Satire lebt von der Gnade jedes Rowdy, der einen uns unangenehmen Schriftsteller im Kaffeehaus wehrlos macht. […] Wir sind eben Publicisten und antworten mit der Feder, wenn man uns angreift«, schrieb Kraus über die Satire.
»Die letzten Tage der Menschheit«, zum Comic destilliert
Der Karikaturist Daniel Jokesch hat das sogenannte Marsdrama »Die letzten Tage der Menschheit« noch um einiges mehr als diverse Theaterregisseure destilliert. Die gigantische Dimension der Unbegreiflichkeit des ersten Weltkriegs sowie jeden anderen Kriegs wird in der Graphic Novel gewitzt und intelligent umgesetzt. Jokesch konzentriert eine Auswahl der rund 200 lose zusammenhängenden Szenen in einem 50-seitigen quadratischen Büchlein. Die Menschheit wird in ihrem Untergang durch den Ersten Weltkrieg zwar reduziert, im Vergleich zum Original – und das ist wohl im Sinne von Kraus – aber inszeniert als das, was sie schon immer war: ein Haufen Comic-Figuren.
»Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate«, schreibt Karl Kraus quasi als Erklärung zu sein Mammutdrama und als Statement zu der von ihm in neue Sphären gehobene Zitiertechnik. Sie ist die beißende Ironie, mit der er den Spiegel verätzt, bevor er ihn der Welt mit ihrer verzogenen Fratze hinhält. Die Zitate aus dem Drama sind nun auch in Sprachblasen zu lesen. Der Zeichner schickt voraus: »Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen; ich habe gemalt, was sie nur taten«, und adaptiert damit das Kraus’sche Werkzeug. Er entnimmt Schlagzeilen aus der Presse, solche, die recht reißerisch sind und legt sie in die Münder der Comic-Figuren.