TRUE SKOOL, GANGS ’N’ BEEF
NACH DEN SPIELCHEN KOMMT DIE JAGDZEIT: DIE BEIDEN PIONIERE VON GRIME, DIZZEE RASCAL UND WILEY, BRINGEN GLEICHZEITIG IHR NEUES ALBUM HERAUS.
Denn ein Akt der Freundschaft und des Respekts ist es sicher nicht, die Veröffentlichungstermine kollidieren zu lassen. War man anfangs noch eine eitle Familie von Blutsbrüdern im Rahmen der Roll Deep Crew, scherte der widerspenstige Zögling Dizzee mit damals siebzehn Jahren aus, veröffentlichte 2003 das Mercury-Prize gekrönte “Boy In Da Corner“ und bekam ein großes Stück des Medien-Hypes ab. Die zwei übergroßen Egos gerieten aneinander, hielten es nicht einmal mehr auf demselben Label (XL Recordings) aus und verweigern bis heute gemeinsame Interviews. Aber auch sonst ging es in der Grime-Szene nicht unbedingt ruhig zu. Auf den Raves kam wiederholt zu Messerstechereien und anderer Gewalt – ähnlich wie im US-HipHop Mitte der Achtziger Jahre, als eine Mischung aus Gangs, Drogen und einem erhöhten Aggressivitätspegel Shows zu einem ziemlich ungemütlichen Ort werden ließ. So verschlechterte sich auch in London der Ruf, bis die Polizei Grime-Veranstaltungen bereits im Vorfeld zu unterbinden versuchte. Die Platten verkaufen sich außerhalb Londons weit schlechter, als es die Berichterstattung vermuten ließe und bis auf Lady Sovereign konnte kein Act bisher international Fuß fassen. Der eng verwandte, instrumentale Dubstep scheint dies ohne die Medienblase außerdem merklich besser zu Stande zu bringen. Deshalb könnte man Wileys Albumtitel auch so interpretieren, dass nun endlich Resultate folgen müssen. Die Schonzeit für Grime ist vorbei und wo steht man heute?
Wenn es nach Wiley geht, müssen jetzt neue, smartere Stimmen ran. Er selbst wollte sich aus dem Rampenlicht zurückziehen und sich auf sein Label Eskibeat und das Produzieren konzentrieren, hat das aber bereits widerrufen. Es hätte ein verdammt lauter Abschied werden können, denn von der in Interviews geäußerten Müdigkeit fehlt die geringste Spur. Wiley geht immer mitten rein auf die Fresse, puristisch und ohne Kompromisse. Ganz so als hätte er seinen definitiven Stil schon vor Langem gefunden und sich in den letzten drei, vier Jahren rein gar nichts geändert. Tiefer gelegte Bässe, doppelt schnelle Spits, flirrende HiHats – Musik wie ein High-Speed-Gewitter. Er hatte diese Basis gelegt und will sie so schnell nicht verlassen. Der Sound ist im Osten Londons noch immer populär, hat unzählige Crews in ständig wechselnden Zusammensetzungen und junge, heiße Talente. Dort sieht Wiley offensichtlich inzwischen seinen Platz – nicht bei Live Aid und Crossovers. Das Album hat er noch einmal vollgepackt mit giftigen Texten über eine heuchlerische Szene und die Straßen East Londons. „Playtime Is Over“ wäre ein würdiger, letzter Todeskuss.