Filme von David Lynch werden gerne zum »Kult« erklärt. Und auch, wenn sie oft kein Vergnügen im eigentlichen Sinne sind – gesehen sollte man sie tatsächlich (fast) alle haben. Ein Ranking anlässlich Lynchs 70. Geburtstags.
Am Set von »Twin Peaks« gibt es heute bestimmt Kirschkuchen, um David Lynchs 70er zu feiern. In der Redaktion hingegen ein kleines Rundmail an die einschlägig Interessierten: »Schick mal schnell dein persönliches Ranking der zehn David-Lynch-Langfilme durch …«
Hier die Auswertung dazu. Kommentare erwünscht!
Anmerkung: Wir haben nur Spielfilme im Langformat berücksichtigt, bei denen Lynch Regie geführt hat, also keine Kurzfilme, keine Dokumentationen, keine Musikvideos und keine Filme, in denen er etwa nur als Schauspieler oder Produzent beteiligt gewesen ist.
Platz 10: Inland Empire (2006)
Lynchs bislang letztes Opus – und der Begriff ist tatsächlich angebracht: »Inland Empire« dauert drei Stunden und ist ein verworrenes, halluzinatorisches Kunstwerk mit einer für ihre Performance vielerorts gelobten Laura Dern in der Hauptrolle als Schauspielerin, deren neue Traumrolle rasch albtraumhafte Seiten offenlegt. Für viele wohl dennoch eine Surrealismus-Überdosis.
Platz 9: Twin Peaks – Fire Walk With Me (1992)
Das Prequel zur Serie zeigt die letzten sieben Tage im Leben der Laura Palmer und die Ermittlungen rund um den Tod von Teresa Banks. Mit von der Partie: ziemlich viele »prominente« FBI-Agenten – Chris Isaak, Kiefer Sutherland, David Bowie, David Lynch selbst und natürlich Kyle MacLachlan als Dale B. Cooper. Lynch nutzte Freiheiten, die ihm fürs Fernsehen nicht zugestanden worden waren, und verstärkte Wahnsinn und Brutalität – mit dem Effekt, dass »Fire Walk With Me« viele Erwartungen nicht erfüllte. Ihre gemischten bis negativen Einschätzungen haben viele Kritiker zwischenzeitlich aber revidiert.
Platz 8: Dune (1984)
Während im Netz aktuell wieder das Gedankenspiel kursiert, wie denn »Die Rückkehr der Jedi-Ritter« aussehen würde, hätte tatsächlich – wie angedacht – Lynch Regie geführt, lässt sich die Frage mit »Dune – Der Wüstenplanet« eigentlich besser beantworten. Frank Herberts Sci-Fi-Klassiker hat Lynch als finsteres Epos interpretiert. Toto und Brian Eno durften den Soundtrack beisteuern. Ganz zufrieden war Lynch am Ende aber selbst nicht: Die Produzenten und Finanziers gewährten ihm nicht den Final Cut, weshalb im Laufe der Zeit mehrere Versionen des Films veröffentlicht wurden. Bei manchen davon ließ der Regisseur sogar seinen Namen aus den Credits entfernen.
Platz 7: Wild At Heart (1990)
Lynchs erstes Roadmovie, ein extra blutiges noch dazu. Nach dem gleichnamigen Roman von Barry Gifford erzählt der Film, wie der deutsche Titelzusatz sagt, »Die Geschichte von Sailor und Lula«, einem Liebespaar (gespielt von Nicolas Cage und Laura Dern) auf der Flucht vor Lulas gefährlich-herrischer Mutter (Diane Ladd; übrigens ist Laura Dern auch im wahren Leben ihre Tochter). Besonders großartig: Willem Dafoe als dental herausgeforderter Gangster Bobby Peru und sein geradezu ikonischer Abgang. Neben einer Goldenen Palme in Cannes gab es auch an den Kinokassen großen Zuspruch für »Wild At Heart«, den Lynch selbst als »a really modern romance in a violent world« beschrieben hat – samt Cage als Elvis-Schnulzensänger und Anspielungen auf »The Wizard Of Oz«.
Platz 6: Eraserhead (1977)
Lynchs erster Langfilm ist frühes surrealistisches Body-Horror-Kino in Schwarz-Weiß. Beeinflusst von Franz Kafka und Nikolai Gogol sowie vom Umstand, dass der Regisseur (und Drehbuchautor) selbst Vater geworden war, erzählt »Eraserhead« von Henry Spencer (Jack Nance mit auffälliger Turmfrisur; später und mit weniger Haaren dann auch als Pete Martell in »Twin Peaks« zu sehen), der in einer unfreundlichen industriellen Umgebung für sein stark deformiertes Kind sorgen muss. Ein sehr düsterer Film voller einschüchternder Visionen und gewaltsamer Bilder – nicht ohne Grund gerne im Rahmen von Midnight-Movie-Schienen gezeigt.
Platz 5: The Elephant Man (1980)
Das in Schwarz-Weiß gehaltene Biopic über Joseph Merrick (im Film trägt er den Vornamen John), einen stark verunstalteten Mann, der im London des 19. Jahrhunderts als Jahrmarktsattraktion vorgeführt und misshandelt wurde, ist eine von Lynchs konventionellsten Arbeiten. John Hurt spielt den »Elefantenmenschen«, der als menschliches Wesen akzeptiert werden möchte, Anthony Hopkins den gutbürgerlichen Arzt, der sich seiner annimmt. Das Zusammenwirken von Mitgefühl und gleichzeitiger erzählerischer Zurückhaltung rührt zu Tränen – Top-Voraussetzungen für einen Oscar. Trotz acht Nominierungen ist aber nichts draus geworden.
Platz 4: The Straight Story (1999)
Lynch, der Experte für surreale filmische Angstträume? Ja – und mehr! »The Straight Story« beruht auf einer wahren Geschichte (im deutschen Titel steht das sogar wortwörtlich drin) und ist wahrscheinlich das langsamste Roadmovie der Filmgeschichte. Der über 70 Jahre alte Alvin Straight (gespielt vom zu diesem Zeitpunkt bereits schwer kranken Richard Farnsworth) begibt sich mit seinem Rasenmähertraktor auf die 400 Kilometer lange Reise zu seinem erkrankten Bruder – mit einer Höchstgeschwindigkeit von 8 km/h –, um sich mit diesem noch rechtzeitig vor dem dräuenden Tod auszusöhnen. Der eher überraschende Stimmungswechsel in Lynchs Filmografie Richtung warm und sentimental – »The Straight Story« ist übrigens eine Disney-Produktion – kam bei der Kritik sehr gut an, beim Publikum wiederum nicht so besonders. Dennoch: ein sehr schöner Film, und bei aller Wertschätzung kann man das ja von Lynchs anderen Werken eher nicht behaupten.
Platz 3: Mulholland Drive (2001)
Dass »The Straight Story« tatsächlich eher eine Ausnahme bleiben sollte, bewies schon der darauffolgende Film. »Mulholland Drive«, ursprünglich als Pilot für eine neue (und letztlich abgewiesene) TV-Serie konzipiert, ist ein großes und großartiges Neo-noir-Mysterium, das sich die Freiheit nimmt nicht entschlüsselt werden zu können. Naomi Watts gibt das naive Landei, das es in der Traumfabrik Hollywood probieren möchte und sich dabei mit einer geheimnisvollen Frau ohne Gedächtnis anfreundet. Surreal, düster, skurril – Lynch zurück in angestammtem Terrain. Wie resümierte ein Kritiker? »You want to get it, but I don’t think it’s a movie to be gotten.«
Platz 2: Lost Highway (1997)
Fragen offen zu lassen, nicht alles aufzuklären oder gar mit Unerklärbarem zu irritieren – das sind die Spezialdisziplinen David Lynchs. In »Lost Highway«, einem Psychothriller mit deutlichen Film-noir-Anleihen, macht sich Bill Pullman als Jazzmusiker und vermeintlicher Mörder seiner eigenen Frau auf die Suche nach Antworten auf diese Fragen – nur um sich mitten im Film in jemand anderen zu verwandeln, in einen wesentlich jüngeren Automechaniker (gespielt von Balthazar Getty). Was gibt es sonst zu sehen: Explizites von Sex bis Gewalt, absurde bis mysteriöse Charaktere und das Schauspieldebüt von Marilyn Manson. Übrigens: Der Soundtrack des Films verhalf Rammstein in den USA zum Durchbruch.
Platz 1: Blue Velvet (1986)
Blauer Himmel, saftig grüner Rasen, doch darunter lauert Grausiges. Schon die Eröffnungssequenz deutet an, dass die Dinge nicht immer das sind, was sie scheinen. Als weiterer Kontrast zum beschriebenen Kleinstadtidyll: ein abgeschnittenes Ohr, das Jeffrey Beaumont (der junge Kyle MacLachlan) auf seinem Heimweg findet und das ihn zu Dorothy Vallens (Isabella Rossellini) führt – um in einen Strudel aus Sex und Gewalt gezogen zu werden. Ganz groß: Dennis Hopper als gefährlicher Soziopath Frank Booth. Für viele in seiner verstörenden Intensität einer der besten Filme der 80er-Jahre, in jedem Fall einer, der verdientermaßen Kultstatus hat. Amen.
Wer vergleichbare Listen konsultieren möchte:
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