Heuer wird das erfolgreichste Jahr für den österreichischen Film seit fünf Jahren sein. Wir haben bei vier Filmexpertinnen und Experten über die Gründe und die aktuelle Filmlandschaft nachgefragt.
Die aktuellen Statistik der Film Austria lügt nicht. Über 600.000 Menschen waren 2015 bereits in österreichischen Kinos in österreichischen Filmen. Das liegt zu einem beträchtlichen Teil am jüngsten Brenner-Film "Das ewige Leben". Der Film über die Streif oder "Österreich: Oben & Unten" haben ebenfalls Zehntausende interessiert. Aber auch "Ich seh ich seh" könnte über den Umweg eines massiven Hypes in den USA und seine Oscar-Nominierung nochmal hoch gespült werden.
Man hat sich fast schon an die Erfolge, Preise und Schlagzeilen gewöhnt, die der österreichische Film in den letzten Jahren produzierte. Dabei war ausgerechnet 2012 – das Jahr von "Amour" – ein relativ schlechtes Jahr an den Kinokassen. Nun sind Besucherzahlen natürlich nicht alles, Österreich nicht nur das Land des Feel-Bad-Cinema, die große Zeit des Kabarettfilms vorüber und Förderungen könnten immer besser sein.
Um schlauere Antworten zu bekommen, haben wir bei vier Leuten nachgefragt, die täglich beobachten wie Filme in diesem Land gemacht und betrachtet werden.
In Österreich waren lange Komödien erfolgreich. Kurz gab es eine Blüte des Dokumentarfilms. Jetzt braucht es wieder Komödien-Zugpferde. Ist das zu kurz gegriffen?
Christoph Prenner, SKIP – Das Kinomagazin: Ich denke schon. Wobei man anhand der aktuellen Zahlen allerdings ganz generell schon konstatieren muss, dass der Dokumentarfilm ja nach wie vor recht prächtig blüht. Bloß ist es momentan nicht mehr der kritisch nachbohrende, an neuen Betrachtungen oder gar Erkenntnissen interessierte, sondern eher der dem reinen Schauwert verpflichtete – Eventertainment mit gern auch patriotischem Resonanzraum. Was es ganz allgemein bräuchte, und wofür es in Österreich sowohl Bedarf als auch willige und fähige Köpfe gäbe, das wären avancierte, spannende, Grenzen munter neu auslotende Genreformate – wie es bei den deutschen Nachbarn ja etwa neulich mit „Victoria“ aufs vorzüglichste gelungen ist. Dass das auch bei uns geht, hat ja nicht zuletzt „Das Finstere Tal“ gezeigt.
Roland Teichmann, Österreichisches Filminstitut: Der erfolgreiche österreichische Film ist in den letzten Jahren immer vielfältiger geworden, aber natürlich sind es die Genre-Filme und dabei vor allem die Komödien, die, wenn sie funktionieren, gute Besucherzahlen machen. Hier brauchen wir noch mehr Kontinuität im Angebot, vor allem auch für jüngere Kinobesucher, um im Kino eine echte Relevanz zu behalten.
Peter Schernhuber / Sebastian Höglinger, Diagonale Filmfestival: Wünschenswert wäre es natürlich, dass zeitgleich gute Spielfilme – auch Komödien –, Dokumentarfilme sowie experimentelle Formate, Kunst- und Avantgardefilme reüssieren und ihre jeweiligen Zielgruppen – im Optimalfall Publikumsschnittmengen – erreichen. Dafür sind letztlich alle Player der heimischen Filmbranche gefragt, auch Kinos und nicht zuletzt Festivals.
Welche Filmemacher versprechen derzeit am ehesten bei hoher Qualität auch an der Kinokassa reüssieren zu können?
