Lang ist es her, dass der Laptop zum Instrument der Stunde erhoben wurde. Das ist er natürlich nicht, oder er ist es genauso wie schon vor fünfzehn Jahren oder vor zwei Tagen. Aber so ein Album wie das von Holly Herndon gibt es auch selten.
Holly Herndon versucht etwas vom Alltäglichsten heute auf sehr künstliche Art zu vertonen – unsere digitale Schichten, unsere neuen Sehnerven und Gedächtniserweiterungen, unser soziales Netzwerk, unsere smarten Helfer und Allzweck-Drahtverbindungen. Je nachdem wie seltsam wir sind, verbringen wir mehr Zeit vor dem Laptop, dem Tablet oder mit dem Handy als jemals zuvor. Das ist die neue Arena, in der wir darum kämpfen, wie wir uns definieren, wo wir unsere Identität erfinden. Die richtigen Filme, die richtige Musik, sie haben ihre Definitionsmacht eingebüßt. Und als ob es allein nicht schwer genug wäre, sich im digitalen Raum eine zweite Heimat zu schaffen, haben sich dort auch noch böse Zellen eingenistet.
Kraken saugen Informationen über uns ab, sammeln sie, bündeln sie, verkaufen sie. Und du kannst nichts dagegen tun. Naja, du kannst dir diese Platte anhören. Vielleicht löst sie etwas in dir aus, vielleicht wird dir ein kleiner Techno-Gospel auf „Platform“ die Kraft geben, diesen Ort positiv zu verändern. Und dann kommt dir ein Track wie „Unequal“ in 20 Jahren mit seinen verstellten, gefilterten Renaissance-Chören veraltet vor, weil es so leidig doch nicht geworden sein wird.
Unsere Hirne wandern immer mehr in dieses Internet, hat ein Kollege letztens über Mile Me Deaf geschrieben. Bei abgewetztem Rock von ein paar Slackern mag es erst einmal überraschen, wenn sie nicht über den Nachmittag mit Bier im Park und Mädchen singen. Aber eigentlich ist es erstaunlicher, dass sich so wenige Alben mit unsrer digitalen Gegenwart beschäftigen. Holly erklärt sie zum Programm. Den Klang bestimmt der Rechner. Seine Möglichkeiten beliebig zu bearbeiten, legt sie ganz offen. In Berichten über sie darf der Hinweis auf die männlichen Avantgarde-Nerds und schwarz gekleideten Serato-Faces nicht fehlen. Holly macht nur gar nicht so viel anders, außer dass sie rote Haare hat.
Sie spricht in Interviews von Emotion, ihre Art Stimmen und Spuren zu arrangieren ist expressiv, aber wie bei vielen Kollegen eher spröde geraten. Es hilft zu wissen, dass sich „Chorus“ etwa mit ASMR auseinandersetzt, jenem Phänomen, wenn sich Menschen von ganz bestimmten Sounds ein fast erotisches Jucken im Ohr bekommen. In Zeiten, in denen wir Laptop-Kameras überkleben, laufend in den Inkognito-Modus gehen und ein Geheimnis nur mehr dann bewahren können, wenn wir es für uns behalten, ist so ein Album aber nötig. Nicht, weil es so gut klingt, sondern weil es schöner, besser und verlockender klingen sollte.
"Platform" von Holly Herndon ist soeben via 4AD erschienen.