Der Song Contest ist vorüber. Wir haben tausend Retweets, null Punkte und schwule Ampeln zu einer Nachbetrachtung verwurstet. Was bleibt vom Song Contest in Wien übrig?
Es war nicht alles schlecht unterm Wrabetz, meinten die Gebrüder Moped auf Twitter. Und sie haben damit natürlich maßlos untertrieben. Das hat der ORF wirklich gut gemacht. Sätze wie diesen kann man selten genug lesen. Denn auf den Staatsfunk zu schimpfen, ist sehr beliebt, sehr einfach und mag mitunter seine Gründe haben. Aber es war eine tadellose Show. Von der Halle, der Bühne, den Moderatorinnen, Conchita, der Kameraführung, der Betreuung der Journalisten bis sogar hin zum grafischen Auftritt. Wer den Song Contest endlos fad fand oder genervt davon war, sollte vielleicht einfach weniger auf Facebook sein oder sich Mad Max im Kino ansehen. Die gute Nachricht für all diese Leute, es ist vorbei. Aber was macht man jetzt damit, außer hinterher aufräumen und sich das neue Image und fiktive Zahlen über den Werbewert auf den Bauch zu pinseln?
Swe, Aut, Fin
Bleiben wir doch kurz bei dem, worum es angeblich geht, der Musik. Der Siegersong war ein harmloses Ding, fesches Gesicht und perfekt getimte Visuals, wir sind alle Helden, passt, tut ja niemandem weh. Die Makemakes können das eher nicht so behaupten. Im Vorfeld konnte man gelegentlich hören, dass wir mit dem Lied immerhin sichergestellt hatten, dass der Song Contest nächstes Jahr nicht mehr in Wien stattfinden wird. Aber hey, auf Ö3 ist das ein Hit. Könnte ja sein, trotz Wettquoten und so. Das Maß der Selbsttäuschung war allerdings phänomenal. “Das nächste Album der Makemakes heißt dann Burning Bridges”, twitterte Walter Gröbchen. Immerhin hat Österreich gestern zur Abwechslung ein 0:0 gegen Deutschland geholt. Erster gemeinsamer Untergang seit 1945. Undsoweiter. Die Frage bleibt, was jetzt kommen soll. Wenn es mit Trash (Trackshittaz) oder ehrlichen Balladen (Makemakes) nicht klappt, schickt der ORF nächstes Mal einfach einen singenden Hund?
Dass es mutige Entscheidungen braucht, ist erst einmal einfach zu behaupten. Conchita Wurst war so eine mutige Entscheidung. Und mit Lettland und Belgien in den Top Ten fielen zwei Songs auf, die sonst eher zu FM4 passen. Aber vermutlich galten die Beiträge von Finnland oder Polen auch als mutige Entscheidungen. Und à propos: “Wer den Grubinger statt diversen Austria-Werbefilmchen in der Pause des #esc beim #ORF durchgeboxt hat, hat Eier aus Stahl.” Unseren Tweet konnte man positiv und negativ interpretieren. Die Performance war weird, spektakulär und natürlich mutig. Aber immerhin gibt es jetzt dieses GIF eines ridiculously happy drummer. Das sollte doch für alles entschädigen. Bitte lokal speichern und immer wieder posten.
A Million Voices
Ob der Song Contest nur ein harmloses Wettsingen ist oder doch auch politisch, darüber konnte man dieses Jahr besonders vielschichtig und wunderbar diskutieren. Dass ausgerechnet Russland und Ungarn zwei Friedenslieder nach Wien schickten, wirkte für manche wie Hohn. Und überhaupt Russland. Die Pfiffe in der Halle, die mahnenden Worte der großartigen Alice Tumler an das Publikum, der Umstand, dass Litauen gar keine Punkte gab, die neue russische Konkurrenz-Veranstaltung oder Conchita, die sich unterstützend und demonstrativ neben die russischen Teilnehmerin setzen musste – der Bruch mit dem großen Nachbarn im Osten Europas war schwer übersehbar. Aber auch Armenien und Aserbaidschan reihten sich verlässlich gegenseitig auf den allerletzten Platz mit Jury und Televoting. Die zweiteilige Doku “Eurovision Song Contest: Pop und Politik” ist zu dem Thema uneingeschränkt zu empfehlen.
Unstoppable
Und was bleibt? Conchita zum Beispiel. Die Ampeln, die jetzt dauerhaft in Wien den richtigen Weg leuchten werden. Ein neues Adoptionsrecht. Aber noch keine Ehe, wie etwa sie seit gestern im grundkatholischen Irland beschlossen wurde. In diesem Land gab es vor 14 Monaten noch große Protest-Pages gegen die bärtige Queen Of Austria. Konservative gratulierten nach dem Sieg zerknirscht “der Kunstfigur von Tom Neuwirth”, als wäre das nur ein kurzer Party-Gag. Heute ist das Feedback auf Conchita fast ausschließlich enthusiastisch. Sie ziert große Werbekampagnen, ihre Auftritte sind unglaublich charmant, souverän und zielsicher – auch wenn es seltsam war, dass der ORF ihre Performance während des Votings nicht zeigte. Einen viel besseren Star hätte man sich nicht ausdenken können.
Warum hat sich der Song Contest von einer Kitschrevue zum Freudenfest für viele kreative Köpfe gewandelt, fragt sich Thomas Miessgang in der aktuellen Zeit. Durch seine Künstlichkeit bietet er eine Möglichkeit aus einem banalen Gesellschaftsgefüge auszubrechen, schreibt er. Gute Melodien, das Spektakel und eben auch der Stellenwert in der les-bi-schwulen Community, das ist der Song Contest heute. Dass das alles hier in Wien zu Gast war, dafür muss man dem ORF auch einmal dick danken. Und jetzt kann man wieder ein Jahr lang die eigene Musik hören.
Noch zwei Links zum Thema: Zur Politik beim Song Contest, Coverstory queeres Wien