Teichmann: Das lässt sich so einfach nicht sagen. Film ist immer komplex und hängt von so vielen Faktoren ab, da gibt es kaum Garantien für Erfolg, nicht mal Hollywood hat Erfolgsrezepte, aber gerade im Bereich des Autorenfilms – auch im Dokumentarbereich – ist Österreich international überproportional gut vertreten. Filme von Michael Haneke, Ulrich Seidl, Jessica Hausner oder Nikolaus Geyrhalter werden weltweit gesehen. Am heimischen Markt sind es überwiegend die Regisseure von Genre-Filmen mit Handschrift, wie z.B. Andreas Prohaska, Wolfgang Murnberger oder Harald Sicheritz, die regelmäßig gute Besucherzahlen erzielen.
Gerlinde Seitner, Filmfonds Wien: Der österreichische Film konkurriert an der Kinokassa mit amerikanischen Blockbustern und internationalem Autorenkino. Reüssieren nach Box-Office-Maßstäben wird im vorherrschenden Verdrängungswettbewerb im Kino, bei immer kürzeren Auswertungsphasen und einer europäischen Massenproduktion von 1.500 Filmen pro Jahr immer schwieriger. Im Arthouse-Bereich sind in der Tat oft die Filmemacher das ausschlaggebende Verkaufsargument. Das zeigen die hohen Besuchszahlen bei Filmen von etablierten Regisseuren wie Michael Haneke, Ulrich Seidl oder etwa Karl Markovics und Andreas Prochaska. Wünschenswert wären derartige Erfolgsfaktoren auch im Schauspielbereich, um ähnliche Effekte zu erzielen. Hier ist noch Aufbauarbeit zu leisten.
Schernhuber / Höglinger: Es ist unabhängig vom Erfolg an den heimischen Kinokassen zweifelsohne von gar nicht hoch genug einzuschätzendem Wert, wenn renommierte Blogs und Magazine – von Indiewire bis Variety – beispielsweise über Veronika Franz’ und Severin Fialas "Ich seh Ich seh" berichten. Dasselbe gilt für experimentellere Formate, die hierzulande zumeist gar keine oder eine sehr kurze Kinoauswertung erfahren – und nichtsdestotrotz international den Ruf vom Filmland Österreich untermauern. Freilich freuen wir uns aber auch über Kinokassenerfolge à la "Das ewige Leben". Ohne Frage: die Brenner-Serie von Wolfgang Murnberger ist das seltene Beispiel eines tatsächlichen Publikumsgaranten.
Die New York Times nannte Österreich mal „The land of Feel-Bad-Cinema“. Denken Sie, dass der österreichische Film international vor allem durch sein Faible für menschliches Elend und schwarzen Humor auffällt? Welche anderen Qualitäten sollte man hervorheben?
Teichmann: Ich finde, dass das gar kein so schlechtes Image ist. Welches kleine Filmland hat schon international gesehen überhaupt ein Image? Und natürlich ist da schon auch was dran. Dieser Sado-Naturalismus von Haneke oder Seidl hat uns international durchaus profiliert, aber das Filmschaffen hat sich darüber hinaus gut weiterentwickelt und ist nicht im bloßen „Feel-Bad“ stecken geblieben. Wir sind insgesamt bunter und vielfältiger geworden.
Prenner: Schon allein aufgrund der erhöhten Sichtbarkeit durch Festivalpräsenzen und Filmpreisverleihungen ist es wahrscheinlich so, dass sich da aus dem Schaffen einer Handvoll Regisseure durchaus ein Halo-Effekt ergeben hat, dass diese zu Film geronnene „emotionale Vergletscherung“ also schon als so etwas wie ein Markenzeichen des österreichischen Films wahrgenommen wird. Hier wär’s bei allen Vorteilen, die so ein Branding auch haben kann, schon wichtig, dies nicht als das einzige Narrativ sehen zu wollen, das nach draußen dringt. Dass aber auch anders gelagerte Arbeiten wie „Ich seh ich seh“ international gut angenommen werden, ist dahingehend natürlich sehr erfreulich